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Auch er ist zerschlagen

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Trost und Hoffnung: Bilder des geschundenen Christus

Kann man Jesus Christus darstellen? Und wenn ja, wie? Als Gott? Als Mensch? Als Herrscher oder – wie in den Lesungen – als leidender und mitleidender Gottesknecht, sterbend und geschunden am Kreuz? Die Kunst hat diese Frage über die Jahrhunderte unterschiedlich beantwortet.

 

Das "crucifixus dolorosus" (14. Jahrhundert)
Foto: Dom- und Diözesanmuseum Mainz/Schermuly

Der leidende Christus hängt am Kreuz. Überlebensgroß, ein brutal geschundener Körper. Zwischen den steil nach oben gezerrten Armen hängt der ausgemergelte Leib, sein schweres, dornengekröntes Haupt ist leblos nach vorn gefallen. Deutlich treten Rippen, Sehnen und die klaffende Seitenwunde hervor. Ursprünglich traten an den drastisch aufgerissenen Wundmalen plastisch gestaltete Bluttrauben aus. 

Um 1350 wurde dieses Kreuz für die Kirche St. Michael in Ingelheim geschaffen, jetzt hängt es im Mainzer Dom- und Diözesanmuseum. Winfried Wilhelmy ist sein Direktor. „Das Kreuz ist typisch für das 14. Jahrhundert“, erzählt er. „Pestkreuze“ wurden diese Darstellungen später genannt. Denn durch die großen Pestepidemien die, so Wilhelmy,  „wie ein Kulturschock“ wirkten, erlebten die Menschen das Leiden selbst hautnah. Die Apokalypse schien bevorzustehen. 

 

Christus leidet, wie die Menschen leiden

Das spiegelte sich in der Darstellung des Leidens am Kreuz wider: die menschliche Seite Gottes: der Leidende, der leidet, wie Menschen leiden, aus Mitleid als Stellvertreter Sühne für die Schuld der Welt leistet, als Projektionsfläche des selbst erlebten Leidens. „Solche drastischen Darstellungen des Leidenden wie damals finden wir erst wieder in der Neuzeit“, sagt der Museumsdirektor.

Das Mainzer Dom- und Diözesanmuseum verfügt in seinem Bestand über zahlreiche Kreuzesdarstellungen aus unterschiedlichen Jahrhunderten. Winfried Wilhelmy kennt die Veränderungen. Die wichtigste: In den ersten Jahrhunderten hat die christliche Kunst ganz auf die Darstellung des Gekreuzigten verzichtet. Die schändliche Todesart schien nicht vereinbar mit der Verehrung des Gottessohnes. Das Zeichen für das neu entstehende Christentum sollte nicht das des Leidenden sein. 

Dies änderte sich bis ins achte und neunte Jahrhundert – das Christentum war längst weit verbreitet –, als man in der westlichen Kunst Christus am Kreuz als Sieger darstellte: mit goldenem Heiligenschein, geöffneten Augen, in festlichem Gewand: das Leid verklärt, der Tod besiegt vom thronenden König des Lebens. Der Gekreuzigte steht herrschaftlich als Hoherpriester vor dem Kreuz – auf zwei Füßen, von einem Schemel gestützt.

Erst gut dreihundert Jahre später kam die Frage auf, ob man Christus in seiner Göttlichkeit überhaupt angemessen darstellen könne: „Darstellungswürdig ja, aber auch darstellungsfähig? Das ist in der christlichen Kunst immer wieder die Frage“, berichtet Wilhelmy. Auch deshalb rückte die Mystik des 13. Jahrhunderts das stellvertretende Sühneleiden Christi in den Blick, und in der christlichen Kunst entstanden Kreuze wie das „crucifixus dolorosus“ (rechts), das „schmerzensreiche Kreuz“. 

Eine erneute Kehrtwende brachte das späte 16. Jahrhundert: Die Spuren des Leidens wurden in den Kreuzesdarstellungen wieder getilgt. Christus am Kreuz sieht aus wie ein „kraftstrotzender Muskelmann“, sagt Museumsdirektor Wilhelmy. Michelangelo wirkte mit seiner Kunst als Vorbild. Die Göttlichkeit des Erlösers sollte eindrucksvoll dargestellt werden. Vom menschlichen Blick wurde die Perspektive auf den göttlichen Aspekt gelenkt. Und Gott leidet nicht, er erlöst vielmehr das Leiden der Menschen. Der wahre Gott zeigt sich im Guten und Schönen, selbst am Kreuz. 

Spätbarock und Rokoko des 18. Jahrhunderts nehmen immer mehr die Auferstehung in den Fokus. Christus wird entrückt dargestellt. Er hat das Kreuz, das Leiden und den Tod hinter sich gelassen, er ist nicht mehr der Schmerzensmann. Das will Hoffnung machen für irdisches Leid, das nicht das letzte Wort haben wird. Christus ist der Erlöser am Kreuz, lichterfüllt, nicht mehr der Geschundene.

 

Viele moderne Kreuze verzichten auf den Körper

Die moderne Kunst schließlich betonte im 20. Jahrhundert zunächst das Abstrakte, das Undarstellbare. So verzichten viele Kreuze ganz auf den Leidenden, Kreuze, die man kaum als Kruzifixe erkennen kann, weil entweder das Kreuz oder der Körper – oder beide – nicht mehr figürlich dargestellt werden. 

Auch politisierte Darstellungen – bekannt ist etwa der „Christus am Kreuz mit der Gasmaske“ von George Grosz – forderten immer wieder das Kunst- und das Theologieverständnis heraus: Kann man, darf man Gott so darstellen? Sind es nicht alles nur menschliche Projektionen, Wunschvorstellungen, Annäherungen, die mehr oder weniger gelingen können?

Und wohin geht die Entwicklung? Winfried Wilhelmy glaubt, dass nach hundert Jahren der abstrakten Darstellungen die Entwicklung wieder zum eher Figürlichen führt. Theologie entwickelt sich, Kunst entwickelt sich. Bisweilen inspirieren sie sich gegenseitig. Und am Ende ist Christus – ob wie in der heutigen Lesung als leidender Gottesknecht oder als königlicher Hoherpriester dargestellt – doch als Gott immer der „ganz andere“.

Von Michael Kinnen


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