Der katholische Frohsinn in Person: Diakon Willibert Pauels war 17 Jahre lang ein Star des Kölner Karnevals. Bis er sich im Sommer 2012 in eine psychiatrische Klinik einliefern ließ. Wegen seiner Depression. Davon erzählt er jetzt in seinem Buch „Wenn dir das Lachen vergeht“.
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Mit Hütchen und Pappnase: So kannte das närrische Publikum den "Bergischen Jung" Willibert Pauels. Der "schwarze Hund" blieb unsichtbar. Foto: pr |
Wie’s dem Willibert Pauels zurzeit geht? „Gott sei Dank sehr gut“, sagt er. „So gut wie seit Jahren nicht.“ Er schwärmt von seiner Arbeit als hauptberuflicher Diakon im Seelsorgebereich Oberberg-Mitte, das sind acht Kirchengemeinden in Gummersbach. Sein Pfarrer setze das pastorale Personal nach dem Grundsatz „Charisma vor Bedarf“ ein. Und weil Willibert Pauels zwar „den Leuten ein Kotelett an die Backe quatschen“ kann, aber wenig talentiert ist „in allem, was gut durchstrukturierte Organisation verlangt“, listet er als seine Hauptaufgaben auf: „Predigten, Andachten, Beerdigungen, Trauungen.“ Wobei ihm, fügt er sofort hinzu, die Beerdigungen besonders wichtig sind. Erst vor wenigen Tagen sei ihm ein Kondolenzbesuch „richtig unter die Haut gegangen“.
Natürlich bedeute Seelsorge für acht Gemeinden Stress. Positiven Stress: abends komme er mit dem „Gefühl zufriedener Müdigkeit“ nach Hause. Zur Illustration schickt er einen Spruch hinterher aus seinem reichen Vorrat, Konfuzius in diesem Fall: „Wähle einen Beruf, den du liebst, und du brauchst keinen Tag in deinem Leben zu arbeiten.“ Alles also im grünen Bereich beim Willibert.
Das ist noch nicht lange so. Denn seit er zehn ist, begleitet ihn der „schwarze Hund“, wie Pauels seine Depression nennt.
Ein Abgrund. Ein Kerker. Ein Vorgeschmack auf die Hölle
Eines Nachts wacht der Junge auf, schreit und weint. Gut, er hat am Abend im Fernsehen einen spannenden Film gesehen. Da träumt man ja mal schlecht. Einer wie Willibert sowieso: „Der Junge hat zu viel Fantasie“, meint der Vater. Aber reicht das als Erklärung für Williberts böses Erwachen, das sich in den folgenden Nächten wiederholt? In seinem Buch erinnert sich Pauels an seine Empfindung damals: „Ein Gefühl hoffnungsloser Verlorenheit und panischer Angst.“
Sprich: Depression. Wie fasst man diese Gemütslage in Worte? Pauels schreibt „von einem aufgewühlten Meer der Angst, in das ich jederzeit stürzen kann, mitten im größten Trubel, und dem Gefühl, darin zu versinken, zu ertrinken“. Er bezeichnet die Depression als „Abgrund der Sinnlosigkeit“ und „Vorgeschmack auf die Hölle“ und vergleicht sie mit einem Kerker: „In diesem Kerker bist du allein. Du bist einsam. Kein Laut dringt herein. Kein Lichtstrahl erreicht dich dort.“
Lange erträgt Pauels die Qualen, die ihn oft heimsuchen. Er hält sie für den Preis, den er für seine Künstlernatur zahlen muss. Ein Künstler hat halt kein dickes Fell, er ist dünnhäutig. Das hilft ihm ebenso wie eine große Vorstellungskraft: „Ich kann mir jederzeit das Schönste wie das Schrecklichste ausmalen.“ Ist ja bekannt, dass viele Künstler melancholisch bis verzweifelt sind, psychisch krank, süchtig. Und der Clown ist traurig, das weiß doch jeder.
Bei Pauels geht es nie so weit, dass er seinem Leben ein Ende setzen will. Aber dann und wann greift ihn der „schwarze Hund“ besonders aggressiv an. Einmal steht Pauels um zwei Uhr nachts im Badezimmer und schlägt den Kopf gegen die Wand. Immer wieder. Nach zwei Beruhigungsspritzen geht es einigermaßen. Im Sommer 2012 geht es nicht mehr. Ausgerechnet im Urlaub befallen ihn allnächtlich schwere Panikattacken. Er gesteht sich ein: „Ich kann nicht mehr.“ Ein befreundeter Psychiater drängt: „Geh es endlich professionell an.“
Als Willibert Pauels mit seinem Koffer vor der Tür einer Klinik in Neuss steht, ist er erstaunt. Klapsmühle? Düsterer Bau mit vergitterten Fenstern? Nein, das „Zentrum für seelische Gesundheit“ ist ein lichtdurchflutetes Gebäude. Das Zimmer hat Fernseher, Kühlschrank und ein großes Fenster mit Blick auf den schönen Garten draußen. Alles wie in einem guten Hotel. Hier gelingt es, den „schwarzen Hund“ einzufangen und einzusperren („Ganz los werde ich ihn wohl nie werden“). Medikamente helfen dabei, ein Therapieprogramm – und die Entscheidung, aus dem professionellen Karneval auszusteigen.
„Ja, sind Sie verrückt?“, entfährt es dem Arzt
Ein Buch darüber zu veröffentlichen, „wie ich meine Depression überwunden habe“ – so der Untertitel –, das ist nicht auf seinem Mist gewachsen. Der Verlag ist auf Pauels zugekommen und hat ihm mit Leo G. Linder einen erfahrenen Ghostwriter zur Seite gestellt. Zusammen haben sie, was widersprüchlich klingt, ein unterhaltsames Buch über Depression verfasst. Aber so mag es Willibert Pauels. Und bringt, richtig, gleich ein Zitat. Nikolaus von Kues: „Gott ist der Zusammenfall aller Gegensätze.“ In diesem durchaus ernsthaften und in vielen Passagen anrührenden Buch wimmelt es also zugleich von Bonmots, Witzen, Gedichten, Anekdoten, Weisheiten, Märchen, Randgeschichten. Mal ernst, mal heiter, hier ein Schenkelklopfer, da eine Portion Philosophie und dort eine kurze Predigt.
Pauels erzählt darin nicht nur die Geschichte seiner Depression, sondern auch die seines Lebens. Geboren und aufgewachsen in Wipperfürth im Bergischen Land, studiert er in Bonn und Münster Theologie. Er will Priester werden, wird aber unsicher, ob das tatsächlich seine Berufung ist. Bis ihm der hellsichtige Spiritual des Theologenkonvikts rät, es besser bleiben zu lassen: „Jung, loset sin.“ So wird Pauels Ständiger Diakon. Und er heiratet, wird Vater.
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Die Bütt und die Kanzel: Diakon Pauels predigt auch gern. Foto: pr |
Eine Weile arbeitet er hauptberuflich als Diakon; nebenbei macht er Kabarett und steigt als „ne Bergische Jung“ in die Bütt, meist bei Karnevalssitzungen katholischer Gemeinden und Vereine zwischen Wipperfürth und Leverkusen. Eher zufällig gerät der begabte Amateur 1995 in eine RTL-Nachmittagsshow und darf sich nach dem gelungenen TV-Auftritt dem Festkomitee des Kölner Karnevals präsentieren. Mit Erfolg: Der „Bergische Jung“, dessen Verkleidung sich auf Hütchen, Pappnase und Hochwasserhose beschränkt, wird in die Eliteklasse der Kölner Büttenredner aufgenommen. Karnevalist und Kabarettist ist nun sein Hauptberuf. Allein zwischen dem Elften im Elften und Karnevalsdienstag bringt er es auf 200 bis 300 Auftritte. Diakon ist er nur mehr im Nebenamt.
Eindrucksvoll schildert Pauels in seinem Buch, wie das konkret abläuft, wenn ein Spitzenredner des Kölner Karnevals an einem einzigen Wochenende 20 Säle zum Kochen zu bringen hat. Als er, nach dem Zusammenbruch, seinem Arzt in der Klinik davon erzählt, entfährt es dem Doktor spontan: „Ja, sind Sie verrückt?“
Pauels sieht ein, dass sich derlei Strapazen mit dem Heilungsprozess nicht vereinbaren lassen. Vom – berufsmäßigen – Karneval nimmt er Abschied. Zwar tritt er noch gelegentlich auf, macht ein wenig Kabarett, ein wenig Karneval. Ganz ohne Bühne kann er nicht. Braucht er auch nicht – jetzt ist’s Freizeitvergnügen des wieder hauptamtlichen Diakons.
Fehlt ihm der Beifall? „Nein“, sagt Pauels. „Denn früher war die Angst vor dem Nichtbeifall zu groß.“ Was ist mit Erfolgserlebnissen, die der Büttenredner ja hat, wenn ihm zugejubelt wird? Wann erlebt er in seinem Dienst als Diakon Erfolge? Zum Beispiel beim Predigen, antwortet er. „Wenn es in der Kirche still wird.“ Nicht, weil die Leute eingeschlafen sind, versteht sich. Sondern weil eine aufmerksame Stille herrscht. „Die ist mehr wert als der brausendste Applaus.“
In ein paar Wochen wird Willibert Pauels 61. Ruhestand in Sicht. Beschäftigt er sich damit? „Nein, eigentlich ist das noch weit weg.“ Nach kurzem Überlegen: „Ach ja, reisen würde ich schon gern. Lange Eisenbahnfahrten.“ Pause. „Nach Nordkorea vielleicht.“ Nordkorea? „Na ja, wo hat man sonst die Gelegenheit, live im Fegefeuer zu sein?“
Von Hubertus Büker
Willibert Pauels: Wenn dir das Lachen vergeht. Wie ich meine Depression überwunden habe. Gütersloher Verlagshaus, 256 Seiten, 19,99 Euro