Auf den meisten öffentlichen Weihnachtsmärkten liegt das Kind schon seit Wochen in der Krippe. Anders in der Wuppertaler City: Dort kommt es Heilgabend um zwölf. Und wird gesprüht.
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Die Graffitikrippe 2013 mit Köpfen zum Durchstecken. Am 4. Advent kommen die Schafe, aber die Krippe bleibt leer. Foto: Christoph Schönborn |
Manchmal treffen kommerzielle Interessen und kirchliche Verkündigung auf glückliche Weise aufeinander. So war es 2009 im Wuppertaler Stadtteil Elberfeld. „Damals kam die ‚Interessengemeinschaft Friedrich-Ebert-Straße‘, das ist ein Zusammenschluss von Kaufleuten, auf mich zu“, erzählt Werner Kleine. Der Pastoralreferent ist für die „Citypastoral“ zuständig, denn die Laurentiuskirche liegt direkt an der Einkaufsstraße. „Die Kaufleute wollten auf dem Kirchplatz eine Krippe aufstellen und fragten, ob und wie das geht. Bei einem Treffen habe ich dann gesagt, das sei doch merkwürdig, wenn das Kind schon am ersten Advent in der Krippe liegt. Und daraus ist dann die Idee einer Krippe entstanden, die im Laufe des Advent immer weiter wächst.“
Und noch etwas ist anders als gewöhnlich. Denn statt eine traditionelle Gestaltung mit Holzfiguren zu wählen, nahm Werner Kleine Kontakt zu einem stadtbekannten Graffitikünstler auf. „Martin Heuwold hat mit Kirche eigentlich wenig am Hut und fragte erstmal: Weihnachten, wie geht das überhaupt?“ Doch dann fand er die Idee spannend, die weihnachtlichen Personen und Gegenstände nach und nach auf dem Laurentiusplatz entstehen zu lassen.
Auf große Holzplatten werden sie gesprüht: Maria und Josef, die Hirten, der Stall, die Tiere, die Könige, der Weihnachtsstern, beginnend am Wochenende des ersten Advent und dann immer wieder. „Wenn Martin Heuwold auf dem Laurentiusplatz arbeitet, bleiben immer wieder Leute stehen und schauen zu“, erzählt Werner Kleine. Und oft würden dann Gespräche entstehen – über Graffitikunst, aber auch über Advent, Weihnachten und was dahintersteckt. Und warum das Kunstwerk wächst und nicht gleich fertig ist. „Schon die erste Krippe war ein großes Thema in der Stadt; die Lokalzeitungen haben Heiligabend Fotos davon gebracht. Und da wurde klar: Die Aktion wird weitergehen.“
Von außen Geschenk, von innen Weihnachten
In diesem Jahr entsteht die siebte Graffitikrippe – und bislang war jede anders. „2011 haben wir ein riesiges Geschenk auf den Laurentiusplatz gestellt“, nennt Kleine als Beispiel. „Erst wer in das Geschenk hineinging, fand die Figuren.“ Das regte zu Diskussionen an, was an Weihnachten äußerlich ist, und was eigentlich drinsteckt.
In anderen Jahren wurde es politisch. „2013 war Lampedusa in der Diskussion. Da haben wir eine Art Leporello aufgestellt: Auf der Vorderseite die Krippenfiguren, auf der Rückseite standen Flüchtlinge vor einer Mauer.“ Außerdem hatte der Künstler bei einigen Figuren die Köpfe ausgesägt. „Viele Passanten sind auf die Rückseite gegangen, haben ihr Gesicht durchgesteckt und sind so Teil der Krippe geworden. Allerdings funktionierte das nur, wenn sie sich auf die Seite der Flüchtlinge begaben ...“
Was immer gleich ist: Das Kind wird erst am Heiligen Abend in die Krippe gelegt. „Mittags um 12 Uhr“, erzählt Werner Kleine. „Da kommen so etwa 20, 30 Leute, der Künstler sprüht das Kind und anschließend singe ich das Weihnachtsmartyrologium, das manche aus dem Weihnachtsgottesdienst kennen.“ Wie ein kleiner öffentlicher Gottesdienst ist das, mit dem das Fest sozusagen eingeläutet wird. „Anschließend kommt es immer zu Gesprächen, und es zeigt sich, dass unsere Art, die Krippe wachsen zu lassen, gut angenommen wird.“
Zumal die Krippe nach Weihnachten weiter wächst. „Am 6. Januar lassen wir die Könige kommen“, so der Pastoralreferent. „Im vergangenen Jahr habe ich dazu erstmals die traditionelle Festankündigung gesungen.“ Früher war das ein üblicher Ritus: Die Daten der wichtigen christlichen Feste des neuen Jahres werden öffentlich verkündet. „Heute steht das alles längst im Kalender“, gibt Kleine zu. „Aber diese öffentliche Form zeigt: Das christliche Jahr geht weiter. Mit dem Abbau der Krippe ist nicht Schluss.“
Inzwischen kommen sogar Busse von nah und fern
Inzwischen ist die Graffitikrippe „Kult“ geworden, schon vor dem Advent läge eine gewisse „Grundspannung in der Luft“, sagt Kleine. „Jeder will wissen, wie die Krippe in diesem Jahr aussieht – aber wir verraten natürlich nichts.“ Angesprochen fühlen sich gerade Menschen, die nicht „Kerngemeinde“ sind. „Wer eine traditionelle Krippe sehen will, kann nebenan in die Kirche gehen“, meint Kleine. „Wir wollen aber für die da sein, die sich selten in die Kirche verirren.“
Inzwischen kommen sogar Busse von nah und fern, um diese besondere Krippe zu sehen, und Fotos davon werden als Postkarten vom Stadtmarketing vertrieben. Auch finanziert wird die Krippe gemeinsam von Kirche und Kaufmannschaft. Eine glückliche Zusammenarbeit eben: Ein bisschen Werbung für die Läden und ganz viel Verkündigung für die Kirche.
Von Susanne Haverkamp