Ein geistiges Werk der Barmherzigkeit: Unwissende belehren
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Franz von Sales, Patron der Journalisten und Gehörlosen Foto: wikimedia/Ledl |
„Lehren“ geht ja noch, aber „belehren“, sich gar „belehren lassen“? Je demokratischer und gleicher unsere Gesellschaft ist, desto weniger scheinen wir das zu wollen. Auch Gelehrte gehören einer anderen Zeit an – zerronnen zu Karikaturen hinter Katheder, Brille und Bibliothekswänden. An heutigen Hochschulen gibt es allenfalls noch „Lehrende“. – Andererseits: Muss ich mich meiner unwissenden, ungebildeten oder verblödeten Zeitgenossen erbarmen, wenn ich sie etwas schlauer machen will? Verbunden mit dem Stoßseufzer: „Herr, schick Hirn vom Himmel!“
Nein. Oberlehrer sind nicht gefragt. Gute Lehrer und Lehrerinnen beherzigen zunächst einmal die Weisheit des alten Sokrates: „Ich weiß, dass ich (selber auch) nicht weiß.“ Zudem beherzigen sie die nicht nur ironische Volksweisheit: Man kann vom Dümmsten noch was lernen. Umgekehrt und ernsthafter formuliert: Jeder Mensch hat bereits Wissen, Erfahrungen und Ideen. Darauf müssen beide, Lehrer wie Schüler, aufbauen. Getreu dem Motto Maria Montessoris: „Hilf mir, es selbst zu tun“ – es selbst zu erarbeiten, zu erkennen und weiterzuentwickeln.
Insofern hat das zweite Werk der Barmherzigkeit viel mit Demut zu tun – auf beiden Seiten. François de Sales, Sohn eines Savoyer Adelsgeschlechtes, späterer Bischof von Genf und ein Vorbild des zweiten geistlichen Barmherzigkeitswerkes, wusste das. Nachdem er als 19-Jähriger eine größere persönliche Krise durchlebt hatte, verschrieb er sich der
katholischen Reformation und ihren Anliegen: gute Prediger, Katecheten und Seelsorger. Gebildete Christen – mit Herz und Verstand – waren das Ziel, das Franz von Sales in Vorträgen, Briefwechseln und anderen Schriften verfolgte.
Vertrauen, Freude und weltoffene Menschlichkeit sollten den Christen prägen. In diesem Sinne wäre auch die in der vergangenen Woche vorgestellte „Allianz für Weltoffenheit“ ein Werk der Barmherzigkeit (siehe Seite 4). Dem Bündnis ziviler Organisationen für den Schutz der individuellen Würde von Flüchtlingen in Deutschland und gegen ein Klima der Verunsicherung haben sich auch die christlichen Kirchen angeschlossen.
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Die Titel der beiden großen Werke Franz von Sales’ lauten: „Einführung in ein demütiges Leben“ sowie „Traktat über die Liebe Gottes“. Im demütigen Selbstbewusstsein aber, dass Lehrer wie Schüler von Gott geliebt sind, wird Belehren eher bereichern, erschließen, entfalten und beistehen als dozieren und eintrichtern. Die Pädagogik salesianischer Ordensgemeinschaften ist davon geprägt.
Andererseits bedarf die Barmherzigkeit, Unwissende zu lehren, durchaus des Mutes, sich einzuschalten. Wenn etwa in meinem Umfeld jemand lautstark Meinung absondert, die von jeglicher Sachkenntnis ungetrübt ist. Da sei die Rückfrage „Woher weißt du das?“ ebenso gestattet wie der Hinweis „Tatsache ist aber, dass …“.
Von Roland Juchem