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Ein geheimer Handschlag

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Gemeinsame Konzerttour von iranischen und israelischen Musikern

Ihre Heimatländer sind verfeindet. Zwei Bands aus dem Iran und Israel widersetzen sich dieser Feindschaft und haben gemeinsame Konzerte in Deutschland gespielt – für ihre große Leidenschaft und den Frieden.

Die Band Ramzailech spielt Rockmusik mit jüdischem Klemzer. Foto: privat

Riesig und grau steht der Flakturm 5 auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg. In einigen der winzigen Fenster im vierten Stock brennt Licht. Je näher man der Etage in dem großen Treppenhaus kommt, umso lauter klingt die Musik. Im dunklen Turmzimmer des Bunkers stehen fünf Männer auf einer kleinen Bühne. Der 28-jährige Amit Peled spielt ein paar Töne auf seiner E-Gitarre. „Ja, das passt“, ruft der Tontechniker Richtung Bühne. Der 29-jährige Behrooz Moosavi schließt seine E-Gitarre an den Verstärker an. Seine Bandmitglieder von „Langtunes“ und die Musiker von „Ramzailech“ machen die anderen Instrumente auf der Bühne startklar. 

45 Minuten später sind die beiden Bands bereit für das gemeinsame Konzert in dem ehemaligen Hochbunker in St. Pauli. Bis zu ihrem Auftritt haben sie jetzt noch ein wenig Zeit. Peled und Moosavi gehen durch den Flur des Bunkers und eine schmale Wendeltreppe hinauf. Im fünften Stock, am Ende des Gangs ist ein enger Raum. Die Musiker der beiden Bands sitzen dicht gedrängt zusammen, trinken etwas, unterhalten sich. „Vor rund einem Jahr haben wir uns in Nürnberg kennengelernt. Durch Zufall haben wir spontan ein Konzert gespielt“, erzählt Peled. Die iranischen und israelischen Musiker verstanden sich gut, beide wollen ihre Musikkarriere in Deutschland weiter ausbauen. Der Auftritt in Hamburg ist die zweite Station ihrer gemeinsamen „Secret Handshake Tour“. Nach diesem Abend geht es weiter nach Rostock, Berlin,  Nürnberg, München und Frankfurt.

„Secret Handshake“, ein geheimer Handschlag zwischen dem Iran und Israel – das ist die Botschaft der jungen Musiker. Politisch oder religiös zu deuten, sei diese Botschaft jedoch nicht, sagt Peled. „Es geht darum, zusammen Musik zu machen, egal woher man kommt.“ „Im Moment denken alle erst mal, dass diese Tour eine verrückte Idee ist. Aber wir wollen eigentlich zeigen, dass es keine große Sache ist, wenn zwei eigentlich verfeindete Nationen zusammenarbeiten“, sagt Moosavi. Die Musiker von Ramzailech sind Juden, die meisten Mitglieder von Langtunes sind Muslime. Über ihren Glauben und deren Rituale sprechen die jungen Männer untereinander nicht, sagt Moosavi. 

 

„Jeder lebt seinen Glauben so, wie er es für richtig hält“

Die iranische Band Langtunes
Foto: privat

Jeder lebe seinen Glauben so, wie er es für richtig halte. Und auch politisch engagiere sich keiner der Musiker öffentlich – weder in seinem Heimatland noch hier in Deutschland. Dass es in Deutschland einfacher ist, seine Musik zu verwirklichen, können die beiden Männer trotzdem bestätigen. Langtunes haben im Iran seit ihrer Gründung 2008 oft nur im Untergrund gespielt. „Im Iran kann man schon die Musik machen, die man möchte. Aber wenn man jemanden damit erreichen will, wird es schwierig. Der Staat kann Musikern einfach verbieten, Alben zu veröffentlichen oder Auftritte zu veranstalten“, erzählt Moosavi. 

Wenige Tage vor dem Start der Konzertour haben terroristische Attentäter des Islamischen Staats in Paris über 130 Menschen getötet, unter anderem bei einem Rockkonzert. Kurz darauf gab es auch in Deutschland eine Terrorwarnung. Peled und Moosavi sind geschockt. Und gleichzeitig werden sie in ihrem Handeln als Musiker bestätigt. „Diese Tour zeigt, dass man Musik immer machen kann, egal in welchen Zeiten. Sie zeigt, dass man mit Musik die Menschen wieder aufrichten kann“, sagt Peled. „Musik kann Frieden bringen, das war schon immer so und ist auch heute noch so“, ergänzt Moosavi.

Viele ihrer Konzerte haben Langtunes in Ostdeutschland gespielt. Bevor sie bei ihrer ersten Konzerttour 2012 nach Dresden fuhren, wurden sie von vielen Leuten gewarnt, vorsichtig zu sein, auch wenn Pegida zu dieser Zeit noch nicht das große Thema war, sagt Moosavi. „Ich bin schon ein wenig enttäuscht, dass in einer meiner deutschen Lieblingsstädte Pegida so stark vertreten ist. Persönlich haben wir dort aber noch nie Probleme gehabt“, erzählt er.

Mittlerweile hat sich der kleine Konzertraum eine Etage tiefer schon gut gefüllt. Unter den rund 60 Gästen sind viele junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren. Einige stehen schon vor der Bühne. Zwei Männer und eine Frau holen sich an der Bar noch etwas zu trinken. Sie haben im Internet von dem Konzert gelesen und waren einfach neugierig. „Die Tatsache, dass eine iranische und eine israelische Band auf Tour gehen, ist weltweit sicherlich erst mal einzigartig“, sagt einer der Männer. „Dass zwei der Regierung nach verfeindete Völker zusammen Musik machen, das muss man unterstützen, gerne mehr davon“, ergänzt der andere. Ein junges Pärchen war schon mehrmals im Iran: „Das Thema Iran beschäftigt uns beide sehr, da wir dort viel gereist sind und tolle Menschen kennengelernt haben. Wenn Menschen aus diesen beiden Nationen sich nun zusammenfinden und gemeinsam Musik machen, ist das doch eine tolle Geschichte.“ 

 

Harte Rockmusik mit jüdischem Klezmer

Indie-Rock mit englischen Texten: Die Band Langtunes in Aktion
Foto: privat

Plötzlich erklingen die ersten E-Gitarrentöne auf der Bühne. Langtunes spielen ihr erstes Lied: Indie-Rock mit englischen Texten, zwischen die schroffen Gitarrenklänge mischen sie elektrische Töne mit Synthesizern. „Hallo, wir sind Ramzailech aus Israel“, sagt Moosavi. Das Publikum ist verunsichert, einige lachen. „Na, wir sehen ja auch alle gleich aus, oder?“, scherzt Moosavi. „Aber das ist es doch, worum es heute Abend geht“, sagt Gitarrist Kamyar Keramati. „Heute Abend sind hier Muslime, Juden und Christen – und das auch noch in einem Nazibunker. Aber wir wollen einfach nur zusammen Musik machen.“ Das tun sie – und das Publikum tanzt ausgelassen vor der Bühne.

Als nach einer Stunde Ramzailech die Bühne betreten, ist klar woher ihr Name stammt. Liest man ihn rückwärts vor, spricht man den Namen jüdischer Volksmusik aus: „Klezmer“. Mit Schlagzeug und E-Gitarren spielen die Israelis Hardcoremusik: harte Rockmusik – aufgebrochen von traditionellen Melodien. Dominierendes Instrument des Konzerts ist jedoch eine Klarinette. Gal Klein gibt der jüdischen Musik mit seinem Instrument den typischen Klang. Keyboarder Hod Moshonov spielt die Melodie im Klang eines Akkordeons. Als Klein zum Mikrofon greift, ist der Klezmer perfekt: Die Texte der Band sind jiddisch. Klein singt eine Melodie vor, spornt das Publikum an, nachzusingen. So recht traut sich keiner. Doch eine junge Frau wiederholt den Gesang. Klein holt sie auf die Bühne. Auf Jiddisch singt er einen kurzen Text mit einfacher Melodie. Die junge Frau singt ihn nach, es klingt ähnlich, aber eher ein bisschen wie Schweizerdeutsch. Dem Publikum ist das egal, es tanzt zu den rockig-traditionellen Klängen. Klein springt von der Bühne und läuft in die Mitte des Publikums. Er dreht sich, tanzt und spielt die Klarinette. Auch Gitarrist, Keyboarder und Schlagzeuger nehmen ihre Instrumente und verteilen sich in dem kleinen Raum. Und dann gibt es kein Halten mehr. Musiker und Publikum spielen, tanzen und singen. Erst in einem großen Kreis, dann wild durcheinander.

Nach drei Stunden ist das Konzert beendet. Auch wenn die Iraner und Israelis eigentlich nicht viel mehr wollen, als zusammen Musik zu machen – eines haben sie an diesem Abend trotzdem geschafft: Menschen unterschiedlicher Kulturen zusammenzubringen. Ohne Vorurteile. Junge Menschen, die ihre Freude an Musik teilen. Mit einer Friedensbotschaft, die vielleicht doch größer ist, als sie denken.

Von Lisa Mathofer


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