„Wo hat er das her? Das ist doch der Sohn des Zimmermanns. So ein Hochstapler!“ Was Jesus in seiner Heimatstadt Nazaret erlebt, ist typisch: Seine Predigten und Wunder fanden wenig Anerkennung. Doch nicht allen Propheten ging es „im eigenen Land“ so.
![]() |
Propheten hatten es selten leicht, weder in der Heimat noch in der Fremde. Zeichnung von Henryk Glicenstein (1870-1942). Foto: akg-images |
„Kein Prophet ist willkommen in seinem Dorf. Kein Arzt kann die heilen, die ihn gut kennen.“ So haben Sie diesen Satz sicher noch nicht gelesen. Steht aber so im Thomas-Evangelium, einem Text aus den Jahren 70 bis 80 nach Christus, der es nicht in den Kanon des Neuen Testaments geschafft hat. Ähnlich klingt es bei Markus und ist überhaupt bis heute noch ein gebräuchliches Sprichwort: Er gilt nichts, der Prophet im eigenen Land. Aber stimmt das – biblisch gesehen – eigentlich so?
Unser Prophetenbild ist stark geprägt von den einsamen Rufern in der Wüste, den unabhängigen Gestalten, die sich gegen einen korrupten Herrscher oder gegen ein Volk auflehnen, das Gott nicht mehr folgen will, und denen der Prophet radikal entgegentritt. Von solchem Format sind Figuren wie Johannes der Täufer oder Mose, der mit den Zehn Geboten vom Berg herabkommt und das Goldene Kalb zerschmettert.
Propheten: Kraft aus der Gottesbeziehung
Oder Elija, der es ganz allein mit einem ungerechten König aufnimmt, der Wundertaten vollbringt und seine Kraft und Inspiration ganz allein aus seiner Gottesbeziehung zieht. So gerüstet tritt er im berühmten Prophetenwettstreit auf dem Berg Karmel einer Heerschar von 450 Baals-Propheten gegenüber. Aber obwohl sich Elija hier als der wahre Prophet Gottes erweist, werden auch die anderen Propheten genannt. Und diese zeigen uns ein ganz anderes Prophetenbild, weit weg von dem einsamen Rufer in der Wüste.
Propheten waren nämlich häufig am Hof eines Königs angestellt, empfingen in seinem Auftrag göttliche Botschaften und gaben sie exklusiv an ihn weiter. Eine solche Beziehung ist von König David und seinem Hofpropheten Natan bekannt, der auch eine Art königlicher Berater ist. Zum Beispiel rät er David davon ab, einen Tempel für Jahwe zu bauen und sagt das ewige Bestehen seines Königshauses voraus. Später tritt Natan wie ein kritischer Mahner im Stile Elijas auf, wenn er David Unheil androht, da dieser sich widerrechtlich der schönen Batseba angenähert hat und ihren Mann aus dem Weg räumen ließ. Er erzählt ihm das Gleichnis vom reichen Gutsbesitzer, der das Schaf eines armen Bauern in seine Gewalt bringt, um es zu schlachten. „Du bist der Mann!“, schleudert er David entgegen und kündigt ihm die Strafe Gottes an. Doch David wird nicht etwa zornig und feuert Natan, nein, er folgt reumütig den Worten des Propheten. Natans Wort scheint also in seiner Heimat hoch angesehen, selbst wenn er Unheil verkündet.
Der Unheilsprophet wird ausgewiesen
Dagegen entspricht Amos eher wieder dem anfangs skizzierten Prophetenbild. Er war ein Bauer, der sich ganz klar von den Propheten rund um den König absetzen wollte. Amos kritisierte die Oberschicht, die es sich gut-gehen lässt und mit ihren Steuern die Menschen im Land in die Armut trieb. Auch was er weiter zu sagen hatte, erschüttert Israel: „Das Fest der Faulenzer ist nun vorbei! ... Ich schicke ein Volk gegen euch, das euch quälen wird.“ Zwar wissen wir nicht, wie das allgemein in Israel aufgenommen wurde, von der Obrigkeit wurde der Prophet jedoch ausgewiesen. In seiner Heimat durfte er nicht mehr sprechen. Genau wie Jeremia, dem sogar der Tod angedroht wurde.
Propheten konnte aber auch das genaue Gegenteil passieren: In der Heimat missachtet, stiegen sie im Ausland zu geachteten Menschen auf. So ergeht es Daniel, der aus seiner Heimat Judäa nach Babylon deportiert wird, um dort am Palast zu dienen. Er hält aber weiter seinem Gott die Treue und auch in fremder Umgebung seine Gebote. Dank seiner überragenden Fähigkeiten kann er an dem feindlichen Hof bestehen und festigt seinen Ruf als Prophet, indem er die verworrenen Träume des Königs Nebukadnezzar auslegt. Dieser König einer großen Weltmacht verneigt sich darauf vor Daniel und gesteht: „Es ist wahr: Euer Gott ist der Gott der Götter und der Herr der Könige und er kann Geheimnisse offenbaren. Nur deshalb konntest du dieses Geheimnis enthüllen.“ Ähnlich kann Jona im für ihn fremden Ninive erleben, dass seine Prophezeiungen gehört werden und man an seinen Gott glaubt.
Automatisch lebt es sich als Prophet im Ausland aber nicht besser, wie die Lesung dieses Sonntags aus dem Buch Ezechiel zeigt. Der Prophet wird dort zu Menschen „mit trotzigem Gesicht und harten Herzen“ geschickt. Seine scharfen Reden vom Unheil über Juda haben die Stimmung vermutlich nicht gebessert.
Prophet zu sein, heißt also in der Bibel nicht automatisch, in der Heimat geachtet oder missachtet zu werden. Aber es scheint doch eine prägende Erfahrung gewesen zu sein, dass es die großen Propheten wie Mose und Elija immer wieder schwer hatten, das Wort Gottes dem eigenen Volk zu verkünden und dafür geachtet und gehört zu werden. Der Auftrag der Propheten ist ja gerade, die Unbelehrbaren wachzurütteln und die, die Gott vergessen wollen, wieder an seine Gebote zu erinnern. Dass dies besonders in der Heimat schwer ist, wo alle einen von klein auf zu kennen glauben, bestätigen ganz ähnliche Sprichwörter aus dem arabischen Raum und dem antiken Griechenland: „Der Philosoph meidet seine Heimat.“
Von Christoph Buysch