Der Kölner Stammzellforscher Jürgen Hescheler sieht in der Erlaubnis für ein Forschungsprojekt zur Genmanipulation in Großbritannien zwar keinen Tabubruch. Im Interview fordert der Direktor des Instituts für Neurophysiologie an der Universität Köln jedoch einen weltweiten Bann für die Einpflanzung genmanipulierter Embryonen in den Mutterleib.
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In Deutschland ist Forschung an Embryonen verboten, Großbritannien hat das Gesetz nun gelockert. Genmanipulationen sind möglich. Foto: kna-bild |
Herr Professor Hescheler, ist die Entscheidung der britischen Behörde zu Eingriffen in die Keimbahn ein Tabubruch?
Aus der Perspektive des Wissenschaftlers ist das eher eine logische Weiterentwicklung. Das Crispr-Verfahren, bei dem man mit Hilfe bestimmter Enzyme Abschnitte des Erbguts herausschneiden oder einfügen kann, wird schon seit drei Jahren angewendet. Aus dem Bereich der Tiermedizin stehen immer mehr Erkenntnisse zu genetischen Manipulationen zur Verfügung. Dieses Wissen ist überall verfügbar. Die britischen Wissenschaftler wollen die embryonale menschliche Entwicklung im Frühstadium verstehen. Die Erlaubnis der Behörde bezieht sich ausschließlich auf die Grundlagenforschung. Die Wissenschaftler sind verpflichtet, die manipulierten Embryonen zu vernichten und dürfen sie keinesfalls einpflanzen...
War es nicht wissenschaftlicher Konsens, dass nicht in die Keimbahn eingegriffen werden darf?
Es gab im Dezember eine internationale Konferenz, bei der bekräftigt wurde, dass bis auf weiteres keine genmanipulierten Embryonen in die Gebärmutter eingepflanzt werden sollen. Für reine Forschungszwecke sollen solche Experimente aber nicht verboten sein.
Aber wird diese Grenze wirklich eingehalten? Es wirkt eher so, als sollten die ethischen Grenzen schrittweise ausgeweitet werden...
Was mich wirklich beunruhigt ist, dass es die Menschheit nicht geschafft hat, einen weltweiten Bann zum reproduktiven Klonen und zur Einpflanzung genetisch veränderter Embryonen in den Mutterleib zu verabschieden. Dies wäre wirklich ein Eingriff in die Evolution und eine Gefahr für die Menschheit. Ein solches Verbot müsste auf Ebene der Uno verabschiedet werden. Ein solches weltweites Verbot war vor zehn Jahren, als es ums reproduktive Klonen ging, noch realistisch. Mittlerweile ist das kaum noch möglich.
Warum ist das gescheitert?
Das liegt auch an konservativen Gruppierungen und der katholischen Kirche. Sie wollten jede Embryonenforschung verhindern. Eine solche Maximalforderung war völlig unrealistisch. Jetzt müssen wir mit den Konsequenzen leben. Alle meine diesbezüglichen Anfragen an den Vatikan blieben leider unbeantwortet. Das ist sehr frustrierend.
Kritiker befürchten, dass die in England genehmigten Eingriffe in die Keimbahn letztlich darauf abzielen, den Menschen langfristig genetisch zu optimieren. Sehen Sie das genau so?
Es gibt in den USA die Bewegung der Transhumanisten, die durch die Manipulation des menschlichen Genoms einen neuen Menschen schaffen wollen. In dieses Projekt fließen viele Millionen Dollar; auch der frühere Google-Chef Eric Schmidt ist dabei. Ich halte das aber für extrem schwierig und unwahrscheinlich.
Warum?
Weil das Genom nicht so einfach funktioniert, wie man denkt. Wir verstehen noch nicht, wie Gene miteinander agieren, welche Signalkaskaden sie auslösen und wie das Verhältnis von Umwelt und Genen ist. In Tierversuchen hat man einzelne Gene gezielt ausgeschaltet oder verändert - und fast immer ist etwas anderes herausgekommen als das, was man erwartet hatte.
Die Menschenversuche dazu darf man sich gar nicht vorstellen...
Man müsste in Kauf nehmen, dass Tausende Embryonen mit schweren Behinderungen oder tot geboren werden. Mindestens 50 bis 100 Jahre Forschung sind nötig, um die Abläufe im Genom zu verstehen.
Was bedeutet die Genehmigung für die britischen Forscher für die Wissenschaft in Deutschland?
In Deutschland verbietet das Embryonenschutzgesetz jede Embryonenforschung und erst recht Manipulationen der Keimbahn. Die Wissenschaftler haben sich darauf eingestellt und andere wichtige Forschungsgebiete gesucht. Wir arbeiten etwa mit induzierten pluripotenten Stammzellen, also menschlichen Stammzellen, die zu einer Art embryonaler Stammzellen zurückprogrammiert wurden. Da geht es etwa um den Einsatz solcher Stammzellen bei Herzinfarktpatienten oder bei neuronalen Erkrankungen. Die Lage in Deutschland hat sich beruhigt. Ich kenne keinen Wissenschaftler, der etwa in Richtung Keimbahn-Eingriffe oder genetische Optimierung des Menschen gehen würde.
kna