Theologische Diskussionen vorantreiben. Evangelisches und katholisches Christentum miteinander versöhnen. Neue Gottesdienstformen erproben. Es gäbe viele Aufgaben, die in den drei ökumenischen Kirchenzentren im Bistum Hildesheim im Mittelpunkt der Arbeit stehen könnten. Doch im Kirchencentrum auf dem Mühlenberg in Hannover zeigt sich: Gelebte Ökumene muss sich den Bedingungen vor Ort anpassen.
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Pfarrer Klemens Teichert (links) und Pastor Holger Hannemann teilen sich im Kirchencentrum auf dem Mühlenberg mehr als nur das Gebäude: Die Gemeinden stehen vor ähnlichen sozialen Herausforderungen. Foto: Kleine |
Es sind die praktischen Fragen des Alltags, die im ökumenischen Kirchencentrum auf dem Mühlenberg im Vordergrund stehen: Wo werden dienstags die Lebensmittel für Bedürftige ausgeteilt? Hat die Kleiderkammer davor oder danach geöffnet? Und brauche ich für den Mittagstisch in Empelde einen Bezugsschein? Brot für den Magen statt Brot für die Seele. Laib statt Luther.
„Eigentlich ist der Stadtteil Mühlenberg am Rande der Stadt Hannover für die gutbürgerliche Mitte in den 60er- und 70er-Jahren gebaut worden“, sagt der Pfarrer der katholischen St.-Maximilian-Kolbe-Gemeinde, Klemens Teichert. Stattdessen aber entwickelte der Mühlenberg sich seit den 80er-Jahren zu einem der Problemviertel der Landeshauptstadt: Migranten zogen verstärkt zu, deutsche Gemeindemitglieder und Bewohner ab. Zu dem Zeitpunkt, als der Stadtteil kippte, stand auf dem Mühlenberg bereits das ökumenische Kirchencentrum, das neben der katholischen Kirchengemeinde auch die evangelisch-lutherische Bonhoeffer-Gemeinde beherbergt. Ein gemeinsames Projekt des Bistums Hildesheim und der evangelisch- lutherischen Landeskirche.
Kein Interesse an Ökumene bei Spätaussiedlern
Für das ökumenische Kirchencentrum hätten die ersten Bewohner des gerade entstehenden Stadtteils Mühlenberg voller Elan und Euphorie gekämpft, sagt Pfarrer Teichert. Es war die Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Viel erschien möglich in der Ökumene. Mit den evangelischen Christen hatte man sich lange Zeit einen Baucontainer als provisorische Kirche geteilt, bevor schließlich 1982 das gemeinsame Zentrum fertiggestellt wurde. Doch mit der sozialen Schieflage des Stadtviertels kamen auch die Kirchengemeinden in Bedrängnis: „Aktuell ist es so, dass ich kaum auf ehrenamtliche Unterstützung in meiner Gemeinde zählen kann“, sagt Pastor Holger Hannemann. Er ist seit Mitte der 80er-Jahre der evangelische Pastor auf dem Mühlenberg – mit einer halben Stelle und unterstützt von einer Sekretärin und einem Hausmeister, die ein paar Stunden die Woche da sind. „Ich habe viele Spätaussiedler aus Russland in meiner Gemeinde. Die wollen außer Gottesdiensten nichts von Kirche wissen. Gemeinde-Aktivitäten oder gar Bildungsveranstaltungen zum Thema Ökumene stoßen da auf gar kein Interesse.“
Auch Pfarrer Teichert hat rund 5000 Spätaussiedler aus Polen und Russland in seiner Gemeinde. „Die können mit Ökumene einfach gar nichts anfangen. Die kommen mit Gesangsbüchern aus dem Jahr 1885 zur Messe“, erklärt er. „Beide Gemeinden müssen bereits in sich eine hohe Integrationsleistung erbringen. In der katholischen und der evangelischen Kita liegt die Quote von Kindern mit Migrationshintergrund bei 99 Prozent. Und wir versuchen die Schwierigkeiten des Stadtteils aufzufangen.“
Ein Schwerpunkt der ökumenischen Arbeit liegt darum auf dem Mühlenberg auf der gemeinsamen Bekämpfung des Elends und der Armut. „Gerade bei sozialen Fragen können wir viel auf dem kurzen Dienstweg besprechen“, erklärt Hannemann. Und auch gemeinsame Gottesdienste seien möglich, wenn auch nicht ganz ohne Reibungen. „Es ist schon ein Pulverfass, wenn wir gemeinsam den ersten Advent feiern und dann findet keine Eucharistie statt. Dann kommt schon die Frage, ob das überhaupt ein richtiger Gottesdienst war“, berichtet Teichert.
„Viele Modelle, die es da gibt, haben uns einfach nicht überzeugt. Geteilte Altäre und was es da so gibt. Das haben wir dann gelassen“, sagt Hannemann. Stattdessen besuche sich die Gemeinde regelmäßig zu Ostern und zu Weihnachten. „Momentan muss man eher davon sprechen, dass wir viel nebeneinander herlaufen. Parallele Ökumene sozusagen“, sagt Pfarrer Teichert. Und sein evangelisches Pendant ergänzt: „Wir versuchen Stege zwischen den Parallelen einzubauen. Aber das geht bei uns im Kirchencentrum ganz besonders langsam voran, weil wir hier einfach nicht die Gruppe haben, die sich Ökumene auf die Fahne geschrieben hat.“
Erschwerend zum Projekt Ökumene auf dem Mühlenberg kommt noch hinzu, dass einige Rahmenbedingungen sich seit der Gründung des Zentrums verschoben haben: Die katholische Gemeinde St. Maximilian Kolbe wuchs auf bis zu 7000 Mitglieder an und vergrößerte sich in Richtung Landkreis. Die evangelische Bonhoeffer-Gemeinde schrumpfte auf 2500 Mitglieder und orientierte sich eher in Richtung Stadtmitte. Und auf beiden Seiten alterten die Menschen, die sich für Ökumene begeistern. „Mir scheint es so, als ob Ökumene ein Projekt ist, das eher die Menschen ab 60 Jahren aufwärts noch bewegt“, sagt Pfarrer Teichert. „Das hat aber auch mit der ökumenischen Eiszeit ab Mitte der 80er-Jahre zu tun. Beide Kirchen haben sich stark auf das eigene Profil konzentriert.“
Trotzdem gehen die beiden Geistlichen Hand in Hand voran und legen dabei besonders Wert auf die Gottesdienstgestaltungen. „Wenn das hier vor Ort gut angenommen wird, sollten wir uns darauf konzentrieren. Ich glaube, dass wir in Zukunft als Christen mit einer Stimme reden und zusammen handeln müssen. Die Grundfrage unserer Gesellschaft wird in der Zukunft nicht sein, ob man katholisch oder evangelisch ist. Sondern wie man noch an einen Gott glauben kann“, sagt Teichert.
Taufe soll als gemeinsames Sakrament betont werden
Gemeinsam mit Hannemann trifft er sich alle sechs Wochen zur Dienstbesprechung. Sie planen zu vielen Feiertagen gemeinsame Gottesdienste. Nach den regulären Sonntagsgottesdiensten findet im großzügigen Foyer, das die katholische und evangelische Kirche und deren Büros und Gemeinderäume miteinander verbindet, eine Begegnung bei Kaffee und Kuchen statt. Ebenfalls alle sechs bis acht Wochen trifft sich auch das Küchenkabinett: Vertreter der beiden Gemeinden sind je bei einem der beiden Geistlichen zu Gast. Der muss kochen. Und es wird diskutiert – über Fragen, die das gemeinsame Gebäude betreffen. „Aber auch über Befindlichkeiten“, sagt Hannemann. „Manchmal gehen wir auch zwei Schritte vor und einen zurück.“
Ein gemeinsames ökumenisches Projekt haben Pfarrer und Pastor auf dem Mühlenberg für die Zukunft schon identifiziert: Die Taufe soll als gemeinsames Sakrament für das Kirchencentrum stärker betont werden. „Man könnte zum Beispiel ein gemeinsames Taufbecken in das Foyer stellen“, sagt Teichert. An Perspektiven für die gemeinsame Arbeit mangele es nicht.
Marie Kleine
Ökumenische Kirchenzentren
Zentren in Lüneburg, Hannover und Klein-Berkel
Im Bistum Hildesheim gibt es drei Ökumenische Kirchenzentren: das Ökumenische Kirchencentrum Mühlenberg in Hannover, das ökumenische Zentrum St. Stephanus in Lüneburg-Kaltenmoor und das ökumenische Kirchenzentrum in Hameln-Klein Berkel. Sie sind im Zuge eines Aufbruchs in der römisch-katholischen Kirche nach dem Ökumenismusdekret des II. Vatikanischen Konzils von 1964 entstanden. Ein zentrales Anliegen des Konzils war es, die Einheit der Christen wieder herzustellen, was in den ökumenischen Zentren auch baulich zum Ausdruck kommen soll.