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Ungeliebtes Engagement

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Flüchtlingshelfer: Umgang mit Kritik und Unverständnis

Gottes Werkzeug in der Welt zu sein – das ist ein großartiger Auftrag, doch alles andere als leicht. Das haben die Propheten des Alten Testaments ebenso erlebt wie Jesus Christus. Auch heute verspüren viele, die sich für Fremde und Schwache engagieren, rauen Gegenwind.

 

Frauen malen bei einem ehrenamtlichen Treff für Flüchtlinge. Viele geflüchtete Frauen brauchen diese Gemeinschaft, die sie aus den großen Familienverbänden in ihrer Kultur kennen. Foto: kna-bild

Drei große Tische sind in dem hellen, warmen Raum aufgestellt: ein Spieltisch, einer mit Arbeitsmaterialien zum Deutschlernen und einer mit bunten Stoffen und Nähmaschinen. „Die Frauen, die zu uns kommen, stammen aus einer Kultur, in der große Familienverbände üblich sind. Sie leben davon, dass sie zusammen sind und gemeinsam etwas tun. Sie brauchen einfach Gemeinschaft“, erklärt Annegret Ziesche.

Sie und Annegret Heller haben  mit anderen ehrenamtlichen Helfern in den Gemeinderäumen der katholischen Pfarrei St. Wigbert in Erfurt einen „Treff für Flüchtlingsfrauen“ eingerichtet. Immer montags können hier Frauen und Kinder reden und Deutsch lernen, sich über Angebote in der Stadt informieren und nähen.

 

„Wie auf einem anderen Planeten gestrandet“

Kontakt untereinander, aber auch im Austausch mit den Einheimischen sei für die Flüchtlinge ungemein wichtig, sagt Ziesche. Wie auf einem anderen Planeten gestrandet, seien diese Menschen. Die deutsche Kultur sei ihnen fremd, unsere Strukturen unklar und ungewohnt.

Auf Begeisterung bei der einheimischen Bevölkerung stößt dieses Engagement nicht immer. Vor wenigen Tagen wurde ein Büro des Sächsischen Flüchtlingsrates in Dresden mit Kot beschmiert. Auch in Erfurt werden derartige Parolen bei den allwöchentlichen AfD-Demonstrationen durch die Innenstadt gerufen, die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung scharf kritisiert und Ehrenamtliche verspottet. 

„Ich erlebe es immer wieder, dass ich am Arbeitsplatz, im Bekannten- und Freundeskreis, aber auch in der Familie konfrontiert werde mit Unverständnis und harter Kritik. Oft heißt es: Hier wird so viel gekürzt, Renten, Sozialleistungen und so weiter. Es gibt bei uns genug Menschen, die unsere Hilfe benötigen. Warum hilfst du Flüchtlingen? Sie kosten Geld und verursachen ungeahnte Probleme. Vor allem die Angst vor dem Islam ist angesichts der weltweiten Terrorbedrohung sehr groß“, erzählt Annegret Heller.

Das erinnert an den Ärger, den Jesus bei seiner ersten Predigt in seiner Heimatstadt bekam: „In Israel gab es viele Witwen in den Tagen des Elija, als der Himmel für drei Jahre und sechs Monate verschlossen war und eine große Hungersnot über das Land kam. Aber zu keiner von ihnen wurde Elija gesandt, nur zu einer Witwe in Serepta bei Sidon. Und viele Aussätzige gab es in Israel zur Zeit des Propheten Elischa. Aber keiner von ihnen wurde geheilt, nur der Syrer Naaman.“ Skandal! Die Fremden bekommen Hilfe, die eigenen Leute gehen (angeblich!) leer aus.

Die Leute aus Nazaret wollten Jesus angesichts dieser Predigt „den Abhang des Berges hinunterstürzen“. So schlimm ist es zum Glück heute nicht, aber auch die Ehrenamtliche Annegret Heller, die mittlerweile eine Art Patenschaft für einen jungen Syrer übernommen hat und mit ihm deutsche Vokabeln paukt, muss lernen, mit teils aggressivem Widerspruch zu leben. 

„Ich diskutiere nicht mehr. Ich höre mir die Argumente der Gegenseite an und versuche auch immer ein Gegenbeispiel zu bringen, um den Leuten klarzumachen, wie die Situation ist und dass ich helfe, weil es meine christliche Überzeugung ist und für mich der Mensch im Mittelpunkt steht. Der Mensch, der meine Hilfe braucht. Aber ich kann und will den anderen nicht überzeugen. Meine Energie setze ich lieber für Wichtigeres ein“, sagt sie.

 

Glaube und Dankbarkeit der Menschen helfen

Gelebte Nächstenliebe, das ist es, was Heller und Ziesche praktizieren. Der Glaube und die Dankbarkeit der Menschen helfen ihnen, auch in schweren Momenten durchzuhalten. In der Lesung sagt Gott dem Propheten Jeremia: „Erschrick nicht vor ihnen. Mögen sie dich bekämpfen, sie werden dich nicht bezwingen, denn ich bin mit dir.“

Das macht Mut, auch heute. Denn Annegret Ziesche berichtet ärgerlich, dass in ihrer Wohnsiedlung, in die bald eine Flüchtlingsunterkunft einzieht, viele Leute Alarmanlagen in ihren Häusern installieren. „Ich frage: ‚Wovor habt ihr Angst?’ Die meisten, die lauthals ihre Vorurteile verkünden, haben nie einen Flüchtling persönlich kennengelernt.“

Darum plädiert sie für Kontakt und Austausch. Und für die Toleranz, den anderen zu nehmen, wie er ist. „Unsere Mentalität steht uns nämlich auch oft im Weg“, bestätigt auch Annegret Heller. „Wir Deutschen wollen, dass alles strukturiert abläuft. Ergebnisse sollen schnell verwirklicht werden. Aber so etwas kennen viele Menschen aus den Kriegsgebieten nicht“, erklärt sie.

Seit Monaten bestimmt die Flüchtlingskrise die Stimmung in unserem Land. Ein Ende ist nicht abzusehen, im Gegenteil. „Ich bin mir bewusst: Jetzt fängt es erst richtig an“, sagt Barbara Sengewald. Die 62-jährige Betriebswirtin ist ebenfalls von Anbeginn als Helferin für die Flüchtlinge aktiv.Sengewald und ihr Mann haben sogar einen jungen Mann aus Afghanistan bei sich zu Hause aufgenommen. „Die letzten Monate waren schwer – für die Flüchtlinge und für uns Helfer. Aber es hat mich immer wieder beflügelt, wie viel die Menschen tun“, erklärt Sengewald.

Gegenwehr zu akzeptieren, fällt ihr in Gesellschaft und Stadt leichter als in christlichen Gemeinden, wo es diesen Widerstand auch gibt. „Mein Glaube hilft mir sehr“, erklärt Sengewald, „aber auch die Menschen, die in meiner Nähe sind und den gleichen Hintergrund haben. Ich spüre und sehe nun täglich, das ist Kirche. Meine Kirche.“

Von Diana Steinbauer


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