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Mehr als nur Hand hoch

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Abstimmungen in der Gemeinde

„Wer dafür ist, hebe die Hand ... und jetzt die Gegenprobe.“ Diese Form der Entscheidung ist auch in kirchlichen Gremien üblich. Die Mehrheit gewinnt. Die anderen verlieren. Es gibt aber bessere Methoden. Biblischer. Geistlicher.

Klar, kann man mit Mehrheiten abstimmen, aber wenn alle eine Entscheidung mittragen können, ist das noch besser. Foto: kna-bild

Diese Frage war wegweisend für die Zukunft der Kirche: Müssen Heiden sich erst beschneiden lassen, bevor sie getauft werden? Die Fraktionen: Petrus, der Jude gegen Paulus, den Heidenmissionar. Man traf sich zu einer Sitzung und am Schluss hieß es im Rundbrief: „Der Heilige Geist und wir haben beschlossen …“ (Apostelgeschichte 15,28). „Dahin müssen wir wieder kommen, dass der Heilige Geist in unseren Entscheidungen  dabei ist“, sagt Lucia Zimmer, Referentin für geistliches Leben im Bistum Osnabrück. Sie schlägt vor, wie man wichtige Entscheidungen anders treffen kann. Beispiel: In der Pfarrei St. Diffizil soll eine von vier Kirchen geschlossen werden: Nur welche? Das soll eine gemeinsame Sitzung von Pfarrgemeinderat und Kirchenvorstand entscheiden:

 

Sich Zeit nehmen: „Man kann nicht alles am Ende eines Arbeitstages zwischen 20 und 22 Uhr entscheiden“, sagt Lucia Zimmer. Dann, wenn alle schon platt sind. Der Gemeinde St. Diffizil empfiehlt sie einen Samstag. Und eine externe Moderation. Und dann beginnt ein geistlicher Prozess:

 

1. Bitte um Offenheit: „Wenn jeder mit einer festen Meinung kommt – vor allem: ‚Meine Kirche nicht‘ –, dann wird es schwierig“, sagt Zimmer. Deshalb sollte am Anfang ein Gebet stehen: die ernst gemeinte Bitte, sich von den eigenen Wünschen lösen zu können, um eine gemeinsame Lösung zu finden. „Wenn man sich die eigene Voreingenommenheit klarmacht, ist schon viel gewonnen.“

 

2. Klärung, was zur Entscheidung ansteht: Klingt einfach, ist es aber nicht immer. Alle Fakten sollten offenliegen: Etwa: Gibt es schon Vorentscheidungen? Wer hat welche Entscheidungskompeten-zen? Nichts ist frustierender, als lange zu diskutieren und dann zu hören: XY hat ein Vetorecht. Wichtig: „Hier geht es um Fakten, nicht um Deutungen oder Bewertungen.“

 

3. Für jede Möglichkeit sammeln, was dafür und was dagegen spricht: Es hilft, die Argumente für die infrage kommenden Lösungen einzeln durchzuspielen. Wichtig dabei: in den Schuhen des anderen gehen. „Jeder versucht, ein Argument dafür und eines dagegen zu finden“, erläutert Zimmer. Auch dann, wenn er selbst schon festgelegt ist. „So über sich hinauszudenken hilft, am Ende eine Entscheidung zu akzeptieren, die ich eigentlich nicht wollte“, so Zimmer. „Es hilft, innerlich anzunehmen, dass es andere gute Argumente gibt als nur meine.“ Alle Argumente pro und kontra sollten strukturiert und sichtbar festgehalten werden, bevor man zur nächsten Option übergeht.

 

4. Zeit der Stille und des persönlichen Betens: Meist erfolgt jetzt die Abstimmung. „Aber das ist zu früh; man muss jetzt Tempo rausnehmen.“ Deshalb hat nun jeder Zeit, das Gehörte für sich zu bedenken. „Dabei zählen nicht nur Sachfragen. ‚Was läuft bei mir in Herz und Bauch ab?‘ – das ist ebenso wichtig, um Entscheidungen zu treffen.“ Bewegt mich etwa die Angst, andere zu enttäuschen, wenn es „unsere“ Kirche trifft? Ist es Schmerz um die Kirche, in der ich geheiratet habe, die meine Entscheidung leitet? Wo spüre ich Ermutigung, Hoffnung, einen Weg in die Zukunft? Gibt es etwas aus dem Leben Jesu, das zu dieser Situation passt? „Auch wenn es ungewohnt ist: Es ist wichtig, diese Fragen vor Gott zu bringen“, ist Zimmer überzeugt. Wenn es gutgeht, ändert das die Atmosphäre der Entscheidung: Konsens statt Kampf, Miteinander statt Gegeneinander.

 

5. Anhörkreis:„Auch die Schweigsamen haben oft Wichtiges zu sagen“, sagt Lucia Zimmer. Deshalb soll nun jeder (!) den anderen mitteilen, wie es ihm oder ihr im Gebet ging, wo man Widerstände spürt, welche Ängste da sind und welche Chancen man sieht. „Wenn man es ausspricht, zeichnen sich oft schon Lösungen ab oder werden Blockaden aufgebrochen.“

 

6. Entscheidung und Vereinbarung: Auch bei dieser geistlichen Form soll und muss entschieden werden. „Jeder Einzelne sollte nun die Frage beantworten: ‚Nach all dem, was ich gehört und selbst bedacht habe: Wohin tendiere ich? Wohin neigt sich mein Herz?‘“, beschreibt Zimmer den nächsten Schritt. Oft zeichnet sich dabei ein Trend ab, eine Mehrheit, ohne formell abstimmen zu müssen. So wichtig wie der Trend zur Mehrheit ist die Nachfrage, ob auch die, die anders entscheiden würden, damit leben könnten. Wenn dieser Schritt fehlt, distanzieren sich manchmal Gremienmitglieder mehr oder weniger öffentlich von der Entscheidung – das wirft neue Gräben auf. Schließlich muss die ganze Pfarrei mit den Folgen der Entscheidung leben.

 

7. Abschluss: Eine zufriedenstellende Lösung für eine schwierige Frage: „Das sollte man auf jeden Fall feiern!“, sagt Lucia Zimmer. Und wenn es keine Lösung gab? „Dann muss man weitersuchen.“ Manchmal kommt man dann auf Ideen, von denen man vorher nichts geahnt hat. „In Heidelberg hatte ein Gremium die Aufgabe, aus fünf Pfarreien mit mehreren Kirchen vier Pfarreien zu machen“, erzählt Zimmer. Keine Lösung überzeugte: „Am Schluss sind sie zum Bischof gegangen und haben gesagt: Wir machen eine Pfarrei. Das hat Zukunft!“

Von Susanne Haverkamp


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