Judas auf der Bühne. Und er erklärt seine Tat, seinen Verrat. Das klingt verdächtig nach einer Verletzung religiöser Gefühle. Oder doch nicht? Wir haben mit dem Bibelwissenschaftler Dr. Christian Schramm eine Probe besucht – mit überraschenden Erkenntnissen.
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Die Bad Gandesheimer Domfestspiele lassen den größten Verräter der Weltgeschichte zu Wort kommen. Foto: kna-Bild |
Eineinhalb Stunden über Judas als Monolog: Zu viel der Ehre für den größten Verräter der Weltgeschichte?
Neben Petrus ist Judas einer der Apostel, die eine entscheidende Rolle in der Jesusgeschichte spielen. Während Petrus über alle Maßen beachtet wurde, ist Judas meistens unter den Tisch gefallen. Judas ist aber eine spannende, eine schillernde Gestalt, über die die Bibel relativ wenig sagt. Umso mehr ist es ein lohnenswertes Experiment, die Lücken in seiner Geschichte zu füllen. Das macht das Stück in ziemlich rasanten eineinhalb Stunden.
Über Jahrhunderte war Judas die exemplarische Verkörperung des Verräters. Eine zu einseitige Sicht?
Vorab: Der Begriff des Verrats kommt in den Evangelien – mit einer Ausnahme bei Lukas 6,16 – gar nicht vor. Es wird vom Übergeben, vom Ausliefern gesprochen. Es ist vor allem die Rezeption der frühen Kirche, die den Verrat so moralisch aufgeladen hat. Dadurch wurde die Figur des Judas so schwarz, so einseitig. In den biblischen Quellen bleiben aber die Motive, warum Judas Jesus ausgeliefert hat, verborgen. Der Figur des Judas wird man damit aber nicht gerecht. Im Stück stellt Judas entscheidende Fragen: Seid ihr nicht froh, dass ich es getan habe? Wer von euch hätte es gemacht? Daran wird deutlich, wie einseitig Judas bisher gezeichnet wurde.
Das Stück thematisiert zwei Fragen: War der Verrat des Judas die notwendige Voraussetzung für das Erfüllen der Heilsgeschichte, ist die eine. Wie stimmen Sie dem zu?
Letzten Endes ja. Das ist eine Paradoxie, die nicht völlig aufzulösen ist. Im Markus-Evangelium spricht Jesus selbst davon, dass der Menschensohn den Weg gehen muss, der ihm bestimmt ist – aber wehe dem Menschen, der ihn übergeben wird. Das ist in gewissem Sinne ein Widerspruch: Wenn der Plan Gottes erfüllt werden soll, dann braucht es den Verräter. Doch diesem Verräter wird gedroht: Wehe ihm. Das theologische Denken hat immer damit gerungen und es hat dazu geführt, aus Judas den Verräter schlechthin zu machen. Seine heilsgeschichtliche Bedeutung ist kaum betrachtet worden. Insofern knüpfen die Fragen von Judas, das Erläutern seiner Motivation, wie sie im Stück deutlich werden, auch an biblische Quellen an, sie führen fort oder malen aus, was in den Evangelien so kurz kommt.
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Dr. Christian Schramm ist Leiter der Bibelschule im Bistum Hildesheim. |
Die zweite aufgeworfene Frage: War es eher Verzweiflungstat eines enttäuschten Patrioten, der vom Messias großen Widerstand gegen die römischen Besatzer erwartete?
Wie gesagt, in der Bibel bleibt das im Dunkel. Die Evangelien schweigen zu den Motiven von Judas. Psychologisch betrachtet, sind aber diese politischen Motive durchaus plausibel. Sein Name, Judas Ischariot, verweist möglicherweise auf eine zelotische Ader, auf einen großen Eifer. Judas scheint einer von denen gewesen zu sein, die bereit sind, sich auch mit Blut und Schweiß von der römischen Herrschaft zu befreien. Das Wirken Jesu selbst ist auch nicht frei von solchen Zügen. In der aufgeheizten Stimmung von Jerusalem könnte Judas versucht haben, Jesus zu zwingen Stellung zu beziehen. Zahlreiche Anhänger hatten sich hinter ihm versammelt, zum Teil auch bewaffnet. Vielleicht war das eines der Motive von Judas.
Was wissen wir gesichert über Judas?
Der Name und seine Tat sind in den Evangelien überliefert. Mehr nicht. Seine Herkunft oder sein Jähzorn in der Jugend, die auch im Stück thematisiert werden, entstammen schon apokrypher Tradition – also aus Quellen, die nicht in die Bibel aufgenommen wurden. Unterm Strich: wenig.
Folgt die Darstellung des Judas im Stück diesen eher gesicherten Quellen oder, was Theater darf, wird viel dazu gedichtet? Hat die Autorin Lot Vekemans gute Arbeit geleistet?
Ich würde sagen, die Autorin hat gute Arbeit geleistet. Sie nimmt das gesicherte und auch halb gesicherte Wissen über Judas auf und arbeitet auch passendes zeitgeschichtliches Wissen ein. In der Tat füllt Lot Vekemans damit Lücken in unserer Wahrnehmung von Judas. Sie fragt sehr konsequent nach dem Warum – und dies führt Zuschauer konsequent dazu, sich mit dieser so dunklen Figur produktiv auseinanderzusetzen und manchmal auch sich selbst anfragen zu lassen.
Stellt ein solcher Monolog die historische Figur des Judas in ein anderes Licht?
Auf jeden Fall. Judas kommt ja in den Evangelien fast nie zu Wort, es wird immer über ihn geredet. Im Stück kommt Judas nun selbst zu Wort. Nicht in einer Verteidigungsrede, sondern im Versuch, sein Verhalten, seine Handlungen zu erklären. Das lässt über eine düstere Figur noch mal neu nachdenken, sie wird auf den Kopf gestellt – auch für mich als Bibelkundler. Das ist spannend, vor allem weil auch die schauspielerische Leistung von Gunter Heun die Figur im wahrsten Sinne des Wortes nahebringt. Judas bekommt in und mit ihm ein Gesicht. Also anschauen!
Interview: Rüdiger Wala
Gandersheimer Domfestspiele
Seit 1959 finden vor der Westfront der Gandersheimer Stiftskirche die Domfestspiele statt. Jedes Jahr kommen rund 50 000 Besucher in den Sommermonaten in die Kurstadt und erleben neben klassischen und modernen Schauspielstücken auch Musiktheater oder Kinder- und Familienstücke. Zahlreiche prominente Schauspieler wie Theo Lingen, Gustav Fröhlich, Anja Kruse, oder Thekla Carola Wied standen dabei auf der Bühne.
Internet: www.gandersheimer-domfestspiele.de
Judas-Monolog
Das Werk der niederländischen Dramatikerin Lot Vekemans ist ein Monolog des Judas. Das Stück wird nicht auf der Bühne vor der Stiftskirche, sondern im ehemaligen Klosterkeller im Kloster Brunshausen aufgeführt.
Karten: Stiftsfreiheit 12, 37581 Bad Gandersheim, Telefon: 0 53 82 / 737 77, E-Mail: kartenzentrale@bad-gandersheim.de