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Beten in 140 Zeichen

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Zum Beispiel #twomplet: Jeden Abend um 21 Uhr treffen sich Christen zum Nachtgebet – im Internet

Die Bitte um eine ruhige Nacht und ein gutes Ende hat eine lange Tradition in der christlichen Kirche. Mit ihr endet die Komplet, das Nachtgebet. Überliefert ist sie mindestens seit dem 6. Jahrhundert. Und so etwas Altes lockt Abend für Abend Christen an – im Internet.

 

Nun gut, ein bisschen moderner klingt das anziehende Nachtgebet schon: #twomplet. Ein Kunstwort:  Das K in Komplet ist einen tw gewichen. Der Grund: Die Komplet wird auf dem Kurznachrichtendienst Twitter gebetet (siehe rechts). Das komische Zeichen vor dem Namen ist ein sogenannter „Hashtag“ – es sorgt für Aufmerksamkeit. Und andere Twitterer können danach suchen. Wie vieles in sozialen Netzwerken im Internet ist die #twomplet spontan entstanden.

Januar 2014:  Benedikt Heider beziehungsweise @_DerHeidi_, wie sich der heute 19-Jährige bei Twitter nennt, schickt eine Nachricht, einen Tweet: „Und nachher singen wir das Salve Regina gemeinsam!“ So weit, so gut.
Aber echtes Gemeinschaftsgefühl kam dabei nicht auf, erinnert sich Heider. Doch die Grundlage zu einer anderen Idee war gelegt: ein Gebet, mit Psalmen, Impulsen und Fürbitten. Miteinander wird der Tag vor Gott gebracht: die alte Tradition der Komplet im neuen Gewand. Mit einer besonderen Herausforderung: Die einzelnen Tweets dürfen nicht länger als 140 Zeichen sein – einschließlich Leerzeichen. Fasse dich kurz. Durchaus eine Herausforderung.

Rückschau auf den Tag, Lobgesang des Simeon

Jeder, der möchte, kann so eine #twomplet vorbereiten. Anmeldung genügt. Jedes Nachtgebet ist anders. Das schätzt auch Andrea Rehn-Laryea, Pastoralreferentin aus Lüneburg – und eine „Twompletin“ der fast ersten Stunde. „Es macht schlicht Spaß“, begründet sie ihr Engagement. Egal ob als Vor- oder als Mitbetende.
Manche #twomplet fängt mit einer Tagesrückschau an, andere beginnen mit einem Psalm, dritte wiederum mit einem musikalischen Impuls. Einige halten sich eher eng an die klassische Form einer Komplet mit Lesung, Vaterunser, Psalmgebet und dem Lobgesang des Simeon – des Greises, der bei der Darstellung des gerade geborenen Herrn im Tempel von Jerusalem den Messias erkennt. „Andere interpretieren das Nachtgebet freier, setzen Musik ein oder geben besondere Impulse.“

Mal Mit-, mal Vorbetende: Andrea Rehn-Laryea, Pastoralreferentin aus Lüneburg, schätzt, wie die „#twomplet“ Gemeinschaft stiftet. Fotos: Wala

Zwei Elemente aber bleiben bei aller Unterschiedlichkeit gleich. Zum einen:  „Mit dem Nachtgebet können wir den Tag loslassen, ihn positiv zu Ende bringen“, meint Andrea Rehn-Laryea. Auch wenn vieles in den vergangenen Stunden schief gegangen ist. Zum anderen: „Große Bedeutung haben immer die Fürbitten.“ Von ganz eigenen Anliegen bis zu den großen Bitten um Frieden und Gerechtigkeit – frei formuliert und gewissermaßen in die Liturgie „reingeschrieben“: „Das kennt man aus dem normalen Gottesdienst nicht.“ Auf diesem Weg nehmen Mitbetende Anteil aneinander: „Das ist wirklich bewegend“, betont Andrea Rehn-Laryea: „Das öffnet den Blick für Menschen und deren Sorgen, die ich sonst nie gesehen hätte.“

Eher Beten auf Marktplatz als in der Kirche

Hinzu kommt: Die #twomplet ist öffentlich. „Gewissermaßen beten wir nicht in einer geschützten Kirche, sondern eher auf dem Kirchplatz oder sogar in der Fußgängerzone.“ Jeder kann nach dem Hashtag, dem Schlagwort suchen, jeder kann auf dem Monitor verfolgen, was gebetet wird. Von dieser Warte aus betrachtet, spielt die Konfession eine geringe Rolle. „Evangelisch oder katholisch ist eher die Quelle, aus der Betende schöpfen“, erläutert die Pastoralreferentin: „Wahrgenommen werden wir als christlich.“

Gut zwei bis zweieinhalb Stunden dauert es für Andrea Rehn-Laryea, bis „ihre“ #twomplet steht. Inhaltlich lässt sie sich vom Tagesevangelium inspirieren – oder auch von einem besonderen Ereignis des Tages. Für sie ist die Musikauswahl besonders wichtig: „Da suche ich lange, bis ich die passenden Lieder gefunden habe.“ Zudem gilt es, Texte und Impulse in 140 Zeichen zu „zerlegen“: „Das ist auch ein bisschen Übersetzungsarbeit“, meint Andrea Rehn-Laryea. Kürzen, zuspitzen, einfacher formulieren. Eines wird ihr dabei immer wieder deutlich: „Wir haben einen so reichen Schatz an Gebeten, an liturgischen Hilfen, an Texten – den heben wir noch viel zu selten.“

Der typische Verlauf einer #twomplet im Internet: Impulse, Verse, Gebete und auch Musikstücke werden „getweetet“. Mitbetende reagieren darauf, fügen ihre Gedanken und Bitten dazu. Und manchmal macht auch die Internetverbindung Schwierigkeiten.

Bleibt noch eine Frage: Wie lang ist eine #twomplet eigentlich. „So unterschiedlich wie ihre Gestaltung“, berichtet Andrea Rehn-Laryea. Sie selbst achtet darauf in „gut 35 Minuten durch zu sein.“ Andere Gebete gehen schon mal über eine Stunde.

#twomplet als Thema in der Bischofskonferenz

Mittlerweile weiß auch die Deutsche Bischofskonferenz um den Wert der #twomplet. Sie war eines der Beispiele, die im Studienteil zu sozialen Medien auf der letzten Vollversammlung in Hildesheim vorgestellt wurden.

„Gott wird dabei sichtbar“, betont Pater Maurius Runge. Der Benediktiner aus der Abtei Königsmünster hat die Bischöfe über die #twomplet informiert. Er hat zusammen mit Benedikt Heider die #twomplet aus der Taufe gehoben. Pater Maurus versteht das gemeinsame Abendgebet als „niederschwelliges Angebot gerade für Menschen, die Kirche nicht nahestehen.“ Eine große Chance Menschen zu erreichen – vor allem, „wenn Kirche nicht belehrend, sondern dialogisch auftritt, die Fragen und Nöte aufgreift.“

Die #twomplet führe zur Rede mit Gott, zum Gebet. Sie sei auch deshalb so authentisch, weil sie „gewissermaßen von unten, von engagierten Christinnen und Christen eingerichtet wurde, die zeigen, wie selbstverständlich ein Gebet ist.“ Kurzum: Für Pater Maurus bieten die #twomplet und andere Gebetsangebote in Internet (siehe rechts) große Chancen.

Das sieht auch Kardinal Reinhard Marx so:  „Mir ist deutlich geworden, dass die in der digitalen Welt vorfindbare Kommunikation auf Augenhöhe mit den theologischen Grundprinzipien der katholischen Lehre gut zusammenpassen.“ Allerdings müssten die Chancen und He­rausforderungen „sensibel abgewogen werden“, betonte Marx unmittelbar nach Ende der Vollversammlung.

Die von Marx beschworene Kommunikation auf Augenhöhe bleibt übrigens nicht nur auf das Internet beschränkt:  Fast 1000 „Follower“ zählt die #twomplet-Gemeinde mittlerweile. Verstreut über ganz Deutschland und darüber hinaus. Aber sie besuchen sich. Davon zeugen immer wieder kleine Nachrichten, die besagen: „Habe heute .... getroffen.“

Vorläufiger Höhepunkt: eine baldige Trauung. Im November letzten Jahres twitterte @oblatin-OSB:  „also Jürgen & ich haben uns verlobt. Hier in der Twapelle haben wir uns zum 1.Mal getroffen #twomplet“. Bald ist Hochzeit. Die #twomplet funktioniert auch im richtigen Leben.

Fazit: Beten in 140 Zeichen? Geht. Und es wird mehr draus.

Rüdiger Wala


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