Täglich berichten Medien über Attentate, Amokläufe und Anschläge. Doch wie viel Berichterstattung ist gut oder fördert sie nur Nachahmer? Ein Kommentar von Roland Juchem.
In den vergangenen Wochen gab es – gefühlt – täglich Berichte über Attentate, Amokläufe, Anschläge. Von nachrichtlichem Sommerloch kann keine Rede sein. Nicht zum ersten Mal, aber stärker als früher fordern nun Psychologen, Medienforscher und Soziologen, die Berichterstattung über solche Gewalttaten zu überdenken und radikal einzuschränken.
Als Gründe führen sie den Nachahmungseffekt für potentielle Gewalttäter an, aber auch unnötige Verunsicherung, ja Panik in der Bevölkerung. Da ist etwas dran. Am vergangenen Freitagabend zeigten mehrere Fernsehsender immer wieder dieselben Videosequenzen aus München, in denen etwa eine Gruppe Polizisten mit kugelsicheren Westen eine Straße entlangtrabt, in denen Augenzeugen ständig wiederholen, was sie gesehen haben, und Reporter immer noch nicht mehr wissen. So etwas sorgt mehr für Aufregung als für genaue Information. Die gab es zu dem Zeitpunkt nicht, konnte es kaum geben. (Von den Aufgeregtheiten, Falschmeldungen und dummdreister Hetze in sozialen Netzwerken ganz zu schweigen.)
Zugegeben: Als Redakteur einer Wochenzeitung, der sein Blatt einmal in der Woche füllen muss, habe ich gut reden. Die Kollegen vom Fernsehen müssen 24 Stunden füllen. Dennoch bleibt die Frage: Was schreiben wir, was senden wir? Etliche Medien klären inzwischen auf: „Was wir wissen …“ und „Was wir nicht wissen …“
Ein Vorschlag als Ergänzung: Am vergangenen Freitagabend telefonierte eine Bekannte mit ihrer Tochter, die auf dem Weg nach Salzburg war. Weil der Münchner Hauptbahnhof gesperrt war, endete ihr Zug in Ingolstadt. Am Bahnsteig, so erzählte die Tochter am Handy, standen Ingolstädter und sprachen Bahnreisende an, die nicht weiterkamen, und boten ihnen eine Übernachtung an. Ähnliches wurde aus München berichtet. Deutschland ist also nicht nur verunsichert, sondern auch spontan und hilfsbereit.
Um nicht missverstanden zu werden: Es geht nicht darum, Probleme klein- oder schönzureden. Es geht weder um Zensur bei Attentaten und Amokläufen noch um falsche „politische Korrektheit“. Es geht um Angemessenheit. Zum Beispiel: In den 1970er und 1980er Jahren gab es in Europa viel mehr Terror-opfer als in den 2000er und 2010er Jahren bisher. Es geht um Unterscheidung. Und vor allem darum, dass unsere Gesellschaft friedlich bleibt. Aufrüstung mit Worten und – wie etwa in USA – mit Waffen ist da ebenso hinderlich wie Angst, Hass und Pauschalurteile.
Von Roland Juchem