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Einen Toast auf die Tischregeln

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Tischkultur

Es ist paradox: Familien haben immer weniger Zeit, gemeinsam zu essen. In manchen Wohnungen steht kein Esstisch mehr. Gleichzeitig wird für manche Zeitgenossen das Essen zur Ersatzreligion. 

 

Foto: Fotolia

Menschen, die sonst ausgesprochen liberal sind, werden zu kompromisslosen Fundamentalisten, wenn es um Ernährung geht. Und die vielen Kochshows: Wenn schon der eigene Herd kalt bleibt, versammelt sich die Fernsehfamilie um die Fernsehküche. Kochshows, Kochbücher – in den wenigsten Fällen echte Anleitung sind sie oft eher Projektion: „Man müsste mal wieder …“

Kochen und Essen sind Sehnsucht. Sehnsucht nach einer guten Mahlzeit in Gemeinschaft. Nahrung für Leib und Seele eben. Doch Extreme sind meist schwierig. Zu einer guten Balance helfen ein paar längst vergessen geglaubte Regeln für den Esstisch. Gesunde Hausmannskost sozusagen.

Die gibt es bei den Benimmexperten in Knigge-Manier nicht immer. Manche ihrer Regeln sind heute kaum mehr nachvollziehbar. Warum darf ich etwa das Salatblatt nicht unter Zuhilfenahme des Messers zusammenfalten, um es einfacher essen zu können? Oder warum nicht mit dem Messer durch die Kartoffel fahren? 

Andere Benimmregeln leuchten eher ein. Sie helfen zu gegenseitiger Rücksichtnahme, sind Zeichen von Respekt dem anderen gegenüber: nicht zu schmatzen und zu rülpsen zum Beispiel, weil meine Mit-Esser das ekelhaft finden. Oder die Arme eng am Körper zu lassen, weil mein Tischnachbar so mehr Platz findet. 

 

Fürs gesellschaftliche Miteinander am Tisch üben

Foto: Fotolia

(Nicht nur) für Kinder ist der heimische Esstisch ein Übungsplatz fürs gesellschaftliche Miteinander. Die Chancen für derartige Übungseinheiten stehen nicht schlecht: Allen unterschiedlichen Arbeits- und Schulzeiten zum Trotz essen laut Umfragen immer noch 78 Prozent der Familien sogar an Werktagen gemeinsam zu Abend. Früher galt an manchem Esstisch ein knallhartes preußisches Benimmregiment. Das ist gottlob vorbei. Doch ein paar Regeln lohnen sich immer noch.

Punkt 12 Uhr gibt es Essen: Gut, die Zeit ist austauschbar und muss auf die meist von außen gesetzten Zwänge angepasst werden. Aber eine solche Vereinbarung diszipliniert und hilft, den Wunsch nach einem gemeinsamen Essen umzusetzen. Denn das stärkt nicht nur das Familienleben, sondern ist auch gesund. So sollen Jugendliche, die regelmäßige Familienmahlzeiten erleben, weniger oft rauchen, kiffen oder Alkohol trinken. 

Vor dem Essen wird gebetet: Wann, wenn nicht jetzt Gott danken für das tägliche Brot, für die Gemeinschaft und die Pause am Esstisch? 

Es wird nicht gesprochen bei Tisch: Falsch. Gerade das gemeinsame Essen ist eine Chance, sich über den Tag auszutauschen oder einfach zu plaudern. Das gemeinsame Essen und Gespräch stärken die Familie. 

Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt: Umstrittene Regel. Kinder sollten natürlich fremde Lebensmittel probieren, um sie zu entdecken. Aber verhasste Speisen mit Zwang zu verabreichen, ist heute zum Glück weitgehend tabu. Auch Erwachsene müssen sich nicht quälen, wenn sie etwas partout nicht mögen. Aber: Diese Regel in Maßen beherzigt schützt davor, mit Ex-
trawünschen das gemeinsame Mahl unnötig kom-
pliziert zu machen.

Da waren die Augen wieder größer als der Mund: Versteht sich von selbst – nur soviel nehmen, wie man auch aufessen kann. Schließlich landen in Deutschland pro Sekunde 313 Kilogramm genießbare Lebensmittel im Müll.

Von Ulrich Waschki


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