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"McRefugees" in Hongkong

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Flüchtlinge im Fastfood-Restaurant

Burger rund um die Uhr: Immer häufiger haben Fastfood-Restaurants 24 Stunden geöffnet und Obdachlose suchen dort Schutz. Ihr Spitzname: "McRefugees". Ein Beispiel aus Hongkong.

"McRefugees": Obdachlose suchen Schutz in einem Fastfoodrestaurant. Foto: kna-bild

Bruce Lam freut sich über die unerwartete Unterbrechung seiner Nachtruhe. "Dies ist meine Familie", sagt der 62-Jährige und breitet die Arme aus. Mit einem Handschlag begrüßt er einen Mitarbeiter des McDonald's-Restaurants, der gerade am Nachbartisch Müll wegräumt und zustimmend nickt. Alles, was Bruce besitzt, hat er in einem Einkaufstrolley verstaut. Seine Freundin - wie er sie nennt - zieht es vor, sitzen zu bleiben, den Kopf auf der Tischplatte. Sie will ihren Namen nicht nennen und nicht aufs Foto. 

Bruce aber posiert, als sei die Fastfoodfiliale an der Johnston Road im Hongkonger Stadtteil Wan Chai sein persönliches Wohnzimmer. An vier Tagen in der Woche komme er hierher. "Morning, afternoon, evening", sagt er. Den ganzen Tag eben. Er trinke dann Kaffee. "Schließlich ist das hier ein Restaurant."

Bruce und seine Freundin sind "McRefugees", Obdachlose, die ihre Nächte und manchmal auch Tage in den rund um die Uhr geöffneten Filialen der Fastfoodkette verbringen. Der Begriff wurde vor Jahren in Japan erfunden. 2006 begann der US-Konzern, auch seine Filialen in China und der ehemaligen Kronkolonie Hongkong zu 24-Stunden-Läden auszubauen - von da an stieg die Zahl der "McRefugees". 2007 erschien in einer Zeitung erstmals ein Foto, das mehrere schlafende Männer in einem Hongkonger McDonald's zeigte.

 

"McDonalds heißt jeden willkommen"

In Hongkong gibt es 235 McDonald's-Filialen, in China rund 2.000. Mehr als die Hälfte davon hat 24 Stunden geöffnet. "McDonald's heißt jeden willkommen, seine Restaurants jederzeit zu besuchen", lässt sich eine Sprecherin der Kette in China zitieren.

Mehrere Kunden stehen an der Kasse an, andere transportieren ihre Tabletts zu den Tischen, beißen in ihre Hamburger. Tatsächlich stört sich niemand daran, dass an den Nachbartischen Menschen wie Gemma Augustin sitzen und schlafen. "Mich hat hier noch niemand hinausgeworfen", sagt die Philippinerin, die Augen halb geschlossen.

Als sich Studenten der Universität Hongkong in einer Nacht im August vor zwei Jahren aufmachten, um die Obdachlosen zu zählen, sahen sie auch bei McDonald's nach: Am Ende kamen sie in 70 Filialen auf 57 "McRefugees". Doch die Gesellschaft nimmt von den Betroffenen kaum Notiz.

Im vergangenen November brach eine obdachlose Frau in einem McDonald's in Hongkong tot über ihrem Tisch zusammen. Eine Kundin bemerkte das erst 24 Stunden später. Um eine angenehme Atmosphäre zu schaffen, würden Kunden nicht gestört, sagte damals ein Unternehmenssprecher. 

 

Obdachlosigkeit in Asien ein Tabuthema

Bruce in einem McDonalds-Restaurant in Hongkong
Foto: kna-bild

Der Tod der Frau sorgte weltweit für Schlagzeilen und hat die "McRefugees" in den Fokus gerückt. In Asien ist Obdachlosigkeit eher ein Tabuthema; eine offizielle Statistik existiert nicht. Laut Schätzung eines Sozialwissenschaftlers aus Shanghai von 2011 liegt die Zahl der Obdachlosen in China bei 2,6 Millionen. In Hongkong haben mindestens 1.400 Menschen kein Zuhause, hinzu kommen 100.000, die in käfiggroßen Verschlägen und auf Hausdächern ihr Leben fristen.

Einer der Hauptgründe für die prekäre Wohnsituation vieler Menschen in Hongkong sind die seit Jahren explodierenden Mietpreise: Laut einer aktuellen Studie der Bank UBS kostet eine unmöblierte Drei-Zimmer-Wohnung 3.900 Euro im Monat - genauso viel wie in New York City, wo die Menschen im Schnitt aber doppelt so viel verdienen.

In Chinas Hauptstadt Peking wiederum stehen 13 Millionen Wohnung leer. Die kommunistische Regierung würde dort gerne ihre Migranten, die zu Hunderttausenden in die Stadt geströmt sind, unterbringen. Doch die verdienen im Schnitt nur umgerechnet 430 Euro im Monat. Das reicht nicht für einen Wohnungskauf.

Zwar haben die Chinesen zuletzt viel getan, um den Lebensstandard der Bevölkerung anzuheben. Trotzdem müssen nach wie vor 200 Millionen Menschen mit weniger als 1,25 US-Dollar am Tag auskommen. Für das Geld gibt es gerade einen Hamburger im Fastfoodrestaurant.

kna


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