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Kirche, Dorf und weite Welt

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KiZ-Serie - Unterwegs im Bistum: Vorsfelde

Vom Kindergottesdienst zum Ortsbürgermeister: Norbert Batzdorfers Geschichte ist eine von Kirche und Dörfern, von Gott und der weiten Welt.

Die Kirche St. Petrus, seit der Reformation evangelisch, prägt immer noch das Willkommenschild von Vorsfelde. Dazu das Wappen mit dem schwarzen Keiler, Zeichen des Reichtums – der Natur und der einstigen Stadt. Fotos: Wala

Vorsfelde und Wendschott. Einst zwei benachbarte Dörfer am Rande eines Werders, eines Feuchtgebietes. Trocken genug, um zu siedeln, Grundwasser genug, um zu überleben. Zwischendurch wurde Vorsfelde zur Stadt, Wendschott zur Gemeinde. Heute sind es zwei benachbarte Stadtteile von Wolfsburg. Eng zusammengewachsen. So eng, dass ein Ortschild ausreicht, um das Ende des einen und den Anfang des anderen Stadtteiles zu markieren. Und auch wenn Wolfsburg mit 123 000 Einwohnern die fünftgrößte Stadt Niedersachsens ist – das erscheint hier viele Felder weit weg, am anderen Ende des Werders. Zwei Dörfer, jetzt am Rande der Großstadt.

Die schmale Grenze zwischen beiden Orten übertritt Norbert Batzdorfer fast täglich. Das hat er schon als Steppke getan. Seine Eltern mit ihren schlesischen Wurzeln hatten sich in Wendschott angesiedelt. Auch des Grundstücks wegen. „Vorne das Haus, hinten ein bisschen Landwirtschaft“, schildert Batzdorfer, der 1961 geboren wurde.

Die katholische Kirche aber wurde in Vorsfelde errichtet, ein Jahrzehnt vor seiner Geburt. Erst gab es ein Pfarrhaus mit Notkirche, dann weihte Bischof Joseph Godehard Machens 1952 die neue katholische Kirche. Sie wird unter das Patronat des Erzengels Michael gestellt und liegt in der Straße „Am Engelhop“. Passend – und bundesweit wohl einmalig.

Vorsfelde wurde erstmals urkundlich im Jahr 1145 erwähnt – als Varesfelt  in einer päpstlichen Bulle durch Papst Lucius II. „Var“ steht für eine Möglichkeit, einen Fluss zu überqueren, „Felde“ bezeichnet eine waldfreie Stelle. Hier entsteht der Markt- und Gerichtsort für den gesamten Werder, wohl mit einer Burg, die eine Handelssraße sichert. Immer wieder ist die Burg umstritten. Zwischen den Herzögen von Braunschweig und Lüneburg und dem Erzbischof von Magdeburg, der auch nach ihrem Besitz strebt. Schließlich setzt sich die Braunschweiger Linie der Welfen durch und verleiht sie an ihre Vasallen, die Herren von Bartensleben.

Zweites Zuhause: Norbert Batzdorfer in der Kirche St. Raphael in Vorsfelde.

Spiegelbild vieler Gemeinden in der Diözese Hildesheim

Im Dorf wird das Gotteshaus St. Petrus gebaut, die Patronatskirche derer von Bartensleben wird.  Die kirchliche Aufsicht hat der Bischof von  Halberstadt. Mit der Reformation wird die Kirche evangelisch. Eine Rekatholisierung scheiterte, in Folge der Reformation geht das Bistum Halberstadt unter. Das Herzogtum Braunschweig ist fast vollständig protestantisch.

Einige wenige katholische Familien siedeln sich erst mit Beginn der Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert an. Doch eine nennenswerte Größe erreichten die kleine Gemeinde nicht. Das ändert sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch katholische Heimatvertriebene: „Insofern ist Vorsfelde ein Spiegelbild vieler Gemeinden in unserem Bistum“, meint Batzdorfer.

Diese neue Kirche ist nun sein Ziel, wenn er von Wendschott die Grenze zu Vorsfelde überquert. Es geht zum Kindergottesdienst. Allein, ohne die Eltern, stiefelt er los. „Ja, Priester habe ich auch gespielt“, erzählt er. Dass die Kirche seitdem und bis heute seine zweite Heimat ist, könne er nicht ernsthaft abstreiten.

Das Stiefeln zum Kindergottesdienst, das Priester-Spielen lag für Batzdorfer am Vorbild – an Prälat Martin Verdiesen, von 1962 bis 1976 Seelsorger in St. Michael. Hochgeachtet, hochgeschätzt, einer, für den Seelsorge vor allem Versöhnung bedeutet hat: mit Gott, mit sich selbst, mit anderen und mit der Welt. Das lag schon an der Lebensgeschichte des gebürtigen Niederländers: 1943 verschleppten ihn, den damals 20-Jährigen aus Rijswijk, die Nazis zur Zwangsarbeit nach Gelsenkirchen. Trotzdem wollte er später als Priester unbedingt in Deutschland arbeiten. Denn das katholische Netzwerk im Ruhrpott hatte ihn mit am Leben gehalten. „Solche Vorbilder wirken ein Leben lang“, sagt Batzdorfer nachdenklich.

„Nicht allen hat gefallen, was wir da machen“

Er engagiert sich weiter: wird Messdiener, mit 14 Gruppenleiter, mit 16 dann Mitglied im Pfarrgemeinderat. Mit dem Einsatz kommen aber auch die ersten Konflikte. „Nicht allen hat gefallen, was wir da machen“, berichtet Batzdofer. Mitte der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre verändert sich kirchliches Leben – wie die gesamte Gesellschaft. Neue Lieder werden im Gottesdienst gesungen, neue Themen beschäftigen Batzdorfer: Frieden, Ökologie, die sogenannte „Eine Welt“. Was in St. Michael nicht möglich ist, wird in in der Kirche Heilig Geist gemacht, der lutherischen Kirche Wendschotts. Direkt neben dem Elternhaus von Batzdorfer und zeitweilig sein drittes Zuhause: „Unser gutes ökumenisches Miteinander rührt aus dieser Zeit.“

Trotz der Konflikte erlebt Batzdorfer auch eine große Verbundenheit der Gemeinde mit seiner Familie. Als sein Vater Josef 1982 verunglückt und stirbt, ist die Anteilnahme groß – wie die Hilfe für seine Mutter: „Mir hat das gezeigt, wie eng meine Familie mit der Gemeinde verbunden war – und umgekehrt.“

Der Blick auf die andere Seite der Weltkugel

Lehre als Steuerfachangestellter, Heirat mit Ehefrau Petra in Nazaret, die Geburt von vier Kindern, nach zehn Jahren die Prüfung zum Steuerberater, der Aufbau einer eigenen Kanzlei – Batzdorfers Leben verändert sich. Nicht aber seine Verbundenheit mit Dorf und Kirche. Er engagiert sich bei den Grünen, baut einen Eine-Welt-Laden in St. Michael auf, engagiert sich in der Bolivienpartnerschaft. Zunächst baut die Gemeinde eine Beziehung zu einer Gemeinde nach Santa Cruz auf. Nach derem sanften Entschlafen ist Batzdorfer, mittlerweile auch Mitglied der Bolivienkommission des Bistums, Motor einer neuen Partnerschaft mit einer Gemeinde aus Aiquile: „Der Kontakt mit Bolivien weitet unseren Blick – auch für Fragen der Bewahrung der Schöpfung.“

St. Michael ist die erste Gemeinde im Bistum Hildesheim, die beim Umweltprojekt „Grüner Hahn“ dabei ist. Das Projekt ist speziell für Kirchengemeinden entwickelt worden, um Umwelt- und Ressourcenschutz zu ermöglichen. Ein Team aus gut einem Dutzend Gemeindemitgliedern hat zunächst Umweltleitlinien und konkrete Vorschläge erarbeitet, die nach und nach umgesetzt werden. Dazu gehören Dämmmaßnahmen für Gebäude, das Pflanzen von einheimischen Gehölzen auf dem Kirchengelände oder das kritische Durchforsten von Einkauf und Beschaffung. „Viel Arbeit, aber es lohnt sich“, meint Batzdorfer.

Jetzt noch die Mühen der Politik: Im April dieses Jahres wurde Batzdorfer zum Ortsbürgermeister von Wendschott gewählt. Kirche und Dorf, Gott und die weite Welt – was alles passieren kann, wenn ein kleiner Junge übers Feld zum Kindergottesdienst geht.

Rüdiger Wala


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