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Raus aus tödlicher Armut

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"Wirtschaftsflüchtlinge"

Hochtalentierte ausländische Fachkräfte sind in Deutschland gefragt, Kriegsflüchtlinge werden akzeptiert. Aber wie sollen wir mit sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen umgehen?

Die Menschen in den Roma-Lagern auf dem Balkan leben in und vom Müll: Von den Behörden unregistriert, sind sie den Recyclingfirmen wohlbekannt. Foto: pa/dpa

Links und rechts des schlammigen Wegs türmen sich Müllberge. Hütten aus Sperrholz, Planen und Stofffetzen stehen dicht gedrängt. Vidikovac ist eine „informelle Siedlung“ in der Nähe von Belgrad – so wie es sie zu Hunderten in Serbien gibt. Rund 30 Roma-Familien leben hier, unregistriert. Es gibt keine Kanalisation, kein Trinkwasser, die Menschen leben aus dem Müll. Auf der Straße werden sie angefeindet, eine Chance auf Arbeit haben sie nicht. 

Als Entwicklungsminister Gerd Müller im Juni eine solche Roma-Siedlung besuchte, war er schockiert. „Dieses Lager ist ein Schandfleck mitten in Europa. Man kann es den Menschen nicht verdenken, dass sie einen Ausweg suchen“, sagte er und versprach Hilfe. 

„Hauptgrund für die Flucht sind – auch nach örtlichen Vergleichsmaßstäben – extreme Armut und Diskriminierung“, sagt Bischof Norbert Trelle, Vorsitzender der Migrationskommission der Bischofskonferenz. Doch die Chance, dass Balkanflüchtlinge in Deutschland bleiben dürfen, ist gering: Seit November 2014 gelten Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsländer. Weitere, wie etwa das Kosovo, sollen nach dem Willen von Politikern folgen. Menschen aus diesen Ländern gelten nicht als politisch verfolgt und bekommen keinen Flüchtlingsstatus – denn: Armut ist kein Asylgrund. Die meisten Anträge werden als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt, nur 0,3 Prozent dürfen bleiben.  

Die Debatte um Wirtschaftsflüchtlinge erinnert den Migrationsforscher Klaus Jürgen Bade an frühere Diskussionen. „Sie lenkt von der politischen Ratlosigkeit ab“, sagt er. Die Menschen seien keine Asylbetrüger sondern normale Flüchtlinge, die aus einer wirtschaftlichen Lage kommen, in der es zum Leben nicht reicht. „Ob einer erschossen wird oder verhungert – es ist die gleiche Lebensbedrohung“, sagt Bade. 

 

Frühere Integration und neues Einwanderungsgesetz

Er fordert eine frühere Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt und schlägt eine Lösung auf Zeit vor: „Man sollte den Menschen nach einem Monat erlauben zu arbeiten. Ob sie in Deutschland bleiben können, muss ein Verfahren klären. Es wäre eine kostenneutrale Lösung.“ Außerdem brauche Deutschland ein verständlicheres und zukunftorientiertes Einwanderungsgesetz: „Die Demografie zwingt uns dazu, uns für Einwanderer zu öffnen. Das muss geregelt werden“, sagt Bade.

Generell gilt: Niemand kennt die Lösung des Problems. Nur: Die Ursachen müssen bekämpft werden. „Die Menschen kommen nicht hierher, weil sie so gerne in Deutschland leben möchten. Sie halten es in ihren Heimatländern nicht mehr aus“, sagt Bade. 

Die Wirtschaftskrise auf dem Balkan zu lösen, ist nicht einfach. Der serbische Ministerpräsident Aleksandar Vucic konnte Entwicklungsminister Müller nur sagen: „Wir sind offen für Tipps und nehmen jede Hilfe an.“

Von Kerstin Ostendorf


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