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Christ im Zwiespalt: Helfen ja! Kirche nein!

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Das schwierige Verhältnis zur Institution

Nächstenliebe – Carmen Jagielski-Meyer hat sie zu ihrem Beruf gemacht. Doch mit der katholischen Kirche brach die Christin trotz tiefen Glaubens. Seitdem sucht sie eine spirituelle und religiöse Heimat in der evangelischen Kirche. Auch Klaus Ciernioch hat seine Schwierigkeiten mit der Institution Kirche. Nach 20 Jahren Trennung nähert er sich ihr vorsichtig wieder an.

Taufe, Erstkommunion, Firmung. Sogar mehrere Fahrten mit der katholischen Jugend ins Ferienlager. So eng verbunden mit der Kirche beginnt der religiöse Lebensweg von Carmen Jagielski-Meyer aus Travemünde. „Gleichzeitig wurde aber zu Hause oft auf die Kirche als Institution gewettert“, erinnert sich die 1964 geborene Diplom-Sozialpädagogin. „Weltfremdes Gequatsche“, kritisiert der Vater, ein zur See fahrender Katholik aus dem Ruhrgebiet. Und die evangelische Mutter findet die Stellung der Frau in der katholischen Kirche abwertend.

Carmen Jagielski-Meyer glaubt an Gott, aber von der Institution Kirche fühlt sie sich weit entfernt. | Fotos: Kleine

Carmen Jagielski-Meyer hat Fragen. „Ich hatte Lust auf Auseinandersetzung und Wissen“, sagt sie. „Aber der Pfarrer war ein alter Mann, der jede Frage ablehnte.“ Bei der Beichte denkt sie sich Geschichten aus, erzählt aber nichts, was sie wirklich beschäftigt. „Ich bin dann mit meinem älteren Bruder öfter bei den Jugendgruppen der evangelischen Kirche gewesen. Da gab es nicht diese Moral, die über uns schwebte – wie ein Korsett und eine Geißel. So viel, das man falsch machen konnte.“

Zu unbeweglich und zu moralisierend

Die Sozialpädagogin steht zum Christentum. „Ich habe einen gro­ßen Glauben und einen direkten Zugang zu Gott“, sagt sie bestimmt. Aber die Institution Kirche passe nicht mit ihrer Lebenswelt zusammen. Die Stellung der Frau in der katholischen Kirche störte sie damals schon. „Die Katholiken haben eine Distanz zu Menschen. Die Unbeweglichkeit und das Moralisierende sind für mich nicht verständlich“, sagt sie klar, aber ohne Schärfe in der Stimme.

Mit zwanzig Jahren zieht sie nach Lübeck und wird Erzieherin. Aus „pragmatischen Gründen“ wechselt sie die Konfession, um eine Anstellung in einem evangelischen Kindergarten zu bekommen. Aber auch in der evangelischen Kirche fühlt sie sich heimatlos. Sie ringt um ihren Glauben. „Meine Religiosität und christliche spirituelle Verankerung findet in der Kirche keine Identität. Ich habe das Gefühl, dass ich in der Institution keinen Platz habe.“ Sie ist ernüchtert. In ihrer Freizeit engagiert sie sich in Lübeck ehrenamtlich für alleinerziehende Eltern.

Sie heiratet, zieht 1990 mit ihrem Mann nach Hannover und beginnt soziale Arbeit zu studieren. Während des Studiums werden ihre zwei Söhne Kilian und Frederik geboren. Die Ehe scheitert und wird geschieden. Die beiden Kinder lässt sie zunächst nicht taufen. Sie und ihr Exmann wollen, dass die beiden sich selbst entscheiden können.

2003 kommt es bei einem Ausflug ihres jüngsten Sohnes Kilian mit dem Hort zu einem Unglück: Der damals Siebenjährige verschluckt sich an einem Stück Pfannkuchen, bekommt keine Luft mehr. Da er seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte, wird dies zu spät bemerkt und er droht zu ersticken. Die Ärzte können ihn zwar retten – aber Kilian liegt im Wachkoma. „Mit dem Unfall meines Sohnes habe ich mehr Frieden mit Gott geschlossen. Der Grundkonflikt, ob Gott jetzt Mann oder Frau ist, trat in den Hintergrund. Ich hatte das Gefühl, der hilft mir, er ist da, der Gott“, sagt sie nachdenklich. „Eigentlich erwarten die Menschen das ja meist ganz anders. Dass man Gott Vorwürfe macht. Aber bei mir hat sich die Beziehung zu Gott durch den Unfall weiter stabilisiert.“ Kilian wird 2004 evangelisch getauft. Der ältere Bruder Frederik entscheidet sich mit damals elf Jahren, mit ihm zusammen getauft zu werden. Beide werden auch konfirmiert.

Carmen Jagielski-Meyer arbeitet zunächst in Teilzeit als Sozialarbeiterin und hilft Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Beruf Fuß zu fassen. Sie beißt sich durch. 2008 erfährt sie von einem neuen Projekt, das in Hannover startet: ein Kaufhaus, das kostendeckend gute gebrauchte Ware anbietet und gleichzeitig das Ziel hat, Arbeitslose auf den ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Die Gesellschafter von fairKauf, wie der Laden heißen soll, suchen jemanden, der den Bereich soziale Arbeit aufbaut. Arbeitslose sollen qualifiziert und geschult werden und im Handel mitarbeiten. Die evangelische und die katholische Kirche sind als Gesellschafter bei fairKauf stark vertreten.

Sie bekommt den Job und arbeitet mit Betriebswirten und Lageristen zusammen. „Der Blick der Sozialen Arbeit auf ein Unternehmen war für Kollegen zunächst ungewohnt. Und ich musste lernen, meinen Bereich über Zahlen und Kalkulationen auszudrücken.“ Aber das Konzept geht auf: FairKauf expandiert. Mittlerweile arbeiten rund 240 Mitarbeiter an den verschiedenen Standorten des Unternehmens in und um Hannover. Jagielski-Meyer leitet ein Team von sechs Sozialarbeitern, das sich darum kümmert, bei fairKauf Menschen ohne Arbeit beim Wiedereinstieg in den Beruf zu begleiten. Sie kann zeigen, dass in ihr eine Führungskraft mit klaren Vorstellungen und Ideen steckt. „Die Menschen kommen zu uns, weil sie arbeiten wollen. Hier wird nicht gespielt, das ist kein Schonraum. Auf sie wird gebaut und das spüren alle Mitarbeiter auch“, sagt sie stolz. Trotzdem brauchen sie auch Unterstützung, wenn es zum Beispiel um die Kommunikation mit Behörden oder manchmal nur die Organisation des Alltags geht.

„Wir brauchen die Kirche als Institution, die sich nicht aus Eigeninteresse um die Menschen kümmert. Ihr Auftrag ist Nächs­tenliebe und das hilft uns in der Gesellschaft weiter“, ist sie trotz ihrer Ablehnung kirchlicher Strukturen überzeugt. „Nur wenn dieser Auftrag zusammen mit den wirtschaftlichen Interessen von Unternehmen zusammenkommt, kann unsere Gesellschaft funktionieren.“
 

„Wie die Kirche mit der Rolle der Frau umgeht, stört mich“, kritisiert Klaus Ciernioch.

Carmen Jagielski-Meyer findet einen neuen Partner, heiratet 2015 zum zweiten Mal. „Im vergangenen Jahr ist Kilian an den Folgen des Unglücks gestorben. Er ist 20 Jahre alt geworden“, sagt sie behutsam.
Ihr Hadern mit der Kirche hat noch kein Ende gefunden. „Ich sehe weiter vieles kritisch. Ich gehe auch nie in den Gottesdienst oder engagiere mich in der Gemeinde. Aber ich fühle mich den Gebäuden der Kirchen und den Personen verbunden mit ihren Aufträgen. Gerade die Kirchenräume sind für mich besondere Orte. Plötzlich ist da Stille und man kann fühlen, dass es da ist, das Größere, das Mehr.“ Ihre Augen leuchten auf, wenn sie davon spricht. „Dieses besondere Gefühl ist aber weder bei der evangelischen noch der katholischen Kirche im Alltag präsent.“

Der Kirche nach und nach entfremdet

Sehnde heißt die kleine Stadt, in dem Klaus Ciernioch und sein zwei Jahre älterer Bruder aufwachsen. Als Kinder schlesischer Vertriebener mitten in der niedersächsischen katholischen Diaspora. „Der Pfarrer der katholischen Gemeinde kam damals auch aus Schlesien. Er war von dort klare Ordnung gewöhnt. Hölle, Fegefeuer und wer nicht gehorchte, durfte in der Ecke stehen“, erinnert sich der 58-Jährige heute. „Es gab das elitäre Bewusstsein, als Katholik der bessere Christ zu sein. Meine Eltern waren froh, dass mein Bruder und ich behütet mit der Gemeinde aufgewachsen sind und betreut wurden.“ Ciernioch empfängt selbstverständlich die Kommunion und wird gefirmt. Er engagiert sich bei Jugendgruppen, fährt zu Freizeiten und ist Ministrant. Aber er eckt auch immer wieder an, weil er kritisiert, dass der Pfarrer und die Kirche „krampfhaft am Alten festhalten“. Die autoritäre Art schreckt ihn ab.

Über die weiterführende Schule in der Nachbarstadt lernt er neue Mitschüler kennen, die nicht aus dem katholischen Milieu kommen. „Die Schule hat immer mehr Lebensraum eingenommen. Die Moral des Pfarrers und seine Erwartungen haben nicht mehr in die Zeit der 60er- und 70er-Jahre gepasst“, erklärt Klaus Ciernioch seine fortschreitende Entfremdung zur Kirche.

Als er zum Wehrdienst eingezogen wird, geht er in sich und beschließt zu verweigern. „Sehnde war nur einen halben Tagesmarsch vom Eisernen Vorhang entfernt. Ich habe mir in Zeiten des Wettrüstens und des Säbelrasselns die Frage gestellt, wo das hinführen soll, und beschlossen, davon kein Teil sein zu wollen“, sagt er. Als der damals 19-Jährige vor der Bundeswehrkommission sitzt, die sein Gewissen prüfen soll, wird ihm gesagt, dass er „nur gewisse Gründe als Drückeberger“ für die Kriegsdienstverweigerung habe. Das habe sein Pfarrer aus dem Heimatort über ihn geschrieben. Klaus fühlt sich vor den Kopf gestoßen. „Heute wundert man sich darüber, dass es möglich ist, dass ein Pfarrer mit der Bundeswehr korrespondiert“, sagt er nüchtern. Er weiß, dass der Pfarrer im Krieg schlechte Erfahrungen mit den Russen gemacht hat.„Wenn die Russen kommen, dann ist Weltuntergang. Das war seine Meinung“, erinnert er sich. Trotzdem bleibt ein bitterer Beigeschmack zurück.

Als er nach Hannover zieht, um eine Ausbildung bei der Sparkasse zu absolvieren, kehrt er seiner Heimatgemeinde den Rücken, sucht Anschluss bei der Katholischen Hochschul- und Studentengemeinde, die ihre Gottesdienste in der Basilika St. Clemens feiert.

„Der Studentenpfarrer hat ein positives Bild vom Glauben vermittelt“, sagt er. Teufel und ewige Verdammnis werden von ihm nicht gepredigt. Dafür aber Lehrmeinungen, die nicht mit der offiziellen Kirchenlehre übereinstimmen. Ciernioch wird von ihm überzeugt, nicht aus der Kirche auszutreten.

Der junge Mann lernt über die Hochschulgemeinde seine Frau Barbara kennen. Auch ihre Eltern kommen aus Schlesien. Die beiden ziehen nach Langenhagen und heiraten 1993. Der Kontakt zur Studentengemeinde nimmt ab. Klaus und Barbara kümmern sich darum im Beruf durchzustarten, und kaufen ein Reihenhaus. Fast 20 Jahre lang gehen sie kaum in die Kirche. Wenn sie doch mal zum Gottesdienst gehen, finden sie keinen Kontakt zur Gemeinde vor Ort.

Starre Hierarchie, Befehl und Gehorsam

„Überarbeitete Priester mit wenig Charisma, die nur noch ihre Gottesdienste abfeiern. Das ist für mich keine Sinnstiftung“, sagt Ciernioch. Er fühlt sich unwohl in dieser Art von Kirche. Weil das Paar keine Kinder hat, entfallen auch die Fragen nach Taufe und Kommunion. „Wie die Kirche mit der Rolle der Frau umgeht, stört mich. Und auch die starre Hierarchie, die Befehl und Gehorsam fordert“, kritisiert er leidenschaftlich. Erst als seine Tante zwölf Jahre lang bis 2009 in einem Pflegeheim der Vinzentinerinnen gepflegt wird, nähert sich Klaus Ciernioch der Kirche ein kleines Stück weit wieder an. „Da wurde sich rührend und liebevoll um sie gekümmert. Wir sind sehr, sehr dankbar dafür gewesen. Und ich habe die caritative Kirche erlebt, die nicht allein ökonomisch auf die Welt blickt“, sagt er.

2013 hört Ciernioch frühzeitig auf zu arbeiten. Plötzlich hat er viel Zeit. Und muss sich neu erfinden. Er wird Gasthörer an der Universität und lässt sich zum Freiwilligenlotsen qualifizieren. Was hat er bisher in seinem Leben gemacht? Was steht für ihn als Nächstes an? Er hat viel Zeit zum Nachdenken. „Ich habe nach einer sinnvollen Aufgabe gesucht. Und mich an die Barmherzigkeit der Vinzentinerinnen erinnert.“

Er beginnt, sich einmal die Woche im Hospiz zu engagieren. Da sein für die Sterbenden und ihre Angehörigen, um mit ihnen zu spielen, zu essen und auch zu lachen. „Und dann kam ich auf die Idee, einfach mal den Pfarrer in Langenhagen anzurufen“, sagt er. Er stellt sich vor, was er in seinem Leben gemacht hat und was er sucht. „Wissen Sie, ich könnte mir vorstellen, mich bei Ihnen in Ihrer Kirche zu engagieren“, erzählt er ihm. Der antwortet: „Ich habe verstanden, was Sie suchen. Lassen Sie mich überlegen, was zu Ihnen passen könnte.“
Wenige Wochen später sitzt Klaus Ciernioch in einer kleinen Gruppe, die das pastorale Konzept der Gemeinde neu entwickelt. „Ich habe mich sehr aufgenommen gefühlt. Die Themen standen im Vordergrund und ich konnte meine Ideen und Arbeitskraft einbringen.“

Der Pfarrer lässt der Gruppe Freiräume. Das Team schlägt ein Konzept vor, das die Kirchengemeinde und ihre Räume gegenüber der Stadt öffnet, mehr Zuständigkeiten an ehrenamtliche Teams abgibt und Wert auf Willkommenskultur legt. Die Gemeinde stimmt dem Konzept zu und Ciernioch wird Teil eines neuen Teams, das Veranstaltungen für die Gemeinde und neuzugezogenen Katholiken anbietet. „Wir wollen Kontakt und Vertrauen aufbauen. Menschen, die auf der Suche nach Sinn sind, zunächst zu Gästen machen und dann selbst zu Sinn-Stiftenden. Das ist im weitesten Sinne Mission“, sagt er.

Zusammen mit seiner Frau wird er dabei immer weiter selber Teil der Gemeinde. „Dann muss man halt auch mal den Tannenbaum aufbauen. Und dann lernt man immer mehr andere Menschen kennen“, schmunzelt er. Klaus Ciernioch geht wieder regelmäßiger in den Gottesdienst. Die Distanz zur Institution Kirche hat er zum Teil überwunden. „Heute ist mein Verhältnis zur Kirche konstruktiv- kritisch. Ich hoffe, dass sie sich weiter entwickelt. Mehr Lebensfreude und Spiritualität in den Mittelpunkt stellt“, sagt er.

Marie Kleine


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