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Liebesgabe aus USA

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Care-Pakete mit Lebensmittelrationen waren wichtige Hilfe

Am 15. Juli 1946 kamen die ersten von insgesamt 9,5 Millionen Care-Pakete aus Amerika in Bremerhaven an. Erinnerungen an das Glück, eines zu bekommen.

Ursula Pfennig (76) zeigt ein altes Familienbild aus dem Jahr 1948. Sie ist ganz rechts zu sehen. Damals konnte die Familie nur durch die Care-Pakete überleben. Foto: Tillo Nestmann

Ursula Pfennig (76) aus Ahlem bei Hannover erinnert sich genau: „Insgesamt bekamen wir zwei Care-Pakete. Das erste brachte uns Kaplan Peinelt von der Kirche St. Benno in Hannover-Linden. Im Paket waren drei große Dosen, eine mit Käse, eine mit Milchpulver, eine mit Butter. War das eine Freude!“

Ursula Pfennig ist damals ein sechs Jahre altes Mädchen und heißt mit Familiennamen Fuchs. Zusammen mit der Mutter Helena Fuchs (38), dem fünfjährigen Bruder Heinrich und der zweijährigen Schwester Irmgard ist sie im Sommer 1946 aus dem schlesischen Ort Puschwitz bei Breslau vertrieben worden. Der Vater Paul Fuchs ist in sowjetischer Kriegsgefangenschaft und stirbt am 29. Januar 1947 in einem Lager bei Stalino (Georgien).

„Heimlich klauten wir Kartoffeln und Korn“

Die Familie, die bis zum Jahr 1945 eine Stellmacherei und eine kleine Landwirtschaft besaß, hat bis zur Vertreibung Schlimmes durchgemacht. Ursula Pfennig: „Uns war alles beschlagnahmt worden. Mutter hat dann heimlich etwas von unseren Kartoffeln und unserem Korn geklaut. Sonst wären wir verhungert.“ Wenn die sowjetischen Soldaten ihrer Mutter Gewalt antun wollten, klammerten sich die Kinder an ihre Rockschöße. Meist ließen die Soldaten dann von ihr ab.

Als die sechsjährige Ursula im Sommer 1946 mit Mutter und Geschwistern nach Hannover-Ahlem kommt, besitzt die Familie außer der Kleidung auf dem Leibe nur noch das Familienstammbuch und einen Kinderwagen. Sie erhält in der Wohnung des Malermeisters Meyer ein Zimmer zugeteilt. Im einzigen Bett schlafen die Mutter und die beiden älteren Kinder. Die zweijährige Irmgard schläft im Kinderwagen.

Ehemalige Kriegsgegner helfen den Deutschen zu überleben: Aus Amerika kommen die Care-Pakete mit Nahrungsmitteln.     Von der hungernden Bevölkerung werden sie heiß ersehnt. Foto: kna-bild

Am schlimmsten ist der Hunger. Lebensmittel sind rationiert. Der Mensch hat einen Grundbedarf von 2600 Kalorien. 1800 Kalorien sind zum Überleben nötig. Im Sommer 1946 stehen dem Normalverbraucher in der britischen Besatzungszone 1216 Kalorien zu. Nicht einmal die sind sicher. Vor allem fehlt es an Fett und Eiweiß.

Die Familie geht über die Dörfer betteln. Ursula Pfennig: „In Harenberg bei Gehrden lebte eine Arztfamilie. Von der haben wir öfter ein Wurstbrot geschenkt bekommen. Oh, wie lecker hat das geschmeckt!“ Die Mutter hilft bei dem Ahlemer Bauern Flebbe, schlachtet, rupft Hühner und Gänse. Als Lohn bekommt sie die Füße, Innereien oder den Hals, „damit bei uns ein paar Fettaugen auf der Suppe schwammen.“

In jedem Paket 40 000 Kalorien

In dieser prekären Zeit haben sich in den USA 22 Verbände zur Hilfsorganisation Care zusammengeschlossen. Care lebt von Spenden und garantiert den Empfang am Bestimmungsort. Care-Pakete können an Einzelpersonen und Organisationen geschickt werden. Die Verteilung übernehmen Caritas, Innere Mission und Arbeiterwohlfahrt. Die Pakete sind auf Familien zugeschnitten, Inhalt: Fleisch- und Fettkonserven von zusammen 40 000 Kalorien. Später kommen Schulpakete, Pakete für Waisenheime und Medikamentenpakete hinzu.

Persönlich bestimmte Pakete bekommt die Familie von Wolfgang Triebsch (80), der heute in Hannover-Davenstedt lebt. Der damals Zehnjährige ist im Jahr 1946 mit Eltern und drei jüngeren Geschwistern aus dem schlesischen Neisse nach Pattensen bei Winsen an der Luhe vertrieben worden. Sie bekommen eine ganze Menge Pakete. Die schickt Onkel Rainhold aus Chicago. Rainhold Casper ist der Bruder von Wolfgang Triebschs Mutter. Er ist in der Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre in die USA ausgewandert. Die Geschwister haben bis zum Krieg regen Briefkontakt gehalten. Das hilft der Familie jetzt sehr. Außer Fett- und Fleischkonserven sind in den Paketen auch Genussmittel dabei. Wolfgang Triebsch erinnert sich besonders gern an die Schokolade. „Und für mich hatte der Onkel sogar einen Fußball reingepackt.“

Von Tillo Nestmann


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