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Schnippeln hinter Gittern

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Fastenserie

In der Justizvollzugsanstalt Detmold sitzen rund 20 Häftlinge im Rentenalter ihre Strafen ab. Zweimal im Monat kochen sie zusammen – mit Ehrenamtlichen aus der Stadt. Dabei entstehen nicht nur leckere Mahlzeiten, sondern auch unvergessliche Begegnungen.

 

"Das ist wie ein Querschnitt durch die Gesellschaft, hier lernt man ehrliche, aber auch unehrliche Menschen kennen", sagt Stefan Rücker, der seit acht Jahren ehrenamtlich mit den Häftlingen kocht. Foto: Lisa Mathofer

Die Glastür mit den weißen Rahmen summt einmal laut. Lothar Dzialdowski drückt sie auf und geht den Flur entlang. In der Tür mit den dunkelblauen Gitterstäben muss er seinen Schlüssel ein paarmal im Schloss rumdrehen. Der Gefängnisseelsorger öffnet und schließt weitere schwere Eisentüren mit Gitterstäben, dann begrüßt er Joachim Riedel, Bereichsleiter der sogenannten Abteilung für Lebensältere. „Hier sind Gefangene ab 62 Jahren untergebracht“, erzählt Dzialdowski. „Viele von denen kommen hier so schnell nicht wieder raus.“

Dzialdowski geht den schmalen Flur der Abteilung entlang – links reihen sich die Türen der Gefängniszellen aneinander. Die erste Tür steht offen. Werner Lehmann* schaut aus seiner Zelle: „Ich komm’ auch gleich runter, wir haben schon den Tisch gedeckt“, sagt der 66-Jährige. Noch eine Gittertür, dann geht Dzialdowski die stählerne Treppe runter. Im Untergeschoss ist neben Duschen und Gemeinschaftsräumen eine Küche – eingebaut in eine ehemalige Gefängniszelle. 

Die Idee zu dem Projekt zwischen Häftlingen und Ehrenamtlichen kam dem Diakon vor acht Jahren. „Menschen kommen durch das gemeinsame Kochen und beim Essen in Kontakt und ins Gespräch. Jesus selbst stellt ja das Teilen von Brot in den Mittelpunkt seines Lebens. Das Reich Gottes beschreibt er in Gastmählern, zu denen alle geladen sind“, sagt der 48-Jährige. Dzialdowski verweist auf den Auftrag der Kirche im Gefängnis: „Denkt an die Gefangenen, als wäret ihr mitgefangen“ (Hebräerbrief 13,3). 

Ein Name für die Aktion war schnell gefunden: „Fünf von drinnen, fünf von draußen“. Seitdem kommen 15 Ehrenamtliche abwechselnd alle 14 Tage in das Gefängnis.

 

Freunde und Familie reagierten geschockt

„Hallo!“, schallt es plötzlich von der Treppe nach unten. Sabine und Stefan Rücker tragen eine rote Plastikkiste mit Lebensmitteln nach unten in die Küche. „Heute gibt es Hähnchenkeulen mit Kroketten“, ruft Sabine Rücker. Um 18 Uhr setzt sie sich mit ihrem Mann, Seelsorger Lothar Dzialdowski und vier Häftlingen an den ovalen Holztisch im Flur vor der kleinen Küche. Die Gruppe bespricht, wer heute Abend welche Aufgaben beim Kochen übernimmt. „Ich mach’ die Hähnchenkeulen“, sagt Werner Lehmann und verschwindet in der Küchenzelle. Der 68-jährige Günter Vogt* ist heute zum ersten Mal dabei. „Ich arbeite nur nach Anweisung“, sagt er und lacht. „Du könntest mit uns das Gemüse für den Salat schnibbeln“, schlägt Sabine Rücker vor und legt einen Eisbergsalat, Tomaten und Paprika neben die Plastikbrettchen und Messer. 

Die 50-Jährige ist seit Beginn des Projekts mit dabei. „Ich kenne Lothar aus unserer Kirchengemeinde in Detmold. Durch ihn und über Freunde, die ehrenamtlich geholfen haben, habe ich von dem Kochprojekt erfahren.“ Andere Freunde und die Familie reagierten auf ihr neues Ehrenamt geschockt. „‚Was? Da willst du reingehen? Bist du verrückt?‘ Das habe ich oft gehört“, erzählt sie.

Von dem Ehrenamt überzeugt hat sie aber nach einigen Monaten auch ihren Mann. „Am Anfang war es schon komisch, ich hatte ja auch kein Bild davon, was es heißt, im Knast zu sein“, erzählt Stefan Rücker, während er die Blätter des Eisbergsalats in kleine Stücke reißt und in eine rote Plastikschüssel wirft. „Ich finde das aber immer noch total spannend. Ich habe in den vergangenen Jahren immer wieder neue Menschen kennengelernt. Man kommt beim Kochen ja auch gut ins Gespräch“, sagt er. Diese Begegnungen sind für Rücker interessant, aber nicht immer positiv. „Das ist wie ein Querschnitt durch die Gesellschaft, hier lernt man ehrliche, aber auch unehrliche Menschen kennen.“ Er überlegt kurz, sagt dann: „Und die sitzen ja alle auch nicht zu Unrecht hier drin, das darf man nicht vergessen.“

 

Ablenkung vom Gefängnisalltag

Die Küchenzelle im Detmolder Gefängnis
Foto: Lisa Mathofer

Um 19 Uhr dringt aus der Küchenzelle der Duft von gebackenen Hähnchen. Werner Lehmann steht vor dem Ofen und schaut auf die knusprige braune Haut über dem Fleisch. „Ein bisschen dauert es noch“, sagt er. Lehmann sitzt seit 2013 in der JVA Detmold ein, an dem Kochabend nimmt er regelmäßig teil. „Die Abende sind ganz gut zur Ablenkung. Richtig kochen kann ja keiner von uns, aber man kommt halt zusammen – auch mal mit anderen Menschen, als die, die man jeden Tag sehen muss.“

Wenn möglich, sollen in der Gruppe außerdem Kontakte entstehen, die auch nach der Haftentlassung weiter bestehen. „Wir haben schon ehemalige Häftlinge in der Stadt wiedergetroffen. Einigen ist das eher unangenehm, die meiden den Kontakt dann doch. Aber letztens hatten wir einen Häftling auf Freigang bei uns zu Hause zu Besuch“, erzählt Stefan Rücker. Von den Plastikbrettern schüttet er das Gemüse in eine große Porzellanschüssel. Günter Vogt holt aus der Küche zwei große Löffel, mit denen er den fertigen Salat umrührt.

Um 20 Uhr sind auch die Hähnchenkeulen und Kroketten fertig. Die Gefangenen, Ehrenamtlichen und Lothar Dzialdowski tragen die gefüllten Schüsseln in den Gemeinschaftsraum, stellen sie auf einen kleinen Holztisch. Darüber hängt an der Wand ein Bild: „Das Mahl mit den Sündern“ des Malers und Pfarrers Sieger Köder. „Das passt sehr gut zu dieser Runde hier. So wie hier Ehrenamtliche, Bedienstete und Häftlinge an einem Tisch sitzen, hat auch Jesus mit Sündern an einem Tisch gesessen – eine Prostituerte, ein Bettler oder der Narr“, erklärt Dzialdowski und zeigt auf die Figuren der Malerei.

Als alle an dem gedeckten Tisch sitzen, falten sie die Hände und der Seelsorger spricht ein kurzes Gebet. Einen Dank für das gute Essen und für den gemeinsamen Abend. Während des Essens ist es laut in dem kleinen Raum. Besteck klappert, Gläser klirren. Ehrenamtliche und Häftlinge unterhalten sich rege – über die aktuellen Weltnachrichten oder persönliche Geschichten.

Um halb neun sind auch die Schüsseln mit Eis und Obstsalat leer. Bereichsleiter Joachim Riedel hat Feierabend und guckt noch einmal bei der Runde vorbei: „Ich geh’ jetzt, ich sehe, ihr schafft das schon.“ Mit einem leisen Klappern schließt er die Gittertüren auf und hinter sich wieder zu. Bis er die Glastür erreicht hat, die ihn mit ihrem lauten Summen nach draußen entlässt.

(*Name geändert)

Von Lisa Mathofer


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