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Jesus und die Scheidung

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Die biblischen Schriftsteller und Jesu Wort

Kann das Zufall sein? Ausgerechnet zum Beginn der Familiensynode bietet die Leseordnung die entscheidende Bibelstelle zum Thema Ehescheidung samt ihrer schöpfungstheologischen Begründung. Also alles klar?

In der Tora ist das jüdische Scheidungsgesetz geregelt. Jesus setzt etwas anderes dagegen. Foto: fotolia

Würde man die gesamte theologische Literatur zum Thema Ehe und Ehescheidung zusammenpacken: Man könnte eine kleine Bibliothek füllen. Das Thema ist kompliziert:

 

1. Scheidung: normal zur Zeit Jesu

In der jüdischen Rechtsordnung hatte die Ehe eine klaren Zweck: männliche Nachkommen hervorzubringen. Sollte eine Frau das nicht schaffen, gab es Regelungsbedarf. Zum Beispiel konnte der Mann die Frau aus der Ehe entlassen. Im Buch Deuteronomium heißt es: „Wenn ein Mann eine Frau geheiratet hat und ihr Ehemann geworden ist, sie ihm dann aber nicht gefällt, weil er an ihr etwas Anstößiges entdeckt“, dann kann er ihr „eine Scheidungsurkunde ausstellen, sie ihr übergeben und aus dem Haus fortschicken“. Was das „Anstößige“ sein kann, darüber wurde viel diskutiert, aber klar ist: Die Scheidung ist rechtlich „geregelt“ – ein Fortschritt in der Rechtskultur. Und: Die Frau ist trotzdem ziemlich ausgeliefert. 

 

2. Das Jesuswort

In den Evangelien gibt es vier „Jesusworte“. Bibelwissenschaftler sind sich heute weitgehend einig in zwei Dingen: Erstens: Das ursprüngliche Jesuswort stammt aus der verschollenen Spruchquelle „Q“. Zweitens: Es ist „authentisch“, man kann also davon ausgehen, dass Jesus es selbst gesagt hat – vor allem, weil es mit der Grundlinie Jesu übereinstimmt: der Botschaft einer radikalen Liebe und einer neuen Sicht auf Frauen: Sie sind kein Besitz, der einfach abgelegt werden kann.

Was hat er aber nun gesagt? Das weiß keiner ganz genau, weil es für die „Spruchquelle“ keine schriftlichen Zeugnisse gibt. Aber die Wissenschaftler vermuten diese Worte: „Jeder, der eine Frau entlässt und eine andere heiratet, begeht Ehebruch; und wer eine Entlassene heiratet, begeht Ehebruch.“ In dieser Fassung ist es beim Evangelisten Lukas (16,18) überliefert.

 

3. Was Markus daraus macht

Markus bettet die Frage in ein Streitgespräch mit den Pharisäern ein und stellt ihrer Juristerei ein theologisches Ideal entgehen: Gott hat am Anfang der Schöpfung Mann und Frau einander zugeordnet, darum soll der Mensch nicht trennen, was Gott verbunden hat. Allerdings, so Jesus: Weil die Menschen so hartherzig sind, gelten seit Jahrhunderten die überlieferten Scheidungsgesetze. Und weil Jesus sich damit etwas um die Antwort herumdrückt, stellt er später im Gespräch mit den Jüngern klar: Wenn ein Mann seine Frau entlässt, begeht er Ehebruch. 

Aber Markus geht auch kreativ mit dem Jesuswort um, denn: Dasselbe gilt für die Frau – obwohl die nach damaligem jüdischen Recht ihren Mann gar nicht entlassen konnte. Doch Markus schaut auf seine griechische Gemeinde, in der Frauen mehr Rechte haben und wendet Jesu Absicht auf die gesellschaftlichen Verhältnisse in seinem Umfeld an.

 

4. Was Matthäus daraus macht

Die Gemeinde, für die Matthäus schreibt, war jüdisch geprägt, der Scheidebrief für Männer eine Selbstverständlichkeit. Deshalb mildert Matthäus das Jesuswort ab: „Wer seine Frau entlässt, obwohl kein Fall von Unzucht vorliegt, und eine andere heiratet, der begeht Ehebruch“ (19,9 und 5,32). Denn durch „Unzucht“ – gemeint ist die Untreue der Frau – ist die schöpfungsmäßige Einheit der Ehe bereits zerstört; nicht der Scheidebrief richtet die Zerstörung an. Scheidung bei Untreue der Frau ist bei Matthäus deshalb erlaubt. 

 

5. Was Paulus daraus macht

Paulus ist Missionar. Er gründet Gemeinden in anderen Kulturkreisen und macht die Erfahrung, dass nicht immer beide Partner sich zum Christentum bekehren. Daran können Ehen manchmal zerbrechen. Was soll man dann tun? Paulus kennt das Jesuswort und zitiert es im 1. Korintherbrief der Sache nach (7,11). Aber er fügt hinzu: „Den Übrigen sage ich, nicht der Herr ... Wenn der Ungläubige sich trennen will, soll er es tun. Der Bruder oder die Schwester ist in solchen Fällen nicht wie ein Sklave gebunden; denn zu einem Leben in Frieden hat Gott euch berufen.“

 

6. Wie es weiterging

Die junge Kirche hat das Wort Jesu nicht als ehernes Gesetz verstanden, deshalb gibt es die Varianten in der Scheidungspraxis schon in der Heiligen Schrift. Und bei den „Kirchenvätern“ ging es so weiter. Auch Joseph Ratzinger gestand als Präfekt der Glaubenskongregation zu, dass einige Kirchenväter „auf der pastoralen Ebene eine gewisse Flexibilität mit Rücksicht auf schwierige Einzelsituationen toleriert“ haben. Und noch Thomas von Aquin (1225–1274) betont, dass die konkrete Ordnung der Ehe, also das Eherecht, wandelbar sei. Erst das Konzil von Trient lehrt die Sakramentalität der Ehe und das absolute Scheidungsverbot. Aber es verurteilt die Praxis der orthodoxen Kirchen nicht, die bei „heilloser Zerrüttung“ Barmherzigkeit gewährt.

Es stimmt also beides: Jesus hat einen Maßstab gesetzt, hinter den wir nicht zurück dürfen. Ehe ist „auf immer“ angelegt, keiner verfügt über den anderen, keiner „entlässt“ den anderen. Aber: Schon die Evangelisten haben das Wort Jesu auf ihre pastoralen Notwendigkeiten hin angepasst, damit die Verheißung Jesu lebbar bleibt.

Von Susanne Haverkamp

 

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