Allerheiligen ist der Tag, an dem viele Katholiken zum Friedhof gehen, um ihrer Toten zu gedenken. Dass in Erfurt die Allerheiligenkirche zum Kolumbarium, also zu einem „Friedhof“ umgebaut wurde, passt deshalb gut.
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Im Nordschiff der Erfurter Allerheiligenkirche ruhen die Toten. Foto: picture alliance |
Eine grüne Wiese ziert die äußere Hülle der Urne. Darauf aufgesetzt sind bunte Blumen und Schmetterlinge aus Holz. Oben auf der Abdeckung erstrahlt eine kräftig gelbe Sonne. Eine kleine Enkelin hat die Urne der verstorbenen Großmutter so verziert, bevor diese in eine der 15 Stelen im Kolumbarium der Erfurter Allerheiligenkirche beigesetzt wurde. „Dieses Kind hat sehr viel davon begriffen, was im Tod unsere Hoffnung ist“, erklärt Domvikar Bernhard Drapatz, Seelsorger der Allerheiligenkirche.
Seit 2007 gibt es ein Kolumbarium in der katholischen Kirche mitten in der Erfurter Altstadt. Der Erfurter Weihbischof Reinhard Hauke rief es damals ins Leben. „Durch das Kolumbarium hat eine Akzentverschiebung in der Kirche stattgefunden“, sagt Drapatz, „dennoch soll sie keine Grabeskirche sein.“ Die 15 Stelen aus Stahl, geätztem Glas und Muschelkalk sind hell gestaltet und geben durch die Glasscheiben einen verschwommenen Blick, auf die Urnen frei. Von oben fällt Licht in die Stelen und beleuchtet die Grabstätte in besonderer Weise. „Hier kommt die Lichtsymbolik des Christentums zum Tragen, wie in der Osternacht“, erklärt Domvikar Drapatz.
Die 640 Grabstätten waren schnell belegt – von Christen wie Nichtchristen. „Wir leben in einer Zeit, in der der Tod im öffentlichen Bewusstsein kaum noch vorkommt. Vor allem auch während der DDR-Zeit hat hier eine große Verdrängung stattgefunden“, erklärt der Seelsorger. In der Allerheiligenkirche finden die Menschen einen Ort zum Trauern mitten in der quirligen Erfurter Altstadt. „Man kann hier Station machen zwischen den Besorgungen auf dem Wochenmarkt oder auf dem Heimweg von der Arbeit. Viele kommen oft, um ihren Verstorbenen nahe zu sein“, weiß Drapatz.
75 Prozent der Erfurter Bevölkerung lebt ohne Religion. Gerade in der Situation einen geliebten Menschen verloren zu haben, sind sie oft hilflos. Darum, so erklärt Drapatz, sei es wichtig, dass nicht nur die Bestattung im Kolumbarium eine würdige Verabschiedung sei, sondern, dass die Menschen auch weiterhin Seelsorger als Ansprechpartner haben.
In vielen Gesprächen haben ihm Menschen, die Angehörige in anonymen Gräbern bestattet haben, anvertraut, wie sehr sie sich nach einem konkreten Ort sehnen, an dem sie dem geliebten Menschen gedenken können. „Darum hat jede Urne im Kolumbarium einen Platz mit vollständigem Namen, Geburts- und Sterbedatum.“
Allerheiligen und Allerseelen nah beieinander
Die Kirche gedenkt an Allerheiligen aller, die als „Heilige“ bei Gott sind. Am darauffolgenden Allerseelentag begehen Katholiken das Gedächtnis ihrer Verstorbenen mit Gottesdiensten und Gräbersegnungen. In der Allerheiligenkirche in Erfurt sind beide Feste räumlich miteinander verbunden. Da ist zum einen im südlichen Kirchenschiff der prächtige Hochaltar, der Christus und die Gemeinschaft der Heiligen zeigt. Darunter sind die Gläubigen zu sehen. Hier stehen Bettler neben Päpsten, Handwerker neben Adeligen und schlichten Frauen. Nebenan im nördlichen Kirchenschiff ist das Kolumbarium eingerichtet.
„Im dem alten Katechismus, mit dem ich unterrichtet wurde, hieß es, die Kirche bestehe aus den Heiligen, den Verstorbenen und den Lebenden“, erklärt Bernhard Drapatz. „Diese Sichtweise gefällt mir. Sie zeigt die Verbindung, die wir miteinander haben und die auch durch die Feste Allerheiligen und Allerseelen sichtbar wird.“
Eine Verbindung, die der 67-jährige Drapatz auch zu seiner verstorbenen Ehefrau spürt. Das Amt des Priesters ist für Drapatz sozusagen der dritte Lebensabschnitt. Ursprünglich war er Techniker und später lange in der Landesverwaltung tätig. Mit Ehefrau Christina zog er vier Kinder groß. Von jeher engagierte sich die Familie in der Gemeinde. „Wir sind in unserem Leben gemeinsam unseren Glaubensweg gegangen. Besonders intensiv war es, als meine Frau erkrankte. Der Glaube hat uns beiden geholfen“, erzählt der Seelsorger.
Nach dem Tod seiner Frau wuchs in Drapatz der Wunsch, sich zum Diakon weihen zu lassen. Der damalige Erfurter Bischof Joachim Wanke schlug ihm vor, sich für das Priesteramt zu entscheiden. „Die Erfahrungen aus meinem vorherigen Leben helfen mir oft in Gesprächen mit Gläubigen. Ich bin nicht unvorbereitet, wenn ich in eine Familie komme, über die die Diagnose Krebs hereingebrochen ist. Dabei muss man nicht viele Worte machen. Die Hand halten, mit einander beten, das sind Formen des Trostes, die Zeichen setzen und die Betroffenen stärken.“
Totengedenken zur Sterbestunde Jesu
Zur Seelsorge in der Allerheiligenkirche gehören auch liturgische Feiern. So gibt es jeden ersten Freitag im Monat ein Totengedenken zur Sterbestunde Jesu. Hier können Menschen trauern und die Namen ihrer Angehörigen verlesen lassen. Auch aktuelle Ereignisse, die die Öffentlichkeit bewegen, werden angesprochen und ins Gebet gehoben.
„Wir Christen gehen mit einer besonderen Zielvorstellung durch das Leben. Wir kennen die Hoffnung auf das ewige Leben. Dieses Geheimnis von Leben und Tod wird in der Allerheiligenkirche und ihrem Kolumbarium deutlich“, erklärt Seelsorger Drapatz. Und es mache auf besondere Weise sichtbar, was wir im Glaubensbekenntnis bekennen: „Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben. Amen.“
Von Diana Steinbauer