Bei unseren Stammtischgesprächen kam die Frage auf: Muss ich als gläubiger Christ in der derzeitigen Flüchtlingskrise in meiner Wohnung bei genügend Raummöglichkeiten und guter finanzieller persönlicher Lage einem oder mehreren Flüchtlingen eine Wohnmöglichkeit in unserer Wohnung anbieten? Gebietet uns Christen dies die Nächstenliebe? M. S., Frankfurt/Main
Eine gute Frage, die sich zumindest jeder Christ einmal stellen sollte. „Ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen“, sagt Jesus. Bevor es aber an konkrete Antworten geht, sind ein paar Fragen zu klären.
1. Wie viel Wohnraum habe ich? Wie viel Raum muss ich selber nutzen?
2. Wäre ich bereit, mit einem Fremden so eng zusammenzuleben. (Laut Ihrer Frage geht es ja um Zimmer in der eigenen Wohnung und nicht etwa um eine Einliegerwohnung in einem Haus) Abgesehen davon, ob der Fremde in meiner Wohnung wohnen möchte.
3. Über die Unterbringung von Flüchtlingen entscheiden auch Behörden mit. In der Regel vermitteln und bezahlen Jobcenter der Arbeitsagenturen Kaltmiete und Nebenkosten der Wohnung, ähnlich wie bei Beziehern von ALG II. Behörden wie die Ausländerbehörde entscheiden auch, ob Wohnraum geeignet ist. In der gegenwärtigen gesetzlichen Lage dürfte das schwierig sein, wenn es um einzelne Zimmer in einer Wohnung geht.
Nähere Informationen, auch zu den richtigen Ansprechpartnern, gibt es über die örtliche Stadt- oder Gemeindeverwaltung.
4. Da der Wohnungsmarkt insgesamt angespannt ist, suchen nicht nur Flüchtlinge eine Wohnung, sondern auch Einheimische. Viele Wohneigentümer vermieten sogar lieber an Flüchtlinge, weil dann der Staat verlässlich zahlt. Daher könnte ich ebenso Wohnraum einem Studenten, einem alleinerziehenden Elternteil oder anderen anbieten, die etwas suchen. Die Nächstenliebe gebietet da keine Unterschiede.
5. Sollte mich das Gewissen plagen, weil ich zwar viele Quadratmeter bewohne, sie aber aus triftigen Gründen nicht mit Fremden teilen möchte oder kann, finde ich sicher Wege, Flüchtlingen oder anderen Bedürftigen auf anderem Wege zu helfen.
Von Roland Juchem