Ob Messfeier, Andachten, Prozessionen oder Tageszeitengebet – viele Formen der Liturgie haben sich über Jahrhunderte entwickelt. „Geprägt und mit Leben erfüllt wurden sie immer von Menschen, die Kinder ihrer Zeit waren“, sagt Benediktinerpater Nikolaus Nonn.
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Jugendvesper im Dom: Ruhe und Bewegung, Gebet und Gesang wechseln sich als liturgische Elemente ab. Eingeladen sind aber nicht nur Jugendliche, sondern auch ihre Eltern. Foto: Edmund Deppe |
Deutlich wird dies, so der Leiter des Referats Liturgie des Bistums Hildesheim, vor allem in Gebets- und Liedtexten sowie – seit der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils – in den deutschen Messtexten. „Die lateinischen Messtexte davor sind über Jahrhunderte gleich geblieben. Diese Konsistenz werden wir wohl nie wieder haben“, ist sich Nonn sicher. Sicher ist er sich dagegen, dass bei allen Reformen das Grundgerüst der Feier der heiligen Messe gleich bleiben wird. „Da kann man nicht dran drehen. Dieses Grundgerüst wurde von Jesus beim letzten Abendmahl grundgelegt. Von den frühen Christen an wurde dieses Mahl als Erinnerungsfest gefeiert.
Auch wenn sich in den vergangenen 2000 Jahren die Form immer wieder ein bisschen verändert hat, ist das Grundgerüst stets gleich geblieben. Hier feiern wir den Tod und die Auferstehung Jesu, hier feiern wir den Grund unseres Glaubens – und das wird auch in den nächsten 2000 Jahren so bleiben“, sagt Pater Nikolaus.
Alte Formen neu entdecken
Aber nicht alles bleibt gleich. „Wir sind schon jetzt dabei, alte liturgische Formen, alte Gottesdienstformen neu zu entdecken wie das Tageszeitengebet, Pilgern, Meditationen. Das ist alles nicht neu, war aber zeitweise in Vergessenheit geraten und erlebt schon seit Jahren eine Renaissance. Insofern hat für mich die Zukunft der Liturgie bereits begonnen“, meint Nonn.
Trotzdem klingt er ein wenig resigniert, wenn das Thema Wortgottesdienstleiter angesprochen wird. „Eigentlich sind wir schon ganz gut für die Zukunft aufgestellt. Wir haben zahlreiche Laien zu Wortgottesdienstleitern ausgebildet. Aber etliche von ihnen kommen nicht zum Einsatz“, weiß der Liturgieexperte. Mit viel Motivation hätten sie sich auf ihr Amt vorbereitet, wurden vom Bischof beauftragt und sind in ihre Gemeinden zurückgekehrt, um dann zu erfahren, dass ihr Pfarrer sie nicht einsetzen will.
„Solange wir Priester haben, die alleiniger Chef im Ring sind, treten wir auf der Stelle, geht es nicht voran.“ Nonn hebt die Schultern: „Ich verstehe nicht, dass wir auf der einen Seite überlastete Priester haben, die unter ihrer Arbeit zusammenbrechen, auf der anderen Seite aber nicht bereit sind, gut ausgebildete Laien zum Zug kommen zu lassen.“ Doch lächelnd fügt er hinzu: „Die Zeit wird es schon richten. Wir Priester werden immer weniger und in naher Zukunft – deutlich vor 2030 – werden wir erleben, dass von Laien geleitete liturgische Feiern in vielen Kirchorten Normalität sind.“
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„Meine Vision für 2030 oder auch schon früher ist: Laien werden eigenverantwortlich – als Chef der Liturgie – Gottesdienste vorbereiten und ihnen vorstehen“, sagt Nikolaus Nonn. Hier segnet ein Kommunionhelfer ein Kind während des Gottesdienstes. Foto: kna-bild |
Für den Benediktiner zeichnet es sich immer deutlicher ab, dass es in der Kirche Europas zukünftig Personalgemeinden geben wird. „Von den alten, traditionellen Pfarrgemeinden werden wir uns verabschieden müssen“, prophezeit Nonn. Denn immer mehr Menschen werden sich eine Gemeinde suchen, die ihnen gefällt, eine, in der sie sich zu Hause fühlen, wo sie angesprochen werden. „Wir müssen uns mit unseren liturgischen Angeboten an den Bedürfnissen der Menschen orientieren. Es gilt, sie da abzuholen, wo sie gerade sind – in ihrem Lebensalltag, ihrer jeweiligen Lebenssituation.
„Bei allen liturgischen Reformen wird das Grundgerüst der Feier der heiligen Messe gleich bleiben.“
Ich kann mir gut vorstellen, dass wir in Zukunft auch Gottesdienste am Arbeitsplatz feiern. Es gibt schon heute Christen, die sich zu einem Gebetskreis vor oder während der Arbeit – zum Beispiel in der Frühstückspause – treffen. Auch das ist Gottesdienst. Auch das ist Liturgie“, sagt Nonn. Für ihn ist klar: „Wir müssen einerseits an die Wegkreuzungen gehen, dahin, wo das Leben brummt, auf der anderen Seite brauchen wir die Kirchen als Gebets- und Rückzugsräume, als Orte, um zur Ruhe zu kommen, als Orte, wo die Seele einmal verschnaufen darf.“
Nicht neu und in einigen Kirchen wird es schon praktiziert: Zu festen Zeiten gibt es kurze geistliche Akzente, Schriftlesungen, geistliche Musik oder Tageszeitengebete. Jeder hat die Möglichkeit, hier etwas für sich mitzunehmen. „Es ist ein bisschen wie Fastfood. Da reicht eben auch die Mittagspause während der Arbeit. Es kann nur ein kurzer Impuls sein. Aber das reicht als geistlicher Snack zwischendurch“, sagt Nonn und kann sich eines leichten Schmunzelns nicht erwehren. Dabei ist es für den Benediktiner gar nicht entscheidend, ob überhaupt etwas angeboten wird. „Manchmal ist die Stille einer Kirche genau das, was die Menschen suchen. Wichtig ist, dass die Kirchen offen sind, um auch mal ganz spontan hineinzugehen, dann, wenn man das Bedürfnis verspürt.“
„Wir brauchen Freiräume zum Experimentieren“
Wenn Pater Nikolaus über Liturgie in der Zukunft nachdenkt, dann heißt das für ihn, dass man auch Neuland betreten muss. „Wir müssen den Mut haben, Neues auszuprobieren, neue Wege zu gehen und uns auch einmal von alten und geliebten Zöpfen zu trennen.“
Doch er weiß, dass man dafür in der Kirche Freiräume braucht. „Und wir brauchen dafür Toleranz – auf allen Seiten. Man muss auch mal machen dürfen, ohne dass gleich interveniert und gebremst wird. Für Neuerungen brauchen wir einen offenen Dialog und konstruktive Kritik.“ Hau-drauf-Argumente wie „Das haben wir aber immer so gemacht.“ oder „Das geht nicht.“ können gute Ansätze bereits im Keim ersticken. Für Nonn steht fest: „Wo es keine Toleranz gibt und kein konstruktiver Dialog geführt wird, da gibt es Streit – bis hin zur Spaltung. Dafür gibt es in der Kirchengeschichte genügend Beispiele.“
Dass Modetrends die zukünftige Liturgie beeinflussen oder gar prägen werden, hält Nonn für nicht wahrscheinlich. „Ich glaube viel mehr, dass wir uns auf alte Gottesdienstformen besinnen werden, zum Beispiel auf Segnungsgottesdienste, wo wir den Zuspruch Gottes erfahren können.“ So gibt es in Hannover oder im Untereichsfeld – in Hilkerode – Valentinsgottesdienste, wo sich alt- oder jungverliebte Paare segnen lassen können. „Einige stufen dies als Modetrend ein, obwohl Segnungsgottesdienste eine uralte Gottesdienstform sind, wie man in der Apostelgeschichte nachlesen kann. Auch Paulus und Barnabas werden mit einem Segnungsgottesdienst auf die Reise zu den Ältesten nach Jerusalem geschickt.“ Nur war diese Gottesdienstform lange in Vergessenheit geraten oder wurde wie die Segnung von Paaren zum Ehejubiläum in eine Messfeier integriert.
Von Eventgottesdiensten hält der Liturgieexperte Nonn nicht viel. „Wenn ein Event in den Vordergrund rückt und der eigentliche Kern des Gottesdienstes in den Hintergrund gerät, läuft was falsch. Wir brauchen keine Events und keine Showmaster am Altar. Was wir brauchen, sind ruhige, gut zelebrierte Gottesdienste.“ Die einzelnen Elemente, die genutzt werden, sollen unterstreichen, Akzente setzen und nicht die mitfeiernde Gemeinde überfüttern. „Das haben wir im normalen Alltag schon genug. Es muss in einem Gottesdienst auch ruhige, stille Phasen geben – auch mal ohne meditatives Orgelspiel. Berieselung und Hektik gibt es schon genug um uns herum, das brauchen wir nicht auch noch in der Kirche“, betont der Ordensmann. „Für mich ist dann eine Grenze der Toleranz erreicht, wenn die Liturgie, die mit ihrer Dramaturgie durch den Gottesdienst führen und begleiten soll, zur Show wird, zur Show verkommt.“
Man darf auch nicht – nur weil es immer so war – Gottesdienstformen künstlich am Leben erhalten. „Das beste Beispiel sind Jugendgottesdienste. Eine Generation oder auch mehrere werden mit bestimmten modernen Liedern – ihrer Zeit – begeistert alt, während die gleichen Melodien und Texte die heutige Jugend gar nicht mehr ansprechen. Da muss man aufpassen und sich auch einmal von einer lieb gewordenen Form verabschieden oder sie dem Lebensalter der Gottesdienstbesucher anpassen“, findet Nonn.
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Benediktinerpater Nikolaus Nonn leitet den Fachbereich Liturgie des Bistums Hildesheim. Foto: Edmund Deppe |
Ein gutes Beispiel sei die Jugendvesper im Dom, die zwischendurch auch „on Tour“ geht, hinein in die Fläche des Bistums. „Sie hat ein neues, ganz anderes Konzept als ihre Vorgängerin, die Jugendvesper in Marienrode, die auf dem Stundengebet meiner Mitschwestern, der Benediktinerinnen, aufbaute. 2011, mit der 50. Jugendvesper, endete dieses erfolgreiche liturgische Angebot – nach insgesamt zehn Jahren. Ob es die Jugendvesper im Dom genauso lange geben wird, weiß keiner – warten wir es ab.“
Wenn Pater Nikolaus auf die Gottesdienste seiner Kinder- und Jugendzeit zurückblickt, fällt ihm auf: „Die Haltung der Gottesdienstbesucher hat sich besonders in den letzten 20, 30 Jahren verändert. Sie ist selbstbewusster geworden. Die Menschen lassen sich nicht mehr alles gefallen, akzeptieren nicht, wenn die Messe luschig oder so husch, husch gefeiert wird. Sie haben einen gewissen Anspruch. Sie wollen ernst genommen werden und sie wollen angesprochen werden. Und wenn das nicht geschieht, suchen sie sich einen anderen Gottesdienstort oder bleiben ganz weg.“
Mehr Verantwortung für die Laien
Viele Möglichkeiten und Elemente, die die Liturgie schon heute parat hält, werden nicht oder nur sehr sporadisch genutzt. Nonn wünscht sich für die Zukunft, dass die Laien, besonders in ihren liturgischen Diensten, gestärkt werden: „Sie haben schon heute ein hohes Selbstbewusstsein und ein sehr fundiertes Knowhow. Meine Vision für 2030 oder auch schon früher ist: Laien werden eigenverantwortlich – als Chef der Liturgie – Gottesdienste vorbereiten und ihnen vorstehen. Sie werden ihr Licht nicht mehr unter den Scheffel stellen, sondern ihre Charismen in der Liturgie – aber nicht nur dort – einsetzen und zum Leuchten bringen. 2030 wird im Bereich der Liturgie das richtig genutzt, was es heute zwar schon gibt, aber noch nicht überall angekommen ist und von einigen bislang auch nicht akzeptiert wird“, prophezeit der Liturgieverantwortliche und ergänzt: „Dafür muss man kein Hellseher sein, sondern einfach nur Realist.“
Von Edmund Deppe