Quantcast
Channel: KirchenZeitung
Viewing all 5035 articles
Browse latest View live

Zwei Schritte vor, einen zurück

$
0
0
Kirchencentrum auf dem Mühlenberg balanciert zwischen sozialen Fragen und ökumenischem Auftrag

Theologische Diskussionen vorantreiben. Evangelisches und katholisches Christentum miteinander versöhnen. Neue Gottesdienstformen erproben. Es gäbe viele Aufgaben, die in den drei ökumenischen Kirchenzentren im Bistum Hildesheim im Mittelpunkt der Arbeit stehen könnten. Doch im Kirchencentrum auf dem Mühlenberg in Hannover zeigt sich: Gelebte Ökumene muss sich den Bedingungen vor Ort anpassen.

Pfarrer Klemens Teichert (links) und Pastor Holger Hannemann teilen sich im Kirchencentrum auf dem Mühlenberg mehr als nur das Gebäude: Die Gemeinden stehen vor ähnlichen sozialen Herausforderungen. Foto: Kleine

Es sind die praktischen Fragen des Alltags, die im ökumenischen Kirchencentrum auf dem Mühlenberg im Vordergrund stehen: Wo werden dienstags die Lebensmittel für Bedürftige ausgeteilt? Hat die Kleiderkammer davor oder danach geöffnet? Und brauche ich für den Mittagstisch in Empelde einen Bezugsschein? Brot für den Magen statt Brot für die Seele. Laib statt Luther.

„Eigentlich ist der Stadtteil Mühlenberg am Rande der Stadt Hannover für die gutbürgerliche Mitte in den 60er- und 70er-Jahren gebaut worden“, sagt der Pfarrer der katholischen St.-Maximilian-Kolbe-Gemeinde, Klemens Teichert. Stattdessen aber entwickelte der Mühlenberg sich seit den 80er-Jahren zu einem der Problemviertel der Landeshauptstadt: Migranten zogen verstärkt zu, deutsche Gemeindemitglieder und Bewohner ab. Zu dem Zeitpunkt, als der Stadtteil kippte, stand auf dem Mühlenberg bereits das ökumenische Kirchencentrum, das neben der katholischen Kirchengemeinde auch die evangelisch-lutherische Bonhoeffer-Gemeinde beherbergt. Ein gemeinsames Projekt des Bistums Hildesheim und der evangelisch- lutherischen Landeskirche.

Kein Interesse an Ökumene bei Spätaussiedlern

Für das ökumenische Kirchencentrum hätten die ersten Bewohner des gerade entstehenden Stadtteils Mühlenberg voller Elan und Euphorie gekämpft, sagt Pfarrer Teichert. Es war die Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Viel erschien möglich in der Ökumene. Mit den evangelischen Christen hatte man sich lange Zeit einen Baucontainer als provisorische Kirche geteilt, bevor schließlich 1982 das gemeinsame Zentrum fertiggestellt wurde. Doch mit der sozialen Schieflage des Stadtviertels kamen auch die Kirchengemeinden in Bedrängnis: „Aktuell ist es so, dass ich kaum auf ehrenamtliche Unterstützung in meiner Gemeinde zählen kann“, sagt Pastor Holger Hannemann. Er ist seit Mitte der 80er-Jahre der evangelische Pastor auf dem Mühlenberg – mit einer halben Stelle und unterstützt von einer Sekretärin und einem Hausmeister, die ein paar Stunden die Woche da sind. „Ich habe viele Spätaussiedler aus Russland in meiner Gemeinde. Die wollen außer Gottesdiensten nichts von Kirche wissen. Gemeinde-Aktivitäten oder gar Bildungsveranstaltungen zum Thema Ökumene stoßen da auf gar kein Interesse.“

Auch Pfarrer Teichert hat rund 5000 Spätaussiedler aus Polen und Russland in seiner Gemeinde. „Die können mit Ökumene einfach gar nichts anfangen. Die kommen mit Gesangsbüchern aus dem Jahr 1885 zur Messe“, erklärt er. „Beide Gemeinden müssen bereits in sich eine hohe Integrationsleistung erbringen. In der katholischen und der evangelischen Kita liegt die Quote von Kindern mit Migrationshintergrund bei 99 Prozent. Und wir versuchen die Schwierigkeiten des Stadtteils aufzufangen.“

Ein Schwerpunkt der ökumenischen Arbeit liegt darum auf dem Mühlenberg auf der gemeinsamen Bekämpfung des Elends und der Armut. „Gerade bei sozialen Fragen können wir viel auf dem kurzen Dienstweg besprechen“, erklärt Hannemann. Und auch gemeinsame Gottesdienste seien möglich, wenn auch nicht ganz ohne Reibungen. „Es ist schon ein Pulverfass, wenn wir gemeinsam den ersten Advent feiern und dann findet keine Eucharistie statt. Dann kommt schon die Frage, ob das überhaupt ein richtiger Gottesdienst war“, berichtet Teichert.

„Viele Modelle, die es da gibt, haben uns einfach nicht überzeugt. Geteilte Altäre und was es da so gibt. Das haben wir dann gelassen“, sagt Hannemann. Stattdessen besuche sich die Gemeinde regelmäßig zu Ostern und zu Weihnachten. „Momentan muss man eher davon sprechen, dass wir viel nebeneinander herlaufen. Parallele Ökumene sozusagen“, sagt Pfarrer Teichert. Und sein evangelisches Pendant ergänzt: „Wir versuchen Stege zwischen den Parallelen einzubauen. Aber das geht bei uns im Kirchencentrum ganz besonders langsam voran, weil wir hier einfach nicht die Gruppe haben, die sich Ökumene auf die Fahne geschrieben hat.“

Erschwerend zum Projekt Ökumene auf dem Mühlenberg kommt noch hinzu, dass einige Rahmenbedingungen sich seit der Gründung des Zentrums verschoben haben: Die katholische Gemeinde St. Maximilian Kolbe wuchs auf bis zu 7000 Mitglieder an und vergrößerte sich in Richtung Landkreis. Die evangelische Bonhoeffer-Gemeinde schrumpfte auf 2500 Mitglieder und orientierte sich eher in Richtung Stadtmitte. Und auf beiden Seiten alterten die Menschen, die sich für Ökumene begeistern. „Mir scheint es so, als ob Ökumene ein Projekt ist, das eher die Menschen ab 60 Jahren aufwärts noch bewegt“, sagt Pfarrer Teichert. „Das hat aber auch mit der ökumenischen Eiszeit ab Mitte der 80er-Jahre zu tun. Beide Kirchen haben sich stark auf das eigene Profil konzentriert.“

Trotzdem gehen die beiden Geistlichen Hand in Hand voran und legen dabei besonders Wert auf die Gottesdienstgestaltungen. „Wenn das hier vor Ort gut angenommen wird, sollten wir uns darauf konzentrieren. Ich glaube, dass wir in Zukunft als Christen mit einer Stimme reden und zusammen handeln müssen. Die Grundfrage unserer Gesellschaft wird in der Zukunft nicht sein, ob man katholisch oder evangelisch ist. Sondern wie man noch an einen Gott glauben kann“, sagt Teichert.

Taufe soll als gemeinsames Sakrament betont werden

Gemeinsam mit Hannemann trifft er sich alle sechs Wochen zur Dienstbesprechung. Sie planen zu vielen Feiertagen gemeinsame Gottesdienste. Nach den regulären Sonntagsgottesdiensten findet im großzügigen Foyer, das die katholische und evangelische Kirche und deren Büros und Gemeinderäume miteinander verbindet, eine Begegnung bei Kaffee und Kuchen statt. Ebenfalls alle sechs bis acht Wochen trifft sich auch das Küchenkabinett: Vertreter der beiden Gemeinden sind je bei einem der beiden Geistlichen zu Gast. Der muss kochen. Und es wird diskutiert – über Fragen, die das gemeinsame Gebäude betreffen. „Aber auch über Befindlichkeiten“, sagt Hannemann. „Manchmal gehen wir auch zwei Schritte vor und einen zurück.“

Ein gemeinsames ökumenisches Projekt haben Pfarrer und Pastor auf dem Mühlenberg für die Zukunft schon identifiziert: Die Taufe soll als gemeinsames Sakrament für das Kirchencentrum stärker betont werden. „Man könnte zum Beispiel ein gemeinsames Taufbecken in das Foyer stellen“, sagt Teichert. An Perspektiven für die gemeinsame Arbeit mangele es nicht.

Marie Kleine

 

Ökumenische Kirchenzentren
Zentren in Lüneburg, Hannover und Klein-Berkel

Im Bistum Hildesheim gibt es drei Ökumenische Kirchenzentren: das Ökumenische Kirchencentrum Mühlenberg in Hannover, das ökumenische Zentrum St. Stephanus in Lüneburg-Kaltenmoor und das ökumenische Kirchenzentrum in Hameln-Klein Berkel. Sie sind im Zuge eines Aufbruchs in der römisch-katholischen Kirche nach dem Ökumenismusdekret des II. Vatikanischen Konzils von 1964 entstanden. Ein zentrales Anliegen des Konzils war es, die Einheit der Christen wieder herzustellen, was in den ökumenischen Zentren auch baulich zum Ausdruck kommen soll.


"Es herrscht eine vergiftete Stimmung"

$
0
0
Christen in Indien

Das einst tolerante Klima kippt: "Indien den Hindus" lautet die Parole einer fundamentalistischen Hindu-Organisation. Christen und Muslime werden immer stärker unterdrückt.

Teesta Setalvad ist eine bekannte Bürgerrechtlerin in Indien.
Foto: KNA

"Es geht um die Seele Indiens." Teesta Setalvad, eine der bekanntesten Bürgerrechtlerinnen des Landes, ist alarmiert. In der mit 1,3 Milliarden Einwohnern größten Demokratie der Welt, die im August 70. Geburtstag feiert, verändern sich die Koordinaten. Nichtregierungsorganisationen werden kriminalisiert und behindert. Muslime, Christen und moderate Hindus geraten unter Druck, bilanziert die 54-Jährige im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Indien ist eine säkulare und plurale Demokratie, so steht es jedenfalls in der Verfassung von 1950. Doch besonders seit dem Wahlsieg von Narendra Modi von der hindu-nationalistischen Partei BJP 2014 wachsen die Konflikte.

Auch Erzbischof Felix Machado aus dem Bistum Vasai macht sich Sorgen. Eine kleine, aber einflussreiche Minderheit radikaler Hindus verändere das bislang weitgehend tolerante Klima, sagt der katholische Geistliche. "Sie versuchen, Indiens Identität mit dem Hinduismus gleichzusetzen und haben Rückhalt bis in höchste Regierungskreise."

 

Fanatische Hindu-Bewegung mit Kontakten in die Regierungspartei

Mit besonderer Sorge verfolgen Menschenrechtler und kirchliche Hilfsorganisationen wie das internationale katholische Missionswerk missio Aachen, wie die fanatische Hindu-Bewegung RSS, die eng mit der Regierungspartei BJP verknüpft ist, an Einfluss gewinnt. "Indien den Hindus", lautet die Parole. Premier Modi spricht sich zwar offiziell für Pluralismus aus, schweigt aber zu radikalen Äußerungen und Übergriffen.

Es geht um Macht. Christen und Muslime prangern etwa eine Hinduisierung des Bildungswesens an. Selbst kleine Anlässe wie etwa der Verzehr von Rindfleisch durch Muslime können zu Lynchmorden führen. Auch der Vorwurf der Missionierung bedrängt Christen und Muslime. Mehrere Bundesstaaten haben Antikonversionsgesetze erlassen - die aber nicht greifen, wenn es um Konversionen zum Hinduismus geht. Hindu-Nationalisten behaupten, 2014 mehr als 30.000 Menschen zum Hinduismus "heimgeführt" zu haben.

Gewalt gegen Christen und Muslime hat seit Modis Machtantritt deutlich zugenommen. Menschenrechtsorganisationen haben mehr als 760 gewalttätige Übergriffe gegen religiöse Minderheiten zwischen Mai 2014 und September 2015 dokumentiert. 136 der seit März 2015 verübten 163 Angriffe waren gegen Christen gerichtet. Ein Hotspot ist der Bundesstaat Odisha (bis 2011 Orissa).

"Wir haben Angst vor Weihnachten", sagt Ajaya Kumar Singh, katholischer Priester in Bhubaneswar, der Hauptstadt des Bundesstaates an der Ostküste. Jedes Jahr versuchten radikale Hindus, durch Straßenblockaden und bewaffnete Schlägertrupps Christen vom Besuch der Weihnachtsgottesdienste abzuhalten. "Die Behörden versprechen Sicherheit - aber nichts geschieht", kritisiert der Träger des Nationalpreises für Menschenrechte.

 

Trauma in der Region Kandhamal

Eine Christin, deren Mann zu Unrecht verhaftet wurde.
Foto: KNA

Dabei leiden die Christen in Odisha, besonders in der Region Kandhamal, unter einem großen Trauma: Im August 2008 eskalierte die Situation, nachdem dort ein bedeutender Hindu-Mönch ermordet worden war. Obwohl maoistische Gruppen die Verantwortung übernahmen, schoben Hindu-Nationalisten den Christen die Schuld zu. Vier Monate tobte der Mob. Mehr als 100 Christen wurden ermordet, Tausende verletzt, 5.600 Häuser geplündert und in Brand gesteckt und mehr als 300 Kirchen zerstört.

Mehr als 50.000 Christen mussten fliehen - und leben teils bis heute in Behelfsunterkünften, weil sie nicht in ihre Dörfer zurückkehren dürfen. Und die, die zurückkehren, fürchten täglich, dass ihre Nachbarn wieder zu Plünderern und Mördern werden könnten.

"Es herrscht eine vergiftete Stimmung", sagt die Grundschullehrerin Shibani Behera bei einem Treffen im katholischen Seminar von Balliguda. Auch Singh ist besorgt. Der katholische Priester schreibt mit am für 2017 erwarteten Bericht des UN-Menschenrechtsrates zu Indien. In seinen Büroräumen in Bhubaneswar ist kaum ein Durchkommen: Auf Tischen und auf dem Fußboden stapeln sich DVDs und gedruckte Berichte, die die Gewalt in Kandharmal dokumentieren. An Wäscheleinen baumeln Fotos von verbrannten und verstümmelten Menschen. An den Wänden erzählen gemalte Bilder von zerstörten Häusern und Kirchen.

Unterstützung bietet der Geistliche auch den sieben Frauen, deren Männer 2008 wegen des Mordes an dem Hindu-Mönch bei Nacht aus ihren Häusern geholt und in einem offenkundig manipulierten Prozess verurteilt wurden. Acht Jahre später sind die Männer immer noch in Haft. Ein Akt der Willkür, wie der Geistliche betont.

Und für die Ehefrauen eine Katastrophe. Vier von ihnen, die an diesem Morgen zum Treffen im Seminar von Balluga gekommen sind, wirken trotz ihrer bunten Saris verhärmt und schwer gebeugt. "Es ist so schwer zu leben ohne Mann und Vater", berichten sie mit Tränen in den Augen.

"Wer uns hilft, bekommt selbst Probleme", schluchzt eine der Frauen und verhüllt ihren Mund mit ihrem Schleier. "Ich kann keinem Hindu mehr trauen. Ich habe Angst, mit ihnen zusammenzuleben", sagt die andere. Singh hofft unterdessen, dass die Justiz doch noch für Gerechtigkeit sorgt. Zumindest hat das Oberste Gericht im August die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen die sieben Christen angeordnet.

KNA

Noch geht ihm nicht die Puste aus

$
0
0
Zum 80. Geburtstag von Papst Franziskus

Am Vorabend des vierten Advents feiert Papst Franziskus seinen 80. Geburtstag. Große Feiern wird es nicht geben. Stattdessen sieht sich Franziskus heftiger Kritik ausgesetzt.

Am 17. Dezember wird Papst Franziskus 80 Jahre alt. Foto: KNA

Denk- und Diskussionsverbote sind unter Franziskus gefallen. Er selbst fordert die offene Diskussion. „Das hat er nun davon“, könnte man sagen: Nach öffentlich vorgetragenen Zweifeln von vier Kardinälen an Aussagen des päpstlichen Schreibens „Amoris Laetitia“ zieht die Kritik am Papst Kreise. Unverhohlen wird Franziskus dabei zuweilen in die Nähe eines Irrlehrers gerückt. „Manche verstehen immer noch nicht“, entgegnete dieser in einem Interview. Das Leben sei nun mal nicht nach dem Schema „Schwarz und Weiß“ zu beurteilen. 

Das ist ein Kernanliegen des Papstes: die Kirche herauszuführen aus einer rigoristischen Beurteilung von Lebenslagen, weg von der moralisch überhöhten Besserwisserin, hin zu einer Begleiterin, einer barmherzigen Mutter. Doch damit mutet der Papst seiner Kirche viel zu – er provoziert Diskussionen, bricht mit Traditionen und verunsichert manchen Gläubigen und Hierarchen. 

In gängige Denkmuster lässt sich der Papst dabei nicht pressen. Ist er nun links, liberal, konservativ? Er spricht von Hölle und Teufel, ohne dass ihm das jemand übel-
nähme. Anders schon eher bei seiner massiven Kapitalismuskritik, die sich aus seinen Erfahrungen der ungerechten Wirtschaftssysteme Lateinamerikas speist. 

 

Papst Franziskus: freundlich und machtbewusst

Franziskus ist kein netter älterer Herr, der Kinder tätschelt, sich umarmen und berühren lässt. Das auch. Aber vor allem ist er ein Umkehrprediger. Gerne nimmt er sich das eigene Personal vor – Bischöfe, Priester, Ordensleute. Doch auch einfache Gläubige bekommen ihr Fett weg, etwa wenn er über laue Christen herzieht. Franziskus fordert und mahnt, ermutigt und bestärkt aber auch.  

Sein Reformprogramm einer armen betenden und den Menschen zugewandten Kirche unterscheidet sich gar nicht so sehr von der entweltlichten Kirche, die Papst Benedikt in seiner Freiburger Rede erträumte. Anders als Benedikt aber versteht es Franziskus, seine Botschaft mit Gesten und Taten zu unterstreichen. Er führt das Papstamt auf menschliches Maß zurück. 

Macht und Würde seines Amtes hat er dabei beileibe nicht vergessen. „Es gefällt mir ganz gut“, antwortete er auf die Frage, wie es ist, Papst zu sein. Bei der Familiensynode ließ er keinen Zweifel daran, wer Herr im Hause ist. Um seinen Führungsanspruch zu untermauern, zitierte er aus dem Ersten Vatikanischen Konzil, das wegen des Unfehlbarkeitsdogmas nicht unumstritten ist. „Das hat sich bislang noch kein Papst getraut“, sagt Pater Bernd Hagenkord von Radio Vatikan. Auch im Alltag hält Franziskus die Zügel in der Hand. Die bei seinen Vorgängern fast übermächtigen Sekretäre wie Stanislaw Dziwisz oder Georg Gänswein gibt es bei Franziskus nicht. „Alles, was den Papst angeht, geht tatsächlich über seinen Schreibtisch“, sagt Pater Hagenkord.

Dennoch bleibt unter Franziskus das Papstamt etwas Besonderes. Einen Rücktritt zu einem festen Termin, etwa zum 80. Geburtstag wie bei Kardinälen, hat er ausgeschlossen: „Das Amt des Papstes hat etwas von einer letzten Instanz. Es ist eine besondere Gnade.“ Und diese Instanz verlässt man auch in den Augen von Franziskus erst, wenn die Kräfte tatsächlich aufgezerrt sind.

Von Ulrich Waschki

Gottes vergessene Sprache

$
0
0
Träume und ihre Bedeutung

Josef träumt und erkennt, dass er Maria zu sich nehmen soll, sie nicht verstoßen soll, weil sie ein Kind erwartet. So schildert es das Evangelium von diesem Sonntag. Eindeutig ein religiöser Traum. In anderen Fällen jedoch ...

Unwirklich, nebelhaft, schwankend - so und ähnlich können Träume daherkommen. Wie viel Wirklichkeit steckt in ihnen? Und welche? Diese Fragen beschäftigen Menschen seit Jahrtausenden. Foto: istock

Ein junger Mann träumt, dass er am Steuer seines Autos sitzt, aber das Auto fährt nicht in die Richtung, in die er lenkt; er gibt Gas und versucht, einen Berg hinaufzufahren, aber das Auto stockt und bleibt stehen. Ist das auch ein religiöser Traum? 

Träume beschäftigen jeden, der träumt und sich am Morgen daran erinnert: Was bedeutet der Traum in meiner Situation für mein Leben? Heute ist das auch Alltag von Psychologen und Therapeuten – oder auch in medizinischer Hinsicht von Neurologen, die sich fragen: Was passiert eigentlich in unserem Gehirn und in unserem Körper, wenn wir träumen? Die Frage, ob und was Träume bedeuten, wird dadurch aber nicht leichter beantwortet.

Für den Psychologen und wissenschaftlichen Leiter des Schlaflabors am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, Professor Michael Schredl, ist klar, dass das, was Menschen im Wachzustand erleben, auch im Traum vorkommt. Umgekehrt beeinflussen Träume auch das Wachleben. Darüber gebe es in der Wissenschaft keinen Streit. Aber, so sagt er auch: „Die biologische Maschine des Gehirns funktioniert während des Schlafes etwas anders als im Wachzustand. Damit erklären sich Wissenschaftler auch ungewöhnliche Erlebnisse.“ 

 

Die Lösung eines Problems kommt im Traum selten vor

Wenn das Gehirn über Nacht nicht von dem beeinflusst ist, was die Augen gerade sehen und die Ohren hören, arbeitet es auch an Problemen weiter, die den Menschen beschäftigen, aber lösen kann es sie natürlich nicht von alleine: „Wir wissen, dass von Problemen geträumt wird, aber direkte Lösungen kommen selten vor. Wenn ein Traum als hilfreich erlebt wird, kann ich nie sicher sein, ob die Problemlösung dadurch zustande gekommen ist, dass sie geträumt worden ist, oder dadurch, dass ich im Wachzustand über den Traum reflektiert habe“, erklärt Schredl. 

Gefragt, ob Träume etwas Göttliches sind, antwortet der Wissenschaftler, dass man sie zumindest religiös interpretieren dürfe. „Träume sind in der Bibel besondere literarische Formen. Man muss auch bedenken, dass die Menschen damals den Träumen eine andere Bedeutung zugemessen haben als heute. Wenn ein Prophet sagte: ,Ich habe dies und jenes geträumt‘, hatte es mehr Bedeutung, als wenn er gesagt hätte: ,Mir ist etwas beim Mittagessen eingefallen.‘“ 

Das Sonntagsevangelium berichtet vom Traum Josefs, der von einem Engel den Auftrag bekommt, sich nicht von Maria zu trennen, sondern sie zu sich zu nehmen und für sie und das Kind zu sorgen. Der Traum Jakobs von der Himmelsleiter, wenn Joseph die Träume des Pharao deutet oder Samuel in der Nacht Gottes Stimme hört: Die Bibel beschreibt zahlreiche Begegnungen mit Gott im Traum. Sie sind oft rätselhaft, und erst, wenn sie gedeutet werden, erkennen die Träumer, was der Traum ihnen sagt und was sie tun sollen. Nicht immer ist das so konkret wie im Traum Josefs im Evangelium.

Und so gibt es auch auf dem spirituellen Markt eine Fülle von Traum- und Deute-Büchern, bei denen man manchmal kaum unterscheiden kann, ob sie eher esoterisch oder theologisch-spirituell sind. Frauen zeigten durchschnittlich eher als Männer Interesse an Träumen und dem, was sie bedeuten könnten, hat Professor Schredl festgestellt. Auch bei Exerzitien, in der geistlichen Begleitung und im Seelsorgegespräch weist der Traum Perspektiven für den weiteren Weg.

 

Es gibt keine Mauern im Reich des Unbewussten

Der Benediktinerpater und Autor Anselm Grün ist aus vielen Seelsorgegesprächen und der Begleitung von Exerzitien überzeugt: „Gott ist immer bei uns und in uns, gerade auch in der Nacht, wenn wir daheim bei uns sind, wenn wir zurückfallen aus der Zerrissenheit des Alltags in die Einheit, wenn unser Herz sich zurücklehnt und eintaucht in das Reich des Unbewussten, in dem Gott keine Mauern zu durchbrechen braucht, um mit uns zu sprechen.“

Im Neuen Testament ist es vor allem der Evangelist Matthäus, der rund um die Geburt Jesu von Träumen berichtet; auch die Weisen aus dem Morgenland folgen den Hinweisen, die ihnen im Traum gegeben werden. Sie sind keine naiven „Träumer“, wie man abschätzig meinen könnte. Sie spüren: Gott will ihnen etwas sagen im Traum. 

Der 2013 gestorbene Theologe und Psychologe Helmut Hark nennt den Traum in einem Buch „Gottes vergessene Sprache“. Er hat viele Jahre als Psychotherapeut und Lebensberater gearbeitet und sieht seit der Psycho-analyse von Sigmund Freud und Carl Gustav Jung das Schlagwort „Träume sind Schäume“ widerlegt. Wenn er mit seinen Klientinnen und Klienten über ihre Träume gesprochen hat, dann sah Hark für die Psychotherapie auch die „Chance, durch alles Verdrängte und Verschüttete hindurch sein eigenes Selbst zu entdecken und wichtige Weisungen für seine Lebensgestaltung zu finden“.

Der Autofahrer, der nicht vorankommt, obwohl er Gas gibt, und dem das Lenkrad nicht mehr gehorcht, kann sich fragen, wo er in seinem Leben wirkungslos viel Kraft einsetzt und wo etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Vielleicht ändert er nach dem Traum sein Leben. Nicht alle diese Träume sind religiös. Sie sollen auch nicht überhöht werden. Aber vielleicht sind manche Träume doch ein Ohr für Gottes Ruf.

Von Michael Kinnen

Aus Tempelbergbesuch lernen

$
0
0
Reise deutscher Bischöfe ins Heilige Land

Aus dem Wirbel lernen: Kardinal Reinhard Marx äußert sich zu den Vorwürfen nach dem Besuch auf dem Tempelberg.

Kardinal Reinhard Marx und der evangelische Landesbischof
Heinrich Bedford-Strohm beim Besuch des Tempelbergs. Foto: KNA

Aus dem Wirbel um das Verhalten deutscher Bischöfe auf dem Jerusalemer Tempelberg müssen nach Ansicht von Kardinal Reinhard Marx alle Seiten Lehren ziehen. Evangelische und katholische Bischöfe waren zum Teil heftig kritisiert worden, weil sie dort während einer gemeinsamen Pilgerreise im Oktober ihre Brustkreuze zeitweise abgenommen hatten. Marx sagte im BR-Fernsehen, aus dieser Sache müssten alle lernen: "Denn wir gehen mit diesen hochsensiblen Orten immer noch nicht sehr sorgfältig um."

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz betonte, zur Zeit des Besuches habe auf dem Tempelberg und an der Klagemauer eine "sehr angespannte Situation" geherrscht: "Es ging darum, nicht zu provozieren." Marx fügte hinzu, vielleicht hätte man aufgrund der Brisanz auch darauf verzichten sollen, dort hinzugehen. Heute würde er sagen, das sei nicht gut vorbereitet gewesen.

Das Auftreten ohne sichtbare Brustkreuze hatte zu Kritik an Bischöfen geführt, auch am EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm. Kritiker werteten das Verhalten als Geste der Unterwerfung und der Feigheit. Sie erinnerten daran, dass anderswo Christen für ihren Glauben den Märtyrertod riskierten.

Marx sagte dazu, er sei traurig und bedauere es sehr, dass die Entscheidung, das Kreuz abzulegen, auf diese Weise wahrgenommen worden sei. Den Vorwurf jedoch, die Bischöfe hätten hier Unterwerfung und Verrat begangen, empfinde er als beleidigend. Er würde im Übrigen auch nicht wollen, dass die grüne Fahne des Propheten Mohammed in der Kirche ausgerollt werde.

Nach den Worten des Kardinals lässt sich aus dem Vorgang lernen, wie sensibel der Umgang der Religionen untereinander nach wie vor sei. "Viele von uns wissen vom Islam wenig." Außerdem könne man davon ausgehen, dass besonders im Orient weder Muslime noch Juden eine Vorstellung vom Christentum und der Bedeutung des Kreuzes hätten. Dieses werde in erster Linie als Dominanz der Kreuzfahrer gesehen. Seine Hauptsorge für die Zukunft sei, dass Religion wieder instrumentalisiert werde als Mittel für Auseinandersetzungen, so Marx.

KNA

Ist es in Ordnung, alte Bibel wegzuwerfen?

$
0
0
Anfrage

Kürzlich sind bekanntlich die katholische Einheitsübersetzung und die evangelische Luther-Bibel überarbeitet und veröffentlicht worden. Wenn ich nun eine neue habe, was mache ich mit der alten? Darf ich eine alte Bibel wegwerfen? B. M., per E-Mail

Die Bibel gilt zwar als „Wort Gottes“. Aber das bezieht sich auf den Inhalt, nicht auf den Gegenstand des Buches an sich. „Alte Bibeln darf man also wegwerfen. Ob man es tun sollte, ist eine andere Frage“, sagt etwa Thomas Söding, Professor für Neues Testament an der Ruhr-Universität Bochum.

Wer jahrelang mit einer bestimmten Bibel gelebt und gebetet hat, tut sich sicher ebenso schwer damit, sie zu entsorgen, wie mit einer alten Familienbibel oder einer besonders gestalteten Prachtausgabe. Wie ich mit der Bibel umgehe, ist eher eine Frage der Kultur als des Rechts. Allerdings ist das Verhältnis im Christentum entspannter als im Islam. Für die meisten Muslime ist es undenkbar, einen Koran wegzuwerfen. Er hat dort eine andere Bedeutung.

Eine zerschlissene billige Schulbibel mit der bisherigen Einheitsübersetzung kann man eher ins Altpapier geben als eine ältere illustrierte Ausgabe. Mitunter ist es sogar aufschlussreich, Übersetzungsvarianten zu vergleichen, wenn man sich mit einer bestimmten biblischen Erzählung oder anderen Textpassagen befasst. Wie lautet der Schöpfungsbericht in dieser Bibel und wie in jener?

Falls man eine alte Bibel dann doch entsorgt, sollte das so geschehen, dass daraus kein Akt der Missach-
tung des Wortes Gottes herausgelesen werden kann. Ein Buch ins Feuer zu werfen, ist eben doch etwas anderes, als es auf einem Bücherflohmarkt anzubieten oder mit anderen im Altpapiercontainer zu beseitigen.

Und eine alte Bibel-App für Tablet oder Smartphone wird man sicher noch eher löschen, wenn man ein Update installiert. Im Übrigen: „Für uns Christen“, so betont Thomas Söding, „steht das lebendige Wort Gottes im Mittelpunkt. Das lässt sich nicht zwischen zwei Buchdeckel pressen.“

Von Roland Juchem

Tote auf Berliner Weihnachtsmarkt

$
0
0
Entsetzen und Gebete nach mutmaßlichem Anschlag

Trauer und Entsetzen in Berlin: Nach dem mutmaßlichen Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt mit aktuell zwölf Toten haben Bischöfe und andere Religionsvertreter ihre Bestürzung ausgedrückt.

wikimedia/sebaso
Die Türme der Gedächtniskirche, um die die Hütten des Weihnachtsmarktes am Breitscheidplatz angeordnet waren. Foto: wikimedia/sebaso

Für den heutigen Dienstag waren Gebete und ein Trauergottesdienst in der Hauptstadt geplant. Politiker in Deutschland und vielen anderen Staaten nahmen Anteil an dem Vorfall an der Kaiser-Wilhelm- Gedächtniskirche nahe dem Bahnhof Zoo mit 48 Verletzten und 12 Toten.

Die Berliner Polizei geht davon aus, dass der Lastwagen am Montagabend vorsätzlich in die Menschenmenge gesteuert worden war. Im Kurznachrichtendienst Twitter sprach die Polizei von einem "vermutlich terroristischen Anschlag".

Der katholische Erzbischof von Berlin, Heiner Koch, hatte am Montagabend für 12 Uhr zum Gebet in die Sankt-Hedwigs-Kathedrale eingeladen. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) kündigte für 18 Uhr einen Gedenkgottesdienst in der Gedächtniskirche an - unmittelbar am Ort der tödlichen Fahrt des Lastwagens. Für die Bundesbehörden ordnete Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) am Dienstag Trauerbeflaggung an.

Kardinal Reinhard Marx: "Für alle werde ich beten"

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, zeigte sich tief erschüttert. "Die Gewalt auf dem Weihnachtsmarkt ist das Gegenteil dessen, was die Besucher wollten", erklärte Marx am Morgen. Sein Mitgefühl gelte den Angehörigen der Toten und Verletzten. "Für alle werde ich beten." Der Erzbischof von München und Freising ergänzte: "In dieser schweren Stunde für die Stadt Berlin und unser Land gilt es, dass wir als Gesellschaft zusammenstehen und zusammenhalten."

Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm sprach von einer "fürchterlichen Gewalttat". Der bayerische Landesbischof sagte: "Wir alle sind entsetzt über diese brutale und sinnlose Gewalt. So viele unschuldige Menschen sind ihr zum Opfer gefallen." Mit zahlreichen Menschen in Deutschland und weltweit sei er im Gebet vereint. Es handele sich um eine "feige Gewalttat".

Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick twitterte: "Aleppo, Mossul, Türkei, jetzt Berlin! Toten ewiges Leben, Verletzten Genesung, Trauernden Trost. Wir brauchen mehr Weihnachten = Menschlichkeit!"

Erzbischof Koch hatte am Montagabend erklärt, er sei schockiert von den Bildern. Im Gebet sei er bei den Opfern und ihren Angehörigen. Der evangelische Bischof Markus Dröge verbreitete über Twitter: "Ich bete für die Toten und Verletzten dieses Abends und danke allen Rettungskräften für ihr kompetentes Handeln". Auch Koch dankte allen Sicherheitskräften, Sanitätern und Notfallseelsorgern.

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, betonte: "Wenn sich der Verdacht auf einen Terroranschlag inmitten der deutschen Hauptstadt erhärtet, wurden unsere schlimmsten Befürchtungen Realität."

Die Gemeinschaft Ahmadiyya Muslim Jamaat sprach von Grauen und Schmerz. Es sei eine "menschliche Tragödie". Und weiter: "Möge Gott den unschuldig Leidenden beistehen und ihr Leid mindern."

 

Termine

Gemeinsame Gebete

Der Berliner Senat legt um 11.30 Uhr in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ein Kondolenzbuch aus. Wie der Evangelische Kirchenkreis Charlottenburg-Wilmersdorf am Dienstag weiter mitteilte, stehen in der Kirche seit 9 Uhr Pfarrer zum Gespräch bereit. Mit einem Mittagsgebet ab 13 Uhr und einem Trauer- und Fürbittgottesdienst ab 18 Uhr am Abend will die Gemeinde der Opfer des Anschlags gedenken.

(KNA)

 

Aufgrund unseres Druckschlusses am Montag vor dem mutmaßlichen Anschlag finden Sie in der kommenden Weihnachtsausgabe Ihrer Kirchenzeitung (Nr. 52) keinen Artikel zu diesem Thema.

Russischer Diplomat erschossen

$
0
0
Anschlag in der Türkei

Der russische Botschafter in der Türkei, Andrej Karlow, ist von einem türkischen Polizisten erschossen worden. Der Täter verfolgte offenbar politische Motive und wurde von Sicherheitskräften getötet.

Nach der Ermordung des russischen Botschafters Andrej Karlow hat Papst Franziskus Präsident Wladimir Putin Anteilnahme bekundet. Sein Beileid gelte vor allem der Familie Karlows, hieß es in einem am Dienstag verbreiteten Kondolenztelegramm von Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin an Putin. Franziskus versichere den russischen Präsidenten "und das ganze Volk der Russischen Föderation seines Gebets und seiner geistlichen Verbundenheit in dieser Zeit".

Karlow, russischer Botschafter in der Türkei, war am Montagabend während einer Ausstellungseröffnung in Ankara erschossen worden. Drei weitere Personen wurden verletzt. Bei dem Täter handelt es sich um einen türkischen Polizisten. Laut Medienberichten soll er Russlands Rolle im syrischen Bürgerkrieg angeprangert haben. Er wurde nach einem Schusswechsel mit Sicherheitskräften getötet. Russland entsandte unterdessen eine Gruppe von 18 Ermittlern in die Türkei, die gemeinsam mit türkischen Kollegen die Tat aufklären sollen. (kna/vbp)


"Die Gesellschaft ist entsetzt"

$
0
0
Interview zur Rolle öffentlicher Trauer

Kurz nach dem Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt findet in der benachbarten Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ein Gedenkgottesdienst mit Spitzenpolitikern für die Opfer statt. Der katholische Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann leitet an der Universität Erfurt das Forschungsprojekt "Desaster Rituale". Im Interview spricht er über öffentliche Trauer nach Großkatastrophen und die Rolle der Kirchen.

KNA
Die Kirchen kennen bestimmte Formen der Liturgie für Trauergottesdienste und Gedenkfeiern. Foto: KNA

KNA: Wie wichtig ist nach dem Anschlag in Berlin ein öffentlicher Ort zum Trauern?

Kranemann: Das Attentat auf dem Weihnachtsmarkt wühlt die ganze Stadt, das ganze Land auf - die ganze Gesellschaft ist entsetzt. Nach solch schrecklichen Ereignissen braucht es einen Ort, wo Menschen ihre Trauer zeigen und mit dem Erlebten oder Erfahrenen umgehen können. Der Anschlag betrifft nicht einen Einzelnen oder nur eine Gruppe, sondern die gesamte Gesellschaft - darum braucht es auch für die kollektive Trauer einen öffentlichen Ort, wo man zur Ruhe kommen und Gemeinschaft erfahren kann.

Welche besonderen Anforderungen gibt es aus Ihrer Sicht für Gedenkveranstaltungen wie jetzt in der Gedächtniskirche?

In einer Stadt wie Berlin ist es wichtig, dass es ein Gottesdienst ist, der auch Menschen anderer Bekenntnisse, anderer Weltanschauungen einschließt. Kirchenferne sollten sich von den Texten und Handlungen angesprochen fühlen. Wichtig ist auch, dass es ein Ort mit ganz eigenem Stellenwert ist - insofern halte ich die Gedächtniskirche, die ja selbst ein Mahnmal gegen brutale Zerstörung ist, für sehr gut geeignet.

Bei alledem kommt noch hinzu, dass wir ja kurz vor Weihnachten stehen. Das ist eine besondere emotionale Herausforderung. Insofern finde ich es gut, dass der Gedenkgottesdienst schon so schnell, nur einen Tag nach dem Attentat, und eben noch vor den Festtagen stattfindet. Sonst haben derartige Trauerfeiern meist einen längeren Vorlauf.

Foto: KNA
Benedikt Kranemann. Foto: KNA

Welche Rituale haben sich bei öffentlichen Trauerfeiern bewährt?

Das Anzünden von Kerzen als Licht in der Dunkelheit. Auch gerade in dieser Jahreszeit kommt dem noch eine besondere Bedeutung zu: Licht, das Wärme ausstrahlt und Trost spendet. Bereits jetzt sieht man schon, wie die Menschen nahe dem Tatort Kerzen aufstellen. Beim öffentlichen Gedenkgottesdienst für die Trauernden spielen außerdem Stille und Ruhe eine große Rolle. Die Anwesenden sollten Gemeinschaft erfahren - in und mit der Gemeinschaft trauern können und vielleicht Trost finden.

Welchen Beitrag können die Kirchen bei der öffentlichen Trauerarbeit leisten?

Die Notfallseelsorge ist sehr, sehr wichtig in solch einer Situation. Nicht nur für die direkt Betroffenen, sondern im Grunde für alle Menschen, die durch das Geschehene tief verunsichert sind. Die Kirchen können Orte der Ruhe anbieten. Sie können über die unmittelbare Notfallseelsorge hinaus dazu beitragen, dass die Menschen nicht in Angst erstarren, sondern Mut fassen und eine Sprache finden, um über das Geschehene zu reden.

Nach solchen Attentaten ist die Gefahr groß, dass Trauer in Wut umschlägt...

Hier sehe ich auch eine Aufgabe der Kirchen, zu Besonnenheit aufzurufen und eine Sprache zu finden, die die Menschen nicht noch mehr verunsichert. Sie sollten Überreaktionen oder reflexartigen Anschuldigungen klar entgegentreten.

Viele Kirchen öffnen ihre Türen zum Gedenken an die Opfer des Anschlags. Wie lange sollte es solche Angebote geben?

Längerer Atem ist sicher nötig. Ich denke, gerade jetzt vor Weihnachten sind die Erwartungen noch mal höher, und es ist wichtig, auch über die Festtage Angebote zu machen. Wir erleben jetzt eine Zeit, wo sich Krisen dramatisch zuspitzen - Syrien, Türkei, Berlin. Meines Erachtens kommt den Kirchen dabei eine große Aufgabe zu. Die Menschen suchen Trost und Hoffnung - und die Kirchen können das mit der christlichen Botschaft spenden.

Das Interview führte Karin Wollschläger von der Katholischen Nachrichten-Agentur am Dienstag, 20.12.2016 (KNA)

Ich verkünde euch große Freude

$
0
0
Lesungen zum 24. Dezember (Weihnachten - in der Nacht)

 

Erste Lesung

Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf. 

Du erregst lauten Jubel und schenkst große Freude. Man freut sich in deiner Nähe, wie man sich freut bei der Ernte, wie man jubelt, wenn Beute verteilt wird. Denn wie am Tag von Midian zerbrichst du das drückende Joch, das Tragholz auf unserer Schulter und den Stock des Treibers. Jeder Stiefel, der dröhnend daherstampft, jeder Mantel, der mit Blut befleckt ist, wird verbrannt, wird ein Fraß des Feuers. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns geschenkt.

Die Herrschaft liegt auf seiner Schulter; man nennt ihn: wunderbarer Ratgeber, starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens. Seine Herrschaft ist groß, und der Friede hat kein Ende. Auf dem Thron Davids herrscht er über sein Reich; er festigt und stützt es durch Recht und Gerechtigkeit, jetzt und für alle Zeiten. Der leidenschaftliche Eifer des Herrn der Heere wird das vollbringen.

Jesaja 9,1–6

 

Zweite Lesung

Die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten. Sie erzieht uns dazu, uns von der Gottlosigkeit und den irdischen Begierden loszusagen, und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt zu leben, während wir auf die selige Erfüllung unserer Hoffnung warten: auf das Erscheinen der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Retters Christus Jesus. 

Er hat sich für uns hingegeben, um uns von aller Schuld zu erlösen und sich ein reines Volk zu schaffen, das ihm als sein besonderes Eigentum gehört und voll Eifer danach strebt, das Gute zu tun.

Brief an Titus 2,11–14

 

Evangelium

In jenen Tagen erließ Kaiser Augustus den Befehl, alle Bewohner des Reiches in Steuerlisten einzutragen. Dies geschah zum ersten Mal; damals war Quirinius Statthalter von Syrien. Da ging jeder in seine Stadt, um sich eintragen zu lassen. 

So zog auch Josef von der Stadt Nazaret in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Betlehem heißt; denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids. Er wollte sich eintragen lassen mit Maria, seiner Verlobten, die ein Kind erwartete. Als sie dort waren, kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft, und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war. 

In jener Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde. Da trat der Engel des Herrn zu ihnen und der Glanz des Herrn umstrahlte sie. Sie fürchteten sich sehr, der Engel aber sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr. Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt. 

Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Heer, das Gott lobte und sprach: Verherrlicht ist Gott in der Höhe, und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade.

Lukasevangelium 2,1–14

Das wahre Licht kam in die Welt

$
0
0
Lesungen zum 25. Dezember (Weihnachten)

 

Erste Lesung

Wie willkommen sind auf den Bergen die Schritte des Freudenboten, der Frieden ankündigt, der eine frohe Botschaft bringt und Rettung verheißt, der zu Zion sagt: Dein Gott ist König.

Horch, deine Wächter erheben die Stimme, sie beginnen alle zu jubeln. Denn sie sehen mit eigenen Augen, wie der Herr nach Zion zurückkehrt. Brecht in Jubel aus, jauchzt alle zusammen, ihr Trümmer Jerusalems! Denn der Herr tröstet sein Volk, er erlöst Jerusalem.

Der Herr macht seinen heiligen Arm frei vor den Augen aller Völker. Alle Enden der Erde sehen das Heil unseres Gottes.

Jesaja 52,7–10

 

Zweite Lesung

Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; in dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, den er zum Erben des Alls eingesetzt und durch den er auch die Welt erschaffen hat; er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Abbild seines Wesens; er trägt das All durch sein machtvolles Wort, hat die Reinigung von den Sünden bewirkt und sich dann zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt; er ist um so viel erhabener geworden als die Engel, wie der Name, den er geerbt hat, ihren Namen überragt.

Denn zu welchem Engel hat er jemals gesagt: Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt, und weiter: Ich will für ihn Vater sein, und er wird für mich Sohn sein? Wenn er aber den Erstgeborenen wieder in die Welt einführt, sagt er: Alle Engel Gottes sollen sich vor ihm niederwerfen

Hebräerbrief 1,1–6

 

Evangelium

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.

Im Anfang war es bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.

In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst.

Es trat ein Mensch auf, der von Gott gesandt war; sein Name war Johannes. Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen. Er war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht.

Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind.

Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.

Johannes legte Zeugnis für ihn ab und rief: Dieser war es, über den ich gesagt habe: Er, der nach mir kommt, ist mir voraus, weil er vor mir war.

Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade. Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben, die Gnade und die Wahrheit kamen durch Jesus Christus.

Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht.

Johannesevangelium 1,1–18

Streit im Malteserorden

$
0
0
Mit harten Bandagen

Der deutsche Adelige, Albrecht Freiherr von Boeselager, ist von seinen Ämtern als Großkanzler im Malteserorden enthoben worden. Großmeister Matthew Festing setzte bereits einen neuen Großkanzler ein - Boeselager wehrt sich jedoch gegen seine Absetzung. Was ist geschehen?

KNA
Vom Forte de Santo Ângelo aus errichteten die Malteser im 16. Jahrhundert die Haupstadt Valletta auf Malta. Foto: KNA

Für den englischen Großmeister Matthew Festing ist die Sache klar. Er hat den Deutschen Albrecht Freiherr von Boeselager vor knapp zwei Wochen als Großkanzler des Souveränen Malteserordens abgesetzt und einen Nachfolger präsentiert: den aus Malta stammenden John Critien (67). Doch von Boeselager lässt die Sache keineswegs auf sich beruhen. Er sieht sich verunglimpft - und weiter im Amt. Die Ordensverfassung sei durch seine Absetzung verletzt worden.

Noch ist nicht wirklich klar, was sich hinter den Kulissen tatsächlich zugetragen hat. Die Darstellungen Festings und von Boeselagers klaffen maximal auseinander. Der Großmeister begründet die Entlassung mit "schwerwiegenden Problemen", die während Boeselagers Zeit als Hospitalier des Ordens aufgetreten seien, die dieser aber verschwiegen habe. Als Hospitalier war Boeselager von 1989 bis 2014 für die Koordination der humanitären Hilfe verantwortlich.

Boeselager selbst schreibt, ihm werde der Einsatz von Kondomen zur Aids-Verhütung in einem Programm von Malteser International (MI) in Myanmar vorgeworfen. Es habe dort drei Programme mit Vergabe von Präservativen gegeben, die die Landesverantwortlichen "ohne Kenntnis der Zentrale aufgenommen" hätten. Zwei davon habe man nach einer internen Revision sofort eingestellt. Beim dritten sei zunächst eine interne Ethikkommission eingeschaltet worden. Letztlich sei auch dieses Projekt nach einer Intervention der Glaubenskongregation gestoppt worden.

Boeselager sagt, er habe immer wieder betont, dass er sich an die kirchliche Lehre gebunden fühle und Entscheidungen der kirchlichen Autoritäten akzeptiere. Es sei absurd, aus diesem Fall den Vorwurf herzuleiten, er würde die kirchliche Lehre zu Familie und Sexualität nicht anerkennen. Kurioserweise wies Großmeister Festing zuletzt zurück, dass die Kondom-Episode den Ausschlag gegeben habe; diese Angelegenheit sei bereits seit drei Jahren ausgeräumt.

So oder so: Boeselager, seit 40 Jahren Mitglied des Ordens, ist sauer. Das Verfahren zu seiner Amtsenthebung entbehre "jeder rechtlichen Grundlage", heißt es in einer persönlichen Stellungnahme. Er werde sich wegen zahlreicher Regelverstöße an das Ordensgericht wenden.

Was sagt der Vatikan?

KNA

Großmeister Matthew Festing mit Papst Franziskus
im Juni 2016 bei einer Audienz im Vatikan. Foto: KNA

Interessant dürfte die Rolle des Heiligen Stuhls werden. Boeselager rechnet auch dort mit einer Untersuchung des Falls, da auch der religiöse Charakter des Ordens betroffen sei. Der Großmeister behaupte fälschlicherweise, es habe eine Forderung des Heiligen Stuhls zum Rücktritt gegeben. Es gebe aber eine schriftliche Bestätigung aus dem Vatikan, dass eine solche Forderung nie erhoben worden sei.

Unklar ist auch die mögliche Rolle von US-Kardinal Raymond Leo Burke, Kardinalpatron des Ordens. Der 68-Jährige wurde erst 2014 von Papst Franziskus dorthin versetzt. Zuvor - und auch danach - machte Burke vor allem mit franziskuskritischen Statements Schlagzeilen.

Der geschasste Boeselager wertet das Vorgehen von Großmeister Festing als autoritär. Festing habe allen Mitgliedern, die mit dem Vorgehen nicht einverstanden seien, nahegelegt, aus dem Orden auszutreten. Wer öffentlich Kritik äußere, müsse mit Disziplinarmaßnahmen rechnen. Das erinnere ihn "mehr an ein autoritäres Regime als an religiösen Gehorsam", schreibt der Freiherr.

Der beschädigte Ruf eines prominenten deutschen Adligen dürfte der ohnehin bunten Geschichte des Ritterordens einen neuen Mosaikstein hinzufügen. Italienische Kaufleute gründeten 1048 in Jerusalem eine Hospitalbruderschaft, um Pilgern und Kreuzrittern Schutz und Hilfe zu geben. Daraus entwickelte sich bis 1099 ein geistlicher Orden. 1113 verlieh Papst Paschalis II. der «Bruderschaft vom Hl. Johannes dem Täufer» Privilegien - und legte so den Grundstein für ein Imperium.

Heute fühlt sich der Orden autonom wie ein Staat - und wird heute von rund 80 Ländern als Subjekt des internationalen Rechts anerkennt. Zu seinem Gebiet gehören rund 6.000 Quadratmeter exterritorialen Gebietes auf dem römischen Aventin. Damit ist der Orden der kleinste Staat der Welt - kleiner als der Vatikan: mit eigenem Autokennzeichen (SMOM), Briefmarken und Beobachterstatus bei der UNO, im Europarat und der EU.

Derzeit ist der Malteserorden mit 13.500 Rittern und rund 80.000 freiwilligen Helfern in 120 Ländern eine der größten Hilfsorganisationen der Welt. Von der Via Condotti aus koordiniert die Regierung des spendenfinanzierten Imperiums Hilfsprojekte. Weltweit besitzt oder betreibt der Orden Kliniken, Altenheime, Notfallstationen und Sozialeinrichtungen. (KNA)

Reden, bestärken, ermutigen

$
0
0
Vinzenz-Pforte am Mutterhaus der Vinzentinerinnen in Hildesheim geht ins zweite Jahr

Grillen im Winter? Geht, findet Jeanne Golla, die Leiterin der Vinzenz-Pforte in Hildesheim. Wie vieles andere auch – zum Beispiel, wie selbstverständlich Barmherzigkeit sein kann.

Wintergrillen mit Bratwurst und Stockbrot: So feiert die Vinzenz-Pforte den ersten Geburtstag nach der Wieder-eröffnung im Dezember 2015. Ganz links im Bild: Leiterin Jeanne Golla. Foto: Wala

„Hallo Frank, Futter für deine Hunde ist da hinten, vorne gibt es die Bratwurst“: Jeanne Golla kennt ihre Besucher: Seit einem Jahr leitet die 37-jährige Sozialarbeiterin die Vinzenz-Pforte zwischen dem Mutterhaus der Kongregation der Vinzentinerinnen und dem Altenheim St. Paulus des Ordens. Die „Pforte“ ist ein Raum mit  Küche, 26 Stühlen, drei Esstischen und zwei Sofas.

Denn in der Pforte gibt es Frühstück und Mittagessen, Duschgel und Handtücher. „Wir sind für Wohnungslose und Bedürftige da“, sagt Jeanne Golla. Und „bedürftig“ definiert sie großzügig: „Hier muss sich niemand ausweisen.“

Vor einem Jahr haben die Vinzentinerinnen nach dem Umbau des Mutterhauses auch die Vinzenz-Pforte wieder eröffnet. „Anlass genug für eine Geburtstagsfeier“, findet Golla. Gut 100 Gäste kommen – vom Punkerpärchen bis zum emeritierten Weihbischof Hans-Georg Koitz. Domkapitular Wolfgang Voges erinnert in einer kurzen Ansprache an das kürzlich zu Ende gegangene Jahr der Barmherzigkeit, das Papst Franziskus ausgerufen hatte. „Im Dom haben wir deshalb die Pforte der Barmherzigkeit geschlossen – hier ist weiter geöffnet.“

„Immer haben Menschen an die Klostertür geklopft“

„Barmherzigkeit, ganz selbstverständlich“, so definiert Jeanne Golla den Auftrag der Vinzenz-Pforte: „Schon immer haben Menschen an die Tür des Klosters geklopft und um Hilfe gebeten.“ Jetzt kommen täglich um die 30 Besucher, überwiegend Männer. Der jüngste von ihnen ist gerade mal 18, der älteste über 80 Jahre alt. Nicht alle sind obdachlos. Was sie aber eint: „Sie haben wenig Geld und keinen anderen Platz, wo sie sich treffen können.“ Die Vinzenz-Pforte ist zu ihrem Wohnzimmer geworden: Frühstücken, Kaffee trinken, Karten spielen, Zeitung lesen. Und reden: „Am meisten über Politik und Religion“, berichtet Golla.

Hilfe – die erfährt auch Golla selbst. So gibt es eine Stelle für ein Freiwilliges Soziales Jahr. Zudem wird die Pforte seit August von vier Ehrenamtlichen des Malteser-Hilfsdienstes unterstützt: „Wir kümmern uns um die Mahlzeiten, waschen ab, machen sauber und haben einfach ein gutes Wort für die Gäste“, beschreibt Malteser-Diözesanoberin Marie-Rose Freifrau von Boeselager, die selbst in der Pforte Brote schmiert und Kaffee brüht.

„Dadurch kann ich mich intensiver um die Gäste kümmern“, würdigt Golla die Unterstützung der Malteser. Da kommt die Sozialarbeiterin in ihr durch – auch wenn sozialpädagogische Beratung nicht ihr Hauptauftrag ist: „Das ist und bleibt einfach da zu sein, zu reden, zu bestärken, zu ermutigen.“ Kurz: Barmherzigkeit.

Aber dennoch: Die Pforte hat sich zu einem beachteten Punkt in der Hildesheimer Sozialarbeit entwickelt: „Ich bin nah dran an den Besuchern und kann doch immer wieder in andere Beratungseinrichtungen der Stadt vermitteln.“ Und nicht selten treffen sich Sozialarbeiter aus Beratungsdiensten der Stadt mit ihren Klienten in der Vinzenz-Pforte – wohl wegen der  entspannten Atmosphäre.

Firmanden machen Frühstück für die Gäste

Mehr und mehr spielt auch die Seelsorge eine Rolle: „Hier haben schon Firmanden für unsere Gäste das Frühstück gemacht und gekocht“, erzählt Golla. An einem Ort wie der Vinzenz-Pforte können vermeintliche Ängste und Unsicherheiten abgebaut werden: „Hier lernt man sich kennen, hier lösen sich auch Vorurteile schnell auf.“ Golla hofft, dass gerade diese Zusammenarbeit mit Pfarreien noch ausgebaut werden kann.  

In diesen Tagen komme immer wieder die Frage nach Weihnachten auf, erzählt Golla: „Das sind für unsere Besucher gleichzeitig besondere wie schwere Tage.“ Die Furcht vor Einsamkeit ist groß. Deshalb wird die Pforte auch zu den Weihnachtstagen geöffnet sein: „Ich bin mal gespannt, wie wir gemeinsam feiern werden.“ Und Futter für die Hunde wird auch dabei sein ...

Rüdiger Wala

 

Zur Sache

Die Vinzenz-Pforte in Hildesheim (Neue Straße 16) hat montags bis freitags von 8 bis 14 Uhr geöffnet. Frühstück und Duschen sind kostenlos. Für das Mittagessen – das vom sozialen Mittagstisch des „Guten Hirten“ geliefert wird – erbitten die Vinzentinerinnen einen Beitrag von 50 Cent, sofern sich die Gäste das leisten können. Das Angebot finanziert sich zum Teil über Spenden. Auch Sachspenden (Käse, Wurst, Kaffee, Margarine ...) werden immer wieder benötigt. Infos unter Telefon: 0 51 21/109 875
 
 

 

Franziskus verteidigt Reformkurs

$
0
0
Weihnachtsansprache des Papstes

Papst Franziskus hat vor der Kurie seine Reformvorhaben gegen "böswillige Widerstände" verteidigt. Reformen seien ein Zeichen von Vitalität und notwendig, sagte er in seiner Weihnachtsansprache vor Kardinälen und vatikanischen Behördenleitern am Donnerstag.

KNA
Im Sala Clementina im Apostolischen Palast hielt Papst Franziskus seine Weihnachtsansprache vor der Kurie. Foto: KNA

In seltener Deutlichkeit sprach Franziskus von "böswilligen Widerständen" in der Kurie. Als Leitlinien seiner Reform nannte er mehr Dialogkultur, die Beteiligung von Laien und Frauen an Führungsrollen und eine professionelle Personalentwicklung.

Reform müsse "ein Prozess des Wachstums und vor allem der Bekehrung" sein, sagte Franziskus in der Rede, die als jährliche Grundsatzansprache über den Kurs der Kirchenleitung gilt. Die Strukturveränderung geschehe nicht zum Selbstzweck oder als "Schönheitsoperation, um die Falten zu entfernen", sagte er. "Es sind nicht die Falten, vor denen man sich in der Kirche fürchten muss, sondern die Schmutzflecken."

Hürden auf diesem Weg nannte der Papst "normal, ja heilsam". Neben konstruktiver Kritik, Angst und Trägheit gebe es aber auch "böswillige Widerstände" aus einem "verqueren Geist". Diese Art von Reformverweigerung, die "oft im Schafspelz" daherkomme, verstecke sich "hinter rechtfertigenden und in vielen Fällen anklagenden Worten und flüchtet sich in Traditionen, Schein, Formalität, in das Bekannte". Konkrete Beispiele nannte er nicht.

Für eine stärkere Beteilitung von Frauen und Laien

Als Leitlinien der Reform nannte Franziskus eine klarere Gliederung der Ressorts, die Anpassung an heutige Bedürfnisse und mehr Effizienz durch Bündelung zusammengehörender Themenbereiche. Weiter gehe es um eine "Vereinfachung und Verschlankung der Kurie", auch durch die Aufhebung einzelner Büros. Leitend für die Kurienarbeit seien Subsidiarität und Synodalität. Letztere vollziehe sich in Form von Kabinettssitzungen, aber auch ressortübergreifenden Beratungen und Dialogprozessen innerhalb der Behörden.

Ausdrücklich sprach sich Franziskus für eine stärkere Beteiligung von Laien und für mehr kulturelle Vielfalt aus. Die "Würdigung der Rolle der Frau und der Laien im Leben der Kirche und ihre Integration in Leitungsaufgaben der Behörden" sei sehr wichtig.

Als unerlässlich nannte der Papst eine ständige Fortbildung der Kurienmitarbeiter. Mit der Praxis, ungeeignete Amtsinhaber zu befördern, um sie wegzuschaffen, müsse endgültig Schluss sein. Franziskus nannte diese Gepflogenheit einen "Krebs". Weiter verteidigte er die versuchsweise und befristete Einführung von Änderungen. Dies sei kein Zeichen von Unentschlossenheit, sondern einer "notwendigen Flexibilität, um zu einer echten Reform zu kommen".

Vor dem Verfall gerettet

$
0
0
Restaurierungsarbeiten in der Geburtskirche

Sie stand kurz vor dem Einsturz, ehe die Renovierungsarbeiten beginnen durften: In Kürze sind die ersten zwei Etappen in der Geburtskirche in Betlehem geschafft – und die Handwerker wurden überrascht.

 

Alte Mosaike im neuen Glanz: Bei der Restaurierung der Geburtskirche wurden auch sie repariert und geputzt. Foto: KNA

Das große Provisorium in der Geburtskirche von Betlehem dürfte bald vorüber sein. Zu Ostern sollen die Gerüste und tiefergehängten Decken verschwinden und wieder den Blick auf das Gotteshaus aus dem sechsten Jahrhundert freigeben. Vor allem werden dann die alten Mosaiken wieder in ihrem ursprünglichen Glanz erstrahlen. Damit sind die Arbeiten an einer der ältesten Kirchen der Christenheit, die der Tradition nach über der Geburtsstätte Christi errichtet wurde, zwar noch nicht beendet; sie sind bis 2019 angesetzt. Doch immerhin sind dann zwei wichtige Etappen abgeschlossen.

Im Moment jedoch hämmern, bohren, sägen und schleifen mehr als zwei Dutzend Arbeiter hinter den weißen Planen und Sichtblenden. Allerdings mit vielen Unterbrechungen. Denn die Gottesdienste und die täglichen Prozessionen der Mönche zu dem 14-zackigen Silberstern in der Grotte dürfen nicht gestört werden. Auch der Pilgerbetrieb geht fast normal weiter. 

 

Mahmud Abbas musste ein Machtwort sprechen

Begonnen hatte das Jahrhundertprojekt nach Hiobsbotschaften von Statikern – und einem Machtwort von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Er brachte die drei rivalisierenden Kircheneigner – Griechisch-Orthodoxe, Armenier und Katholiken – dazu, endlich einer Restaurierung zuzustimmen. Denn die jahrhundertealten Dachbalken waren morsch, die Bleidecke drohte einzustürzen. Die Sicherheit der jährlich eineinhalb Millionen Besucher war ernsthaft gefährdet. Zudem machte die Kirche durch jahrhundertealten Kerzenruß und Weihrauch sowie durch Wassereinsickerungen einen vernachlässigten Eindruck.

Die italienische Firma Piacenti aus der Toskanastadt Prato erhielt den Zuschlag für die Dachsanierung. Das Holz, um die maroden Dachbalken auszubessern, stammt aus Italien, das erforderliche Blei kommt aus Deutschland, wie Giammarco Piacenti verriet. Auch regendichte Fenster wurden eingebaut, die die für Mosaiken und Träger gefährlichen UV-Strahlen filtern.

Die erfolgreiche erste Etappe ermunterte Bauherren und Kircheneigner zur Fortsetzung. Schon bei den Dacharbeiten zeigte sich der prekäre Zustand der darunter befindlichen 800 Jahre alten Mosaiken. Ursprünglich bekleideten sie 2000 Quadratmeter Fläche; heute sind nur noch 130 Quadratmeter übrig. Der größte Teil wurde in osmanischer Zeit beschädigt, abgeschlagen oder fiel bei dem schweren Erdbeben um 1830 ab.

So wurden etwa 1,6 Millionen kleine Stücke verschiedenster Mineralien, mit Gold und Silber bedeckte Steine sowie Perlmutt von der Ruß- und Fettschicht befreit und neu stabilisiert. Dabei kamen die Restauratoren auch hinter das Geheimnis des Glanzes: Die Steinchen waren leicht geneigt eingesetzt und reflektieren damit das Licht auf fast mystische Weise.

 

Ein neues Mosaik in der Geburtskirche entdeckt

In diesem Bauabschnitt gab es noch weitere Überraschungen: Im Fries zwischen den Fenstern entdeckten die Archäologen ein unter dem Putz verborgenes weiteres Engelmosaik auf goldenem Hintergrund. Wie die sechs übrigen weist er dem Besucher mit ausgebreiteten Händen den Weg zur Geburtsgrotte Christi. Dieser siebte Engel wurde bereits zu einem Wahrzeichen der erneuerten Geburtskirche. 

Pierbattista Pizzaballa, der neue Leiter des Lateinischen Patriarchats, wählte ihn für seine Einladungskarte zur Bischofsweihe. Das andere Symbolbild der Restaurierungen: die Begegnung des Auferstandenen mit dem ungläubigen Thomas, dessen Hand er in seine Seitenwunde drückt. Es gilt als erste Darstellung dieser Art in der christlichen Ikonographie.

Finanziert wird das Projekt zur Hälfte von der palästinensischen Regierung sowie vom Privatsektor, wie die frühere Tourismusministerin Khouloud Daibes betont. Die andere Hälfte muss durch Sponsoring, Spenden und Fundraising gedeckt werden, an dem sich etwa der Vatikan, Griechenland, Russland, Marokko und Deutschland beteiligen. Bislang kostete es rund zehn Millionen Euro; die gleiche Summe wird nochmals benötigt. In den nächsten Etappen sollen auch die 50 Säulen des Kirchenschiffs renoviert werden.

Die Christin Daibes, die inzwischen die Palästinenser-Vertretung in Berlin leitet, ist froh und stolz auf das bisherige Projekt. „Diese Kirche hat einen spirituellen Wert für alle Gläubigen. Jetzt aber kommt auch noch ein künstlerischer Wert hinzu.“ Während überall in der Region, vor allem aus Syrien und dem Irak, Christen fliehen müssten, sei es ein „positives Zeichen, dass hier von Christen und Muslimen gemeinsam eine Kirche restauriert wird, die eine sehr wichtige Kulturstätte der ganzen Menschheit ist“.

kna


Frohe Botschaft im Modell

$
0
0
Mit viel Liebe zum Detail erzählt Dieter Fiebig die Weihnachtsgeschichte

Eine Krippe ist in diesen Weihnachtstagen in jeder Kirche zu finden. Aber in St. Sturmius in Rinteln wird etwas Besonderes gezeigt: die Weihnachtsgeschichte in verschiedenen Episoden, eingebettet in ein orientalisches Dorf.

Das Krippen-Diorama und sein Erbauer: Dieter Fiebig bringt die Könige noch in Position. Sie sind von weither gereist, um dem Kind Geschenke zu überbringen. Foto: Branahl

In der Bäckerei wird Brot gebacken, ein Händler bietet seine Ware feil. Aus dem Brunnen plätschert das Wasser, der Müller setzt die Flügel der Mühle in den Wind. In den Höfen erzählen sich die Menschen merkwürdige Geschichten: Da hinten, in einem Stall, soll eine junge Frau den Erlöser der Welt geboren haben. Weit sind Könige mit ihrem Gefolge angereist, um diesem Kind zu huldigen und ihm Geschenke zu bringen.

Auf fünf Quadratmetern erzählt Dieter Fiebig, was sich vor mehr als 2000 Jahren zugetragen hat: In mehrjähriger Arbeit hat der Elektriker die Ereignisse rund um die Geburt Christi dargestellt.  Holz, Styropor, jede Menge Gips und noch viel mehr Fantasie  hat er in sein Diorama gesteckt. Entstanden ist eine Krippenlandschaft, die aus dem Rahmen fällt.

Der Stall ist bis Heiligabend noch verdeckt

„Den bayerischen Krippenstall hat doch jeder. Aber wie könnte es in der Wirklichkeit ausgesehen haben?“ Mit dieser Frage hat sich Dieter Fiebig lange beschäftigt. Im Internet fand er Bilder von Gebäuden aus dem Orient, Stück für Stück hat er sie nachgebaut. Auf einer Holzplatte zunächst fand die Geburt Jesu Platz. In einer Höhle, in der die Hirten ihre Schafe unterbrachten, kommt das Kind zur Welt. Noch ist sie mit einem Tuch verhängt, erst Heiligabend können die Betrachter auf das Ereignis einen Blick werfen.

Immer wieder entdecken die Betrachter in dem orientalischen Dorf Szenen, die Bezug auf die Geburt Christi nehmen: Hier die Verkündigung des Engels. Foto: Branahl

Rund um die Krippe hat Fiebig die ganze Geschichte um das Weihnachtsfest dargestellt. Eine kleine Stadt im Jahr 0 unserer  Zeitrechnung ist im Hobbykeller entstanden – zugeschnitten auf die eigenen Räumlichkeiten eines restaurierten Fachwerkhauses. Immer wieder hat Fiebig das Diorama erweitert: Irgendwo findet sich der Steuereintreiber, der die Menschen zusammenruft, ein Engel berichtet Maria von der bevorstehenden Schwangerschaft, verzweifelt steht ein junges Paar vor einer Herberge und wird wegen Platzmangels abgewiesen, Engel bringen die frohe Botschaft von der Geburt Christi zu den Hirten auf dem Feld. Und am Fuß eines Felsens (modelliert aus Gipsbinden) flüchtet Josef mit seiner Frau und dem neugeborenen Kind nach Ägypten.

Viele Details erzählen vom Leben

Die Heilige Familie flieht nach Ägypten. Foto: Branahl

Dieter Fiebig ist kein Mann der vielen Worte. Er hat sie halt gemacht, diese Krippe. Über ein paar Details freut er sich besonders, die ihm aus dem Leben gegriffen scheinen: Die frisch geschlachteten Hühner. Den Geier, der gerade die Jungtiere füttert, die Mauersegler an der Hausmauer. Über die Effekte, die er mit der Fernbedienung für ein paar Minuten zum Leben erweckt. Vielleicht könnte er am Ende mehr über die Krippe erzählen als mancher Pfarrer?

Küster Norbert Richter hat in den vergangenen Tagen etliche Schulklassen begrüßt. Sie sind wegen der Krippe in die Kirche gekommen. Nicht jedes Kind hat verstanden, um was es hier geht. Aber alle haben gespürt, dass es sich um eine ganz besondere Geschichte handelt.

Stefan Branahl

 

Alles andere als heimelig

$
0
0
Weihnachten in Betlehem

Luftballons und Zuckerwatte, Sperrmauer und Scharfschützen, Jingle Bells und Muezzin: Weihnachten im heutigen Betlehem ist alles andere als heimelig. Und vielleicht gerade deshalb nah dran an „damals“.

Vorne Party, hinten Kirche: So ist Weihnachten in Betlehem. Foto: Andrea Krogmann

Viel wissen wir nicht über Josef, den Mann an Marias Seite, aber sicher ist es nicht übertrieben anzunehmen, dass er sich sein Leben anders vorgestellt hatte. Nichts ist Durchschnitt an der Geschichte des Paares, von der gottgewirkten Empfängnis bis hin zur Odyssee an die Krippe in Betlehem, in die das göttliche Kind geboren werden sollte. Es steht zu vermuten, dass Josef sich auch diese Nacht anders vorgestellt hatte.

Ähnlich geht es den meisten Menschen, die sich in Erinnerung an die denkwürdige Geburt vor mehr als 2000 Jahren aufmachen nach Betlehem. Sie kommen mit Vorstellungen, wie sie auszusehen hat, die „heilige Nacht“. Da sind biblische Geschichten, Erinnerungen an die Kindertage, Traditionen. Und dann ist da Weihnachten im Heiligen Land: voller Paradoxe.

 

In Jerusalem gibt es keine Adventsstimmung

Schlendert man in der Adventszeit durch Jerusalem, merkt man kaum etwas von dem bevorstehenden Fest. Weihnachtliche Kommerzialisierung, Werbung für das ultimative Geschenk oder funkelnde Rentierschlitten im Vorgarten? Fehlanzeige! Wer daraus aber auf ein besonders besinnliches Fest in Israel schließt, liegt falsch.

Denn wagt man sich am 24. Dezember nach Betlehem, wird es laut, bunt und eng. In der Kirche über der Geburtsgrotte: ein reges Kommen und Gehen bis tief in die Nacht. Auf dem Platz davor: Luftballons, Zuckerwatte und einheimische Fastfood-Stände, Pfadfinder mit Trommeln und Dudelsack im Wettstreit mit der Party-Version von Jingle Bells aus Lautsprecherboxen, in einer Lautstärke, die die Schmerzgrenze übersteigt. Dazwischen: immer wieder mal der Ruf des Muezzin. Weihnachten in Betlehem gleicht einem multikulturellen Volksfest: Muslime, Pilger, Touristen und einheimische Christen geben eine unvergleichbare Mischung, und alle wollen feiern.

„Befremdlich“, wird mancher denken. Ja. Aber vielleicht auch dichter dran am biblischen Geschehen. „Du erregst lauten Jubel“, heißt es da in der Jesaja-Lesung in der Heiligen Nacht; „der Himmel freue sich, die Erde frohlocke, es brause das Meer und alles, was es erfüllt!“, ermuntert der Antwortpsalm. „Es jauchze die Flur und was auf ihr wächst! Jubeln sollen alle Bäume des Waldes“.

 

Betlehem: Die stille Nacht wird laut gefeiert

Draußen hat der Weihnachtsmann auch Betlehem
schon erobert ...
Foto: Andrea Krogmann

Die „stille Nacht“ laut zu feiern, ist in Betlehem kein Widerspruch. Unzählige Menschen kommen dieser Aufforderung jedes Jahr nach. Und Zehntausende lassen Jahr für Jahr ihre Namen auf eine Rolle eintragen, die deutschsprachige Benediktiner in der Heiligen Nacht zu Fuß nach Betlehem tragen. 

Für Pater Nikodemus Schnabel geben diese und die biblischen Namen, in deren Stammbaum sich Jesus einreiht, Weihnachten seine Prägung. Das erste Kapitel des Matthäusevangeliums ist die persönliche Lieblingsstelle des Benediktiners zu Weihnachten, weil „der Stammbaum Jesu das Neue fest mit dem Alten Testament verankert“ und „durch die Verlesung der vielen Namen der Hauch der Geschichte weht, die immer eine sehr persönlich-intime Geschichte Gottes mit einzelnen Menschen ist“.

Mehr noch als in anderen biblischen Geschichten wird die Kraft der Menschwerdung Gottes für den Jerusalemer Leiter des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande, Georg Röwekamp, im Buch der Weisheit greifbar, „weil dort ansatzweise verständlich wird, wie auch im hellenistischen Judentum die Vorstellung eines Gottessohnes akzeptiert werden konnte“. Über die Weisheit heißt es dort, sie trete ein in heilige Seelen und schaffe Freunde Gottes. „Sie ist strahlender als das Licht, denn diesem folgt die Nacht, doch über die Weisheit siegt keine Schlechtigkeit.“

 

Scharfschützen dämpfen die Weihnachtsfreude

während in der Geburtskirche das Kind in
der Krippe gefeiert wird. Foto: Andrea Krogmann

In guten Jahren strahlt Betlehem trotz der unschönen Kulisse der israelischen Sperrmauer. Dann wieder macht der ewige Konflikt um das Heilige Land nicht einmal an Weihnachten halt, dann bleiben die Besucher aus. Im traurigsten der letzten Jahre, 2015, dämpften Scharfschützen auf den Dächern die Festfreude.

Frieden ist in dieser Region verletzlich, so wie „sich Gott mit und in diesem Kind so außerordentlich verletzlich gemacht hat“, formuliert es Anette Pflanz-Schmidt. Mit ihrem Mann, Propst der evangelischen Erlöserkirche, lebt sie in Jerusalem. „… dass dieses schwache Knäbelein soll unser Trost und Freude sein, dazu den Satan zwingen und letztlich Friede bringen!“: Das sind Worte aus Bachs Weihnachts-oratorium, an deren Aufführung Anette Pflanz-Schmidt in diesem Jahr mitwirken wird; sie stehen für das unfassbare Paradox von Weihnachten, das gleichzeitig hier am ehesten fassbar wird: „Ich begegne im Heiligen Land immer wieder Menschen, die es wagen, sich zu vergeben, über Grenzen hinweg Brücken zu bauen und es sich nicht erlauben, dem Hass und der Gewalt Nahrung zu geben. Für mich leben diese Menschen schon aus dieser ‚weihnachtlichen‘ Kraft.“

Weihnachten im Heiligen Land, das heißt auf die ein oder andere Weise Ausnahmezustand. Raus aus der Komfortzone, rein in die Herausforderung der vielen Paradoxe. Und vielleicht wird Weihnachten am Ort des Geschehens genau damit dem wundersamen Weihnachtsgeschehen am besten gerecht. Denn auch das ist eine Herausforderung.

Von Andrea Krogmann

Rosen im Dornwald

$
0
0
Eine Betrachtung zum Weihnachtsfest aus Sicht der Mitarbeiterinnen von Solwodi

Unter widrigen Umständen bringt Maria den Sohn Gottes auf die Welt. Sie versucht von Beginn an, Jesus vor den Dornen des Lebens zu schützen – und wird damit zu einem Vorbild. 

„Maria durch ein Dornwald ging“ – so stellt sich der Priester und Künstler Sieger Köder den beschwerlichen Weg der Gottesmutter vor, die Jesus unter ihrem Herzen trägt. Bild: Sieger Köder-Stiftung Kunst und Bibel, Ellwangen

„Maria durch ein Dornwald ging...“ – diese alte Volksweise singen wir in dieser Zeit des Advent. Und dieser dunkle Wald mit seinen Dornen hat nicht immer Rosen zu bieten…

„Auf Rosen gebettet“ – das wurde ihnen versprochen, aber es waren nur Dornen. Und Gottes Nähe schien fern.

Ich spreche von den Marias und Mariams, die für alle Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution stehen.

Die heilige Geschichte der Mutter Gottes wird durch dieses Thema keineswegs degradiert oder entheiligt, sondern ganz im Gegenteil: erst durch die Erdung und Menschwerdung ihres eigenen Sohnes und die Mitte und Tiefe des menschliches Leides, für das sie und ihr Sohn stehen, wird Gottes Wirken real und glaubhaft.

Maria steht für viele Frauen, die einen schweren, auch zunächst ungewissen Weg gehen.

Maria steht für alle Mütter, die in Sorge um ihr Kind unvorstellbare Seelenqualen aushalten müssen, weil sie ihre Kinder in ihren Ursprungsländern zurücklassen mussten, als sie im guten Glauben, in der Ferne eine Arbeit und damit Unterhaltsmöglichkeit für ihre Familie zu bekommen, an Menschenhändler geraten sind. Diese Menschenhändler drohen damit – sollten die Frauen aussteigen und gar aussagen wollen –, ihre Kinder in der fernen Heimat zu bedrohen, zu töten.

Die Rosen tragen Dornen

„Maria durch ein Dornwald ging, da haben die Rosen spitze Dornen getragen…“

Es ist keine romantische Geschichte, sondern die Realität derer, die auch zur Beratungsstelle von Solwodi kommen und von der Organisation, einst von der Ordensschwester Lea Ackermann gegründet, begleitet werden, um wieder ins Leben zu finden; ein Leben in Würde, in Sicherheit, in Schutz, in Eigenständigkeit und ohne Dornen.

Der Verein Solwodi (Solidarity with women in distress / Solidarität mit Frauen in Not) nimmt die Weihnachtsgeschichte und die Geschichte der Mutter Maria sehr ernst.

Ohne die Mutter Gottes hätten wohl auch viele der Mitarbeiterinnen keine Kraft, denn die Arbeit gleicht einer „Sisyphusarbeit“: Hat man eine Frau und vielleicht auch ihr Kind in Sicherheit gebracht – vor Menschenhändlern, brutalen Freiern oder gar vor der Zwangsverheiratung bewahrt, sind die nächsten Opfer schon wieder mit Polizeischutz oder nach Bordellrazzien (sehr oft auch aus der Wohnungsprostitution, aus Wohnmobilen) zu betreuen…

Die „Kreativität der Gewalt und Grausamkeit“ scheint grenzenlos; das ist auf Dauer schwer auszuhalten, wenn da nicht ein großes Ideal, ein großer Glaube trägt.

Die Vinzentinerinnen aus Hildesheim haben sich in Braunschweig dieser Arbeit angenommen, vor allem Schwester Paula Fiebag, Schwester Dominica Steudler und Schwester Gerhardis Heise. Schwester Gerhardis hat bis zum Ende ihres Lebens im Alter von 82 Jahren (sie ist an diesem dritten Advent zum Herrn gegangen) mit Liebe zum Menschen, aus tiefem Glauben und enormer Leidenschaft für Gerechtigkeit im Einsatz auch für die Frauen von Solwodi gelebt.

Auch viele Frauen und Männer aus der Laienarbeit, auch aus kirchenunabhängigen Vereinen, Organisationen oder ganz privat helfen bei Solwodi mit. Mit großem Einsatz tun das auch die Pädagoginnen Dagmar Paul-Siller und Luca Lehmann in Braunschweig und viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Solwodi-Beratungsstellen nunmehr deutschlandweit.

Sie alle spüren, dass ihr Einsatz sinnvoll ist. Gewiss sind auch Wut und Zorn über das Leid, das angetan wird, ein Motivator. Aber Wut und Zorn allein machen blind.

„Da haben die Dornen Rosen getragen“

Es muss die Hoffnung geben, das, was dem Negativen ein JA zum Leben entgegensetzt.

„Da haben die Dornen Rosen getragen.“ Diese Rosen sind für viele Mitarbeiterinnen bei Solwodi nicht nur Illusion, sondern der Grund, der sie trägt. Für viele ist es der Glaube, der aus der Weihnachtsgeschichte erwächst: der Glaube, dass Gott es schafft, Dornen in Rosen zu verwandeln.

Ja, es gibt sie: die Hoffnungs-und Erfolgsgeschichten von jungen Mädchen und jungen Frauen, deren Gesichtszüge nicht mehr einer gar 90-jährigen alten, verhärmten Frau gleichen, sondern wieder strahlen: jung und blühend, mit einem (fast) unbeschwerten Lachen.

Frauen, die ein neues Leben beginnen, ihr Trauma verarbeiten können, auch wenn die Narben der Dornen aus dem dunklen Wald der Zwangsprostitution, der keine Lichtung kannte, nie ganz verheilen.

Der Sieg von Menschlichkeit über Macht

Aber: Es gibt sie, die Erfolge von neuem Leben und auch von Gerechtigkeit, wenn Täter verurteilt werden, wenn Menschlichkeit über Macht siegt.

Das ist die Weihnachtsgeschichte: der Sieg von Menschlichkeit über Macht.

Maria steht für alle Frauen, die dafür kämpfen. Und sie steht für alle Mütter, die sich dafür einsetzen, dass ihr Kind geschützt ist vor Gewalt, Menschenfeindlichkeit und Entwürdigung.

Zuflucht im Stall von Betlehem

Maria steht für alle Frauen, die auf der Flucht sind.

Aber auch für die, die eine Zu-flucht finden: den Stall von Bethlehem!

Der Stall von Bethlehem holt die alte Volksweise von Marias Gang durch den Dornenwald in die Realität, das Hier und das Heute.

Und die Mitarbeiterinnen von Solwodi helfen beim Einzug in diesen Stall, der von Gottesnähe mitten in der Dunkelheit einer harten Wirklichkeit erstrahlt, erhellt von absoluter Gottesnähe.
Bethlehem ist überall.

Gesegnete Weihnachten!

Birgit Rengel

 

Die Autorin

Birgit Rengel

Birgit Rengel ist Pfarrerin der evangelisch-lutherischen Gemeinde St. Christophorus in Helmstedt. Dort trifft sich auch der Solwodi-Arbeitskreis der Stadt. Zusammen mit diesem Arbeitskreis und darüber hinaus setzt sich Birgit Rengel seit Jahren für die Arbeit von Solwodi ein.

Nicht um die Zukunft bangen

$
0
0
Bischof Trelle im Hildesheimer Dom

Der Hildesheimer Bischof Norbert Trelle hat die Menschen dazu aufgerufen, trotz der Unsicherheit dieser Tage keine Angst vor der Zukunft zu haben. „Das Vertrauen darauf, dass Gott unser Licht ist und in uns zur Welt kommen will, gibt eine Sicherheit, an der wir uns festmachen können“, sagte Trelle in der Christmette im Hildesheimer Dom. Der Gottesdienst wurde vom ARD-Fernsehen übertragen.
 

Das Licht Gottes scheint auch in unsicheren Zeiten, sagt Bischof Trelle.

„Wir sind erschüttert nach dem schrecklichen Anschlag von Berlin, der Terror ist bei uns angekommen“, sagte der Bischof. Die politische Landschaft in Europa und Amerika scheine immer unübersichtlicher zu werden. Viele Menschen hätten das Empfinden, dass etwas ins Rutschen geraten sei, ihr Blick in die Zukunft sei getrübt und unklar.
 
Angst und Unsicherheit fänden sich auch im Weihnachtsevangelium, sagte Trelle. Die Bibel erzähle keine lieblichen Märchen. Unruhe, Unsicherheit und Dunkelheit seien auch zur Zeit der Geburt Jesu in der Welt gewesen. „Aber genauso wirklich ist das Licht, das von Gott ausgeht und Orientierung gibt“, erklärte der Bischof in seiner Predigt. Er rief dazu auf, sich nicht davor zu fürchten, auf fremde Menschen zuzugehen und für die Würde und das Lebensrecht jedes Einzelnen einzutreten.

Ein kleines Kind schenkt große Hoffnung

$
0
0
Weihnachten

Weihnachten ist die Geschichte einer Hoffnung, die sich erfüllt: Gott wird Mensch, um unser Leben zu teilen.

Foto: akg-images

Weihnachten erzählt von einer Hoffnung, die sich erfüllt: Gott wird Mensch. Er macht sich klein, kommt als hilfloses Kind zur Welt. Gott wird Mensch, um unser Leben zu teilen. Bis hinein ins Elend – in die jämmerliche Höhle von Betlehem, bis zu Folter und Tod am Kreuz. Aber: Er macht sich nicht nur mit uns gemein. Unser Leben zu teilen, reicht ihm nicht. 

Er will es auch verwandeln, durch sein Vorbild zeigen, was wirklich gutes und erfülltes Leben ist. Sein Auftrag an uns: diesem Vorbild nachzueifern, an ihm maßzunehmen, in seiner Spur voranzugehen und handeln, wie er handeln würde. Damit können wir, erst einmal nur in dem kleinen Lebensbereich um uns herum, die Welt ein kleines Stück besser und heller machen. Vieles können wir aber gar nicht selbst machen, sondern es wird uns geschenkt. Von solchen Geschenken erfüllter Hoffnung berichten Leserinnen und Leser in dieser Weihnachtsausgabe.

Die Hoffnung auf Glück, Harmonie und Frieden ist so alt wie die Menschheit selbst. Im Advent und an Weihnachten berichten die Lesungen aus dem Buch Jesaja von diesen uralten menschlichen Sehnsüchten. Wir haben daraus im Advent auf der Titelseite dieser Zeitung zitiert. Da werden Schwerter zu Pflugscharen, das Volk im Land der Finsternis sieht ein helles Licht, dröhnende Stiefel werden verbrannt. Schrecklich aktuell sind diese Hoffnungsvisionen. Die Welt besser und heller zu machen – das ist die Hoffnung von Weihnachten. Wir sind aufgerufen, sie nach seinem Vorbild mit Leben zu füllen. Er hilft uns dabei. In diesem Sinne – hoffnungsvolle und gesegnete Weihnachten.

Von Ulrich Waschki

Viewing all 5035 articles
Browse latest View live