Ein Schläfer aus dem 12. Jahrhundert kehrt zurück nach Hildesheim und ist die Sensation der neuen Ausstellung "Drachenlandung" im Dommuseum: Ein kunstvoll gestaltetes Gießgefäß, das sogenannte Aquamanile, konnte mit großzügiger finanzieller Unterstützung bei Christie’s ersteigert werden – für 1,3 Millionen Euro.
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Ein Sammler hatte das Drachen-Aquamanile fälschlicherweise als Öllampe in einer Schublade verstaut. Museumsdirektorin Dr. Claudia Höhl ist froh, dass das wertvolle mittelalterliche Gießgefäß aus Hildesheimer Werkstätten zurück in seine Heimat gekehrt ist. Foto: Stefan Branahl |
Begeistert von dem neuen Prunkstück ist Museumsdirektorin Dr. Claudia Höhl aus mehreren Gründen: „Das Drachen-Aquamanile ist nicht nur ein Schmuckstück für unsere Sammlung und Anlass für ein großes Forschungsprojekt. Es ist vor allem auch hochaktuell, weil seine Geschichte die Welt des Islam mit dem christlichen Abendland verbindet.“
Wie das? Das liegt zunächst an der handwerklichen Technik. Der aufwendige Hohlguss dieser Gefäße war vor fast 1000 Jahren ausschließlich im Orient bekannt. Als damals durch Eroberungen, Kreuzzüge und erste Handelsbeziehungen die Welt zusammenrückte, wurden nicht nur Waren getauscht und verkauft, sondern auch Kultur und Wissen weitergegeben. So ein kunstvolles Aquamanile weckte das Begehren von Herrschern, Kirchenfürsten und wohlhabenden Kaufleuten in Europa. Mit diesen fein gearbeiteten und reich geschmückten Kännchen konnten sie Eindruck schinden.
Bronzekunst aus Hildesheim war weltweit gefragt
Hildesheim bot sich aus unterschiedlichen Gründen an, ein Zentrum dieser neuen Kunst zu werden. Bronzegießer aus den Hildesheimer Werkstätten hatten bereits um das Jahr 1000 einen Namen. Verbunden mit dem Namen Bischof Bernward sind die Bernwardstür im Dom und die Christussäule, die heute beide zum Kernbestand des Hildesheimer Welterbes gehören. Von besonderer Qualität sind auch spätere Bronzearbeiten wie das Adlerpult oder die sogenannten Scheibenkreuze.
Die Werkstätten waren also geradezu prädestiniert, die aus dem Orient stammenden Gießgefäße zu kopieren und weiterzuentwickeln. Besondere Kunstwerke entstanden hier. Günstig war die Nähe zum Harzer Bergbau: Dort wurden nicht nur hochwertige Grundstoffe gefördert, es gab auch das spezielle Holz, um zum Schmelzen der Metalle die notwendigen hohen Temperaturen zu erzielen.
Dazu kamen die Verbindungen, die Wirtschaft und Kirche nach ganz Europa hatten. Beide bauten bereits damals ihre Netzwerke weit in den Norden, Süden und Osten aus. Erst kürzlich dokumentierte eine Ausstellung im Hildesheimer Roemer- und Pelizaeus-Museum, dass Münzen aus der Bischofsstadt bei Ausgrabungen in vielen Ländern gefunden wurden. Und Domschule, finanziell gut ausgestattete Klöster und Stifte unterhielten Verbindungen in die bekannte Welt. Wie ein Schwamm sogen Kirchen- und Kaufleute neue Anregungen auf und begannen, sie zu kopieren und weiterzuentwickeln. Folge war, dass wohl letztlich mehr dieser damals wie heute so begehrten Gefäße aus Hildesheimer Werkstätten auf dem Markt waren als solche aus dem Orient.
Gießgefäß galt lange als Öllampe
Zurück zum Drachen-Aquamanile und warum es Museumsdirektorin Claudia Höhl als sogenannten Schläfer bezeichnet: Ein Sammler islamischer Kunst hatte es irgendwann gekauft und unter der Bezeichnung „Öllampe“ in der Schublade „Orient“ aufbewahrt. Da blieb es von der Öffentlichkeit unbeachtet, bis es vor sechs Jahren in Süddeutschland bei einer Versteigerung angeboten wurde. Später stand es auf der Liste bei einem der traditionsreichsten Auktionshäuser der Welt, bei Christie’s in London. Als bis heute teuerstes gehandeltes Aquamanile des Mittelalters kam es Ende 2014 in die Hände des Dommuseums.
Ob es sich bei diesem in Drachengestalt gegossenen Gefäß letztlich um ein liturgisches Gerät handelt oder einen Gebrauchsgegenstand an der Tafel eines reichen Besitzers, kann auch Claudia Höhl nicht mit Gewissheit sagen. Vielleicht bringt eine Expertenrunde neue Erkenntnisse, die im Zusammenhang mit der Ausstellung in Hildesheim stattfindet.
Stefan Branahl
Die Ausstellung „Drachenlandung. Ein neu erworbenes Aquamanile des 12. Jahrhunderts im Dommuseum Hildesheim“ ist vom 29. April bis 16. Oktober 2016 zu sehen. Informationen im Internet: dommuseum-hildesheim.de