Ein geistliches Werk der Barmherzigkeit: Sünder zurechtweisen. Erster Teil unserer Fastenserie.
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"Kehrt um!", rief Johannes der Täufer den Sündern zu. Foto: wikimedia/Ledl |
der biblische Johannes als Beispiel für dieses „geistliche Werk der Barmherzigkeit“ genannt ist (Bild). Und auch Jesus war kein Freund von Kuschelpädagogik. „Geh und sündige von nun an nicht mehr!“, wies er die Ehebrecherin zurecht.
Jahrhundertelang hatte die Kirche kein Problem mit diesem geistlichen Werk. Ja, Warnungen vor Sünde und Hölle waren geradezu das Kennzeichen vieler Predigten und die Angst davor in die Seelen der Christen eingeprägt. Noch in den 1950er Jahren konnte ein Bußprediger wie Pater Leppich sich unbefangen auf öffentliche Plätze stellen und herumwüten. Und die Leute hörten ihm zu und nahmen ihn ernst.
Das alles ist vorbei. Denn wer würde es heute wagen, laut oder gar öffentlich zurechtzuweisen? Bin ich denn der Richter über meinen Nächsten? Oder vielleicht die Sittenpolizei? Selbst seine eigenen Kinder zurechtzuweisen fällt schwer, schließlich will man die lieben Kleinen (oder nicht mehr ganz so Kleinen) ja nicht in ihrer Freiheit und ihrer persönlichen Entwicklung beeinträchtigen. Ja: Schon das Wort „zurechtweisen“ hat einen unangenehmen Beigeschmack, etwas von „Rechthaberei“, von „Verurteilen“ und damit doch wohl das Gegenteil von „Barmherzigkeit“.
Also weg damit? Ab in die Kiste, die beschriftet ist mit „gilt heute nicht mehr“? Vielleicht hilft ein Blick auf die Botschaft Jesu. Der hat nämlich seinen Jüngern auch gesagt, dass sie einander zurechtweisen sollen, wenn sie sündigen. Im Lukasevangelium gibt es die Kurzfassung dieser Anweisung: „Wenn dein Bruder sündigt, weise ihn zurecht; und wenn er sich ändert, vergib ihm.“ (Lukas 17,3)
Aha: Man soll also nicht jeden zurechtweisen, sondern nur seinen „Bruder“, also jemanden, dem man nahe steht in Familie oder Freundeskreis. Vielleicht, weil man dann die Hintergründe besser einschätzen kann und nicht nur nach äußerem Anschein urteilt; vielleicht aber auch, weil man dann auf der gemeinsamen Basis der Liebe miteinander spricht und nicht auf der der förmlichen Gesetzgebung.
Die Zurechtweisung hat, wenn sie gelingt, Folgen: Vergebung. Und das sogar bei Rückfälligkeit. Im folgenden Vers heißt es: „Und wenn er sich siebenmal am Tag gegen dich versündigt und siebenmal wieder zu dir kommt und sagt: Ich will mich ändern!, so sollst du ihm vergeben.“ (Lukas 17,4) Und damit sind wir schon ziemlich nah an der Barmherzigkeit. Und an einer Aufgabe, die in der Praxis deutlich schwieriger ist, als „den Sünder“ von oben herab an den Pranger zu stellen.
Von Susanne Haverkamp