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„Es wird nicht mehr besser“

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Im Alter sind künftig mehr Menschen auf staatliche Grundsicherung angewiesen

Eine Rente unterhalb der Armutsgrenze hatte kürzlich der WDR anhand einer Studie für jeden zweiten Bundesbürger prognostiziert. Panikmache oder Realität? Aufgrund methodischer Mängel sind die Ergebnisse der Studie weit weniger dramatisch, dennoch lässt sich das Problem einer steigenden Altersarmut nicht leugnen.  

Künftig werden mehr Menschen im Alter ihr Geld sehr genau im Blick behalten, da sie auf die staatliche Grundsicherung angewiesen sind – obwohl sie ein Leben lang gearbeitet haben. Foto:fotoilia/Raths

Josef König* ist 72 Jahre alt. Er hat ein Leben lang gearbeitet, zwar in unterschiedlichen Jobs, aber ohne große Ausfallzeiten. Sein Verdienst war nicht übermäßig groß, aber er konnte sich mit seiner Familie ein Haus und ein normales Leben leisten. Doch die Ehe zerbricht, das Haus wird verkauft. Heute bekommt er 643,49 Euro im Monat. Davon muss er Miete und Lebensunterhalt bestreiten.

Durch einen Mini-Job in einer Druckerei verdient er sich etwas dazu. Doch mehr als 400 Euro kommen so im Monat auch nicht hinzu. Zudem muss der Rentner davon auch einen Motorroller finanzieren, da er sonst seine Arbeitsstelle im Nachbarort nicht erreichen könnte. Über die Zukunft mag er nicht nachdenken: „Es wird nicht mehr besser. Ich bleibe arm“, erklärt König.

Immer öfter haben Stephan Siebert und Michael Seifert in der Schuldnerberatungsstelle in Herzberg mit Menschen wie Josef König zu tun. Und für die beiden Berater der Caritas steht fest, dass die Zahl älterer armer Menschen steigen wird. Hintergrund sind unter anderem die Veränderungen im gesetzlichen Rentensystem. „Die 2001 beschlossene Absenkung des Rentenniveaus hat gravierende Auswirkungen, die langsam deutlich werden“, sagt Siebert.

Viele Menschen arbeiten im Niedriglohnbereich

Das Rentenniveau bezeichnet das Verhältnis zwischen einer Standardrente und dem Durchschnittseinkommen der Erwerbstätigen im selben Jahr. 1990 betrug dieses Rentenniveau noch 55 Prozent des aktuellen Durchschnittseinkommens, derzeit liegt es bei 47,8 Prozent. Bis 2030 soll es sogar weiter bis auf 43 Prozent sinken. Für Siebert steht fest, dass die Rente für viele Menschen unterhalb der Grundsicherung liegen wird. Denn: „Wir haben schon jetzt viele Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten oder deren Arbeitsleben sehr wechselvoll ist.“

Die Anpassung – oder besser die Senkung – des Rentenniveaus soll den Beitragssatz in der Rentenversicherung stabil halten und damit die Lohnkosten nicht weiter belasten. Einhergehend damit haben die Politiker mit ihren Reformen das Ziel verfolgt, dass die Menschen zusätzlich privat vorsorgen sollen. Doch gerade für Menschen, die derzeit für einen Mindestlohn oder nur wenig darüber arbeiten, sei das nur schwer möglich: „Sie sparen jetzt von ihrem wenigen Geld noch den Beitrag für die Rente – und haben dann später gar nichts davon“, verdeutlicht Seifert die paradoxe Regelung. Denn: Die ausgezahlte Rente wird später auf eine Grundsicherung angerechnet. „Die Riester-Rente ist für sie nicht das geeignete Mittel“, ergänzt Siebert.

Hier sieht auch der Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes, Dr. Georg Cremer, Handlungsbedarf: „Wer sein ganzes Berufsleben zum Mindestlohn arbeitet, benötigt ergänzende Grundsicherung im Alter. Diese Menschen müssen zielgerichtet unterstützt werden.“ Eine Anhebung des Rentenniveaus ist für Cremer da nicht die geeignete Lösung, eher schon die Anhebung der Vermögensfreigrenzen für Empfänger von Grundsicherung.
Dieses Schonvermögen beträgt derzeit 2600 Euro. „Davon kann keiner vorsorgen. Rücklagen für den Fall einer Erkrankung oder Reparaturen an Haus oder Wohnung sind damit nicht möglich“, erklärt Siebert.  

Das Rentensystem insgesamt muss verändert werden, um wirklich etwas gegen Altersarmut zu tun, davon sind die Schuldnerberater überzeugt. „Das geht aber nur durch eine breite gesellschaftliche Diskussion“, sagt Seifert. Bislang wurde immer nur an Symptomen herumgedoktort: Durch die Reformen der letzten Jahre wurden Leistungen gekürzt, längere Lebensarbeitszeiten festgelegt oder Ausbildungszeiten aus den Anwartszeiten herausgestrichen.

Doch für die Schuldnerberater umfasst Rentenpolitik viel mehr als die Besteuerung von Arbeitseinkommen. „Es fängt schon bei der Familienpolitik an“, betont Siebert. Motto: Keine Kinder, keine Rentenzahler. Wenn Menschen  Kinder bekommen und erziehen,  gleichzeitig aber auch arbeiten wollen und sollen, benötigen sie entsprechende Unterstützung in der Betreuung. Ein breiter Konsens quer durch die Gesellschaft sei dafür nötig.

Ein planbarer Einkommenseinschnitt

Die Schuldnerberater erleben allerdings auch manche Blauäugigkeit in Bezug auf die Rente. „Es ist ein planbarer Einkommensverlust“, sagt Siebert. Regelmäßig informiert beispielsweise die Deutsche Rentenversicherung mit einer Renteninformation (siehe Stichwort) Arbeitnehmer über die zu erwartende Höhe der Rente. Informationen, die nicht immer zur Kenntnis genommen werden, wie bei Ehepaar Meier*. Mit Mitte 50 haben die beiden ein Haus gekauft, finanziert über einen Kredit mit einer Laufzeit von 30 Jahren. Als sie in den Ruhestand gehen, folgt dann die große Ernüchterung: „Wir haben den Kredit mit unserem Gehalt kalkuliert“, sagt Peter Meier. Als dann auch noch seine Frau stirbt, steht dem Rentner kaum noch Geld zur Verfügung. Spätestens am 20. eines Monats kann Meier nicht mehr einkaufen. Er spart, wo er kann.

Sein gesellschaftliches Leben ist dadurch zum Erliegen gekommen. „Wenn es dann hieß, eine Spende ist erwünscht, bin ich schon nicht mehr zu Veranstaltungen gegangen, weil ich nichts hätte geben können“, erzählt der 69-Jährige.   Eine Kostenbeteiligung an der Straßensanierung führt schließlich bei Meier zur Insolvenz.
Für Peter Meier besteht Hoffnung auf ein schuldenfreies Leben. Die hat Josef König nicht. Er  wird auch weiterhin jeden Cent zusammenkratzen, um damit über die Runden kommen. Und hoffen, dass er gesund bleibt.

Thomas Pohlmann

 

*Namen geändert


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