Eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge: 90 Staaten diskutierten darüber in Genf – die Ergebnisse sind ernüchternd. Doch die Menschen dürfen nicht vergessen werden.
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"Flüchtlinge willkommen in Europa" ist auf die Straße geschrieben. Oder doch lieber die Grenzen dicht machen? Am vergangenen Sonntag kam es zu Ausschreitungen zwischen Polizei und Demonstranten am Brenner in Österreich. Foto: imago |
480 000 Menschen – das war die Zahl, über die 90 Staaten auf der Genfer Syrienkonferenz in der vergangenen Woche diskutierten. 480 000 Menschen sind zehn Prozent der Menschen, die aus Syrien geflohen sind und nun in Flüchtlingslagern in Jordanien, Ägypten, im Irak und im Libanon ausharren. Für sie sollte eine Lösung gefunden werden, sie sollten nicht auf illegalem Weg Richtung Europa reisen müssen.
Das Ziel der Konferenz hatte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon klar festgelegt: neben Umsiedlungen, könnten Aufnahmen zur medizinischen Behandlung, Familienzusammenführungen oder Stipendien für Studium und Ausbildung den Menschen eine legale Einreise ermöglichen. Und er war optimistisch: „Unser Treffen kann den Ton für den Rest des Jahres angeben“, sagte er mit Blick auf weitere Gipfel etwa in Istanbul. Doch die Ergebnisse sind ernüchternd: Nur weitere 7000 Menschen dürfen ausreisen. Insgesamt gibt es eine Zusage für 185 000 Menschen, die langfristig von anderen Ländern aufgenommen werden sollen.
In den letzten Monaten konnte der Eindruck entstehen, es seien vor allem Osteuropäer, die ihre Hilfe verweigern. Doch so einfach ist es nicht: Die Entwicklungsorganisation Oxfam zeigt in einer Analyse, dass etwa Frankreich, die Niederlande, die USA, Dänemark und Großbritannien mit vier bis 22 Prozent der erfüllten Quote weit hinter ihren vereinbarten Kontingenten zurückbleiben. Nur Deutschland, Norwegen, Australien und Kanada übertreffen ihren Anteil.
Erzbischof Ludwig Schick reiste nach Syrien
„Ich finde, so groß ist der Unterschied zwischen Ost und West gar nicht“, sagt auch die Osteuropa-Historikerin Nada Boškovska. „Auch viele westeuropäische Staaten schachern um Zahlen und wollen möglichst wenige Flüchtlinge aufnehmen. Sie sehen die Notwendigkeit ein, schieben sich aber gegenseitig den schwarzen Peter zu.“
Erzbischof Ludwig Schick reiste in der vergangenen Woche nach Syrien, Jordanien, in den Nordirak und in den Libanon. Der Vorsitzende der Kommission für Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz besuchte auch Damaskus und erlebte ein Land im Bürgerkrieg: Checkpoints, Straßensperren, Sperrgebiete, zerstörte Häuser. „Ein Junge erzählte, wie er mit Freunden Basketball gespielt hat – und plötzlich kam eine Rakete, die zwei seiner Freunde getötet hat. Er selbst ist noch mit dem Leben davongekommen. Das ist erschütternd“, sagt Schick.
Er hofft trotz der Genfer Ergebnisse auf einen politischen Kompromiss: „Gefordert ist zunächst ein dauerhafter Waffenstillstand und dann ein guter Wiederaufbau. Langfristig braucht es danach viele Initiativen, damit die unterschiedlichen Gruppen wieder gut miteinander leben können. Als Christen wollen wir dazu gerne beitragen.“
Von Kerstin Ostendorf