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Das Gewissen der Welt

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Die Rolle von Papst Franziskus

Kein Zweifel: Papst Franziskus „macht“ seiner Kirche „Beine“. Doch dafür erhält der Argentinier an diesem Freitag den Internationalen Karlspreis nicht. Sondern weil er Europa – und der Welt – ins Gewissen redet. Wer kann das schon noch …?

Bescheidenheit und Mut, Humor und Leidenschaft zeichnen Papst Franziskus aus. Foto: imago

Der Welt – ihren Staats- und Wirtschaftslenkern wie den einfachen Leuten – ins Gewissen reden. Tadeln, mahnen ebenso wie ermutigen? Es gibt nur wenige, die über solche Autorität verfügen. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen vielleicht. Männer wie Dag Hammarskjöld (1953–61) und Kofi Annan (1997–2006) hatten sicher das Zeug dazu. Andererseits ist dieses Amt so sehr an feinste diplomatische Spielregeln gebunden, seine Besetzung das Ergebnis eines internationalen Pokers, dass ein UN-Generalsekretär vielfach gebunden ist.

Lange Zeit galt Tendzin Gyatsho, der derzeitige Dalai Lama, als ein Gewissen der Welt. Doch sein Einfluss sinkt, war auch nie so weitreichend wie der des Papstes.  Das gilt auch für den aktuellen Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I.

 

Seine Autorität beruht auf großer Demut

Organisationen wie Amnesty Internatonal oder Greenpeace reden der Welt ebenfalls ins Gewissen. Doch die Palette ihrer Anliegen ist deutlich schmaler. Und sie sind Lobbyorganisationen im Dienst einer guten Sache. Und sie sind keine Menschen. Denn Menschen schauen auf Menschen mit Persönlichkeit. Die braucht es, um immer wieder das zu stärken, das zwischen den Mahlsteinen von Macht und Gewinnstreben, Angst und Egoismus zerrieben wird.

Franziskus’ Autorität beruht zum einen auf seiner persönlichen Demut. „Ich bin ein Sünder“, war seine erste Antwort auf die Frage an ihn, wie er sich als Papst sehe. Hinzu kommt sein Mut, Dinge direkt und klar beim Namen zu nennen – in Interviews, ja sogar in Lehrschreiben hin und wieder auf diplomatische Höflichkeit zu verzichten, damit einfache Menschen ihn verstehen. Und seine Gesten …

In unserer zunehmend medial von Bildern geprägten Welt ist ihre Bedeutung kaum zu unterschätzen. Das galt schon für Willy Brandts Kniefall in Warschau wie für den Besuch Johannes Pauls II.
im Gefängnis bei Ali Agca, dem Mann, der ihn töten wollte. Franziskus beherrscht die Gesten ebenso: die tiefe Verbeugung im Gebet beim allerersten Auftritt, die Fußwaschung im römischen Gefängnis, die Umarmung eines entstellten Mannes auf dem Petersplatz. Die erste Reise aus dem Vatikan auf die Flüchtlingsinsel Lampedusa, am Weißen Haus fährt er mit einem Kleinwagen vor, aus den Flüchtlingslagern auf Lesbos nimmt er Flüchtlinge mit nach Hause. Bei Nichtkatholiken ist er inzwischen so beliebt wie bei Katholiken.

 

„Sein Beispiel hat ihr Denken verändert“

Der jordanische Priester Khalil Jaar konnte auf Lesbos mit syrischen Flüchtlingen sprechen, die den Papst getroffen hatten: „Sie waren alle Moslems und sagten mir, dass sein Beispiel ihr Denken über die Christen verändert hat.“ Die Muslime seien von so viel Liebe und Demut beeindruckt gewesen. Ohne Worte habe Franziskus eine eindringliche Botschaft an diejenigen arabischen Länder gesendet, die bisher nur wenige Flüchtlinge aufgenommen haben. 

Ob die Botschaften eines „Weltgewissens“ Gehör finden, ist natürlich eine andere Frage. Doch je mehr Demut, echte Autorität und inhaltliche Substanz sich verbinden, desto wahrscheinlicher ist es. Wie beim „Sämann, der aufs Feld ging, um zu säen …“.

Von Roland Juchem


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