Eigentlich wollen sie nur ein normales, sicheres Leben haben – mit eigener Familie und einem interessanten Beruf. Doch Sicherheit gibt es für Flüchtlinge wie Mahmud Matsudi oder Ghobad Pourmorad derzeit in ihren Heimatländern nicht. Ihr Leben ist in Gefahr – und so blieb ihnen nur eines: die Flucht.
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Mahmud Matsudi und Ghobad Pourmorad leben derzeit in der zum Flüchtlingsheim umgebauten ehemaligen Industriehalle in Ilsede. Foto: Wala |
Alles schien gut zu sein für Mahmud Matsudi. Verheiratet, eine kleine Tochter – drei Jahre alt. „Ich hatte auch gute Arbeit“, lässt er übersetzen. Matsudi war Polizist in einer Kleinstadt in der afghanischen Provinz mit gut 4000 Einwohnern. Alles schien gut zu sein – solange die Internationale Schutztruppe, kurz ISAF (für englisch: „International Security Assistance Force“) im Land war. Der heute 27-Jährige ist einer von einer Handvoll Katholiken in Afghanistan.
2001 hat der Weltsicherheitsrat die Aufstellung der internationalen Truppe, an der sich auch Deutschland beteiligte, beschlossen. Kurz zuvor hatte die sogenannte „Vereinigte Front“ mit amerikanischer und britischer Unterstützung das Taliban-Regime gestürzt und die Islamische Republik Afghanistan gegründet.
„Unter den Taliban war das Leben ein Hölle“, schildert Matsudi. Die islamistische Kampftruppe hatte in Afghanistan ein Terrorregime errichtet. Auch Matsudi hatte ständig Angst um sein Leben. Erst mit den ISAF-Truppen konnte er aufatmen. Halbwegs, denn offen seine Religion zu leben, war für Matsudi nicht möglich: „Ich wurde aber in Ruhe gelassen.“
Das änderte sich mit dem Abzug der ISAF-Truppen schlagartig. Der Druck auf alle nicht-muslimischen Afghanen wurde unerträglich. Afghanen, die vom Islam zum Christentum konvertieren, werden verfolgt und aufgehängt oder mit Benzin übergossen und angezündet. Matsudi wird aus dem Polizeidienst entlassen – von einem zum anderen Tag. Er kommt auf eine schwarze Liste, erhält Todesdrohungen. „Ich musste einfach fliehen“, sagt er.
Seine Frau und seine Tochter muss er im Schutz ihrer muslimischen Familie zurücklassen, berichtet Matsudi stockend. Eine Entscheidung, die ihn heute noch innerlich zerreißt.
Kaum Privatsphäre in der Flüchtlingsunterkunft
Matsudi steigt in seiner Heimatstadt in einen Bus – der Beginn einer dreimonatigen Flucht, die ihn über 6000 Kilometer nach Deutschland führt. Pakistan, Iran und die Türkei waren die ersten Stationen, dann der Weg durch den Balkan. Immer wieder weiß Matsudi nicht, ob und wie es weitergeht. In Serbien nehmen ihm Polizisten seine Kleidung ab. Fünf Tage schläft er dort auf nacktem Boden. Das Flüchtlingscamp ist überfüllt. Über Slowenien und Österreich kommt er schließlich nach Deutschland. Hier lebt er zurzeit in einer alten Industriehalle, die zuletzt zum Veranstaltungszentrum umgestaltet worden war – mit 300 anderen Flüchtlingen. Frauen, Männer, Kinder. Die große Halle ist mit Bauzäunen in kleine Einheiten für zehn oder zwölf Flüchtlinge unterteilt. Das Metall der Zäune ist grob mit Papier abgeklebt. Gegessen wird in einem der zugigen Veranstaltungssäle, zum Duschen wurden Container aufgebaut. Privatsphäre gleich Null, der Lärmpegel konstant.
Matsudi beklagt sich nicht: „Ich bin hier sicher, das zählt.“ Er freut sich, dass er Kontakt zur katholischen Gemeinde St. Bernward gefunden hat. Die freundschaftliche Aufnahme, auch die Ruhe im Gotteshaus – beides tut seiner Seele gut. Und der Aufbau des Weihnachtsbaums in der Kirche habe Spaß gemacht: „Etwas machen zu können, ist gut.“ Sowohl mit den Händen wie mit dem Kopf: Matsudi lernt Deutsch.
Eine Rückkehr nach Afghanistan kann er sich nicht vorstellen so sehr er seine Heimat auch liebt. Selbst ohne Krieg und Gewalt – „es ist schlecht dort für Katholiken.“ So hofft Matsudi, dass er seine Frau und seine Tochter nach Deutschland holen kann. Wieder eine richtige Familie sein ist sein größter Wunsch. Seine rechte Hand umfasst dabei das Kreuz, das er um den Hals trägt. Dafür betet er.
Familie schwört Rache wegen Heiratsabsage
Im Aufnahmelager hat Matsudi einen Freund gewonnen – Ghobad Pourmorad, einen Kurden aus dem Iran. Auch der 30-Jährige ist Katholik: „Aber im Geheimen, meine Familie weiß davon nichts.“ Sie würden die Entscheidung für seinen Glauben nicht verstehen. Der Großteil der gut fünf Millionen Kurden, die im Nordwesten des Iran leben, sind schiitische Muslime – wie die Mehrheit der Iraner. Trotzdem kommt es immer wieder zu Spannungen und Konflikten.
Der Grund für die Flucht von Pourmorad ist aber ein anderer: „Ich habe eine Frau kennengelernt.“ Schnell war auch von Heirat die Rede. Doch Pourmorad merkte, dass etwas in der Beziehung nicht passte. Er wollte sich trennen, noch vor der Heirat. Doch das war zu viel für die Familie seiner Braut – und für seine eigene. „Beide Familien haben mir Rache geschworen.“ Er habe die Ehre der Familien beschmutzt, sie gesellschaftlich herabgewürdigt.
So sah Pourmorad keine Alternative zur Flucht. Jetzt teilt er sich mit Mahmud Matsudi den kleinen abgeteilten Bereich in der großen Industriehalle – und die Nähe zur Pfarrgemeinde.
Anders als sein Freund kann sich Pourmorad aber eine Rückkehr durchaus vorstellen. Er hat im Iran als Bergbauingenieur gearbeitet, begeistert sich für Archäologie, für die weit in vorchristliche Zeiten reichende Geschichte seines Landes. Doch Pourmorad weiß, dass das erst einmal ein Wunschtraum bleibt.
Von Rüdiger Wala