Gehörlose interessieren sich ebenso für kirchliche und theologische Themen wie Hörende. Mit wenig Aufwand lässt sich ein Vortragsabend so vorbereiten, dass alle Teilnehmer folgen können.
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Schwester Christa Bormes übersetzt den Vortrag des Theologen in Echtzeit. Foto: KNA |
Etwa 15 Frauen und Männer versammeln sich zu einem Seminar der Katholischen Erwachsenenbildung. Die Zeit vor dem Vortrag nutzen einige der Teilnehmer offenbar, um sich Witze zu erzählen – jedenfalls wird viel gelacht. Die Gruppe verständigt sich mit Gestik, Mimik und stillen Lippenbewegungen: mit Gebärdensprache. Wer die Sprache nicht versteht, kann erst einmal nicht mitlachen.
Neben dem Theologen und Caritasreferenten Martin Splett, der das Seminar leitet, nimmt Schwester Christa Bormes Platz. Die Missionsschwester vom heiligen Namen Mariens blickt auf 45 Jahre Arbeit in der Gehörlosenbildung zurück. Unter den Teilnehmern sind auch ehemalige Schüler von ihr, die das Landesbildungszentrum für Hörgeschädigte in Osnabrück besuchen. An diesem Abend ist Bormes Dolmetscherin für Splett. Denn fünf Gehörlose meldeten ihr Interesse an dem theologischen Seminar und sind auf die Schwester zugekommen, erklärt sie.
80 000 Menschen in Deutschland sind gehörlos, 140 000 auf einen Gebärdendolmetscher angewiesen. Schwerhörig sind laut Deutschem Gehörlosenbund (DGB) 16 Millionen Bundesbürger. Knapp ein Drittel dessen, was Menschen laut aussprechen, können geübte Gehörlose ihnen von den Lippen ablesen. Das meiste kommt also gar nicht oder falsch beim gehörlosen Gesprächspartner an. Daher ist es notwendig, Nachrichten, Gottesdienste, Unterhaltungs- und Bildungsangebote in Gebärdensprache zu übersetzen und Untertitel im Theater oder Fernsehen anzubieten.
Übersetzung in Echtzeit
Während Splett über den Unterschied zwischen „Gerechtigkeit“ und „Barmherzigkeit“ referiert, übersetzt Schwester Bormes in Echtzeit die theologischen Ausführungen. Manchmal wartet sie drei bis vier Sätze ab und fasst dann zusammen. Manche Gesten versteht man sofort: Man würde sie intuitiv selbst auf einem lauten Konzert oder einer großen Baustelle verwenden. Andere Handzeichen und Bewegungen sind komplexer oder abstrakter: „Solidarität“, „Nachhaltigkeit“, „Moral“. Schwester Bormes erklärt: „Gehörlose brauchen klare Aussagen. Wenn es ans Philosophieren geht, wird es schwer.“
Mit einem Skript des Vortrags konnte sie sich auf ihre Dolmetschertätigkeit vorbereiten. Abstrakte Begriffe schreibt Splett auf eine große Papierwand und erklärt sie in zwei bis drei Sätzen. Prinzipiell ist es allerdings kein Problem, auch komplexe Sachverhalte in Gebärdensprache zu formulieren. Den weltweit 140 Gebärdensprachen (ohne Dialekte) liegt eine vollständige Grammatik und eine Vielzahl an Zeichen zugrunde. Eigennamen sind immer auch mit dem sogenannten Fingeralphabet buchstabierbar. In der Sprachwissenschaft gelten Gebärdensprachen als vollwertige Sprachen.
Zum besseren Verständnis nicht nur bei den Gehörlosen trägt eine Visualisierung des Vortrags bei: Bilder, Arbeitsblätter, Filme, Plakate, Tafelbilder. „Wenn Sie auf das Arbeitsblatt schauen, dann sehen Sie ...“, sagt Splett. Die Teilnehmer können nicht gleichzeitig auf das Arbeitsblatt blicken und dabei den Ausführungen der Dolmetscherin zuschauen. Hier muss es eine klare Struktur geben, um zu vermeiden, dass die Teilnehmer etwas nicht mitbekommen.
Für den Referenten ist es das erste Seminar mit Gehörlosen. Von denen bekommt er viel Lob, vor allem dafür, dass er langsam und deutlich spricht – das kommt insbesondere den Teilnehmern, die ein Hörgerät verwenden, zugute – und dass er Sachverhalte verständlich erklärt sowie Rückfragen aufnimmt und beantwortet.
Zehn Tipps zur Kommunikation mit Gehörlosen
Schauen Sie Gehörlose beim Sprechen an.
Achten Sie darauf, dass genug Licht auf Ihr Gesicht fällt und der Mund nicht verdeckt ist.
Sprechen Sie langsam und deutlich – aber nicht zu laut: Das verzerrt die Gesichtszüge.
Benutzen Sie deutliche Mimik, Gestik und natürliche Gebärden.
Verwenden Sie kurze, klare Sätze.
Sprechen Sie möglichst Hochdeutsch, denn das Ablesen von Dialekten ist schwieriger.
Möchten Sie Gehörlose ansprechen, machen Sie Winkbewegungen. Auch leichtes Berühren oder das Betätigen des Lichtschalters sind möglich.
Schreiben Sie Fragen oder Antworten auf.
Eignen Sie sich erste Gebärden an, besuchen Sie einen Kurs zur Gebärdensprache.
Bestellen Sie einen Dolmetscher für Vorträge und Seminare.
Weitere Informationen: www.gehoerlosen-bund.de
Von Philipp Adolphs