Nader Ismail (25), Flüchtling aus Syrien, will sich als Fotograf in Deutschland eine neue Existenz aufbauen. Im ka:punkt in Hannover zeigt er Bilder aus seiner Heimat und Fotografien, die seine Flucht nach Deutschland dokumentieren. Ein Porträt.
![]() |
Die Bilder, die hinter ihm zu sehen sind, hat Nader Ismail mit der letzten ihm verbleibenden Kamera auf seiner Flucht über das Mittelmeer fotografiert. Den Rest seiner Ausrüstung verschlang das Meer. Foto: Kleine |
Vier Tage lang versuchten sie ihn zu brechen. Mit Schlägen und Stößen. Sie fesselten seine Hände hinter seinem Rücken und zogen ihn hinterrücks mit einem Seil an die Decke. Sie versuchten es mit Elektroschocks. Er wusste nicht, wo er war. Sie wollten wissen, ob er diese Fotos geschossen habe. Wer auf den Fotos zu sehen sei. Nader Ismail, damals 23 Jahre alt, schwieg. Er musste Zeit gewinnen für seine Freunde. Wenn sie von seinem Verschwinden hörten, würden sie fliehen. Er musste ihnen einen Vorsprung verschaffen. An einem Checkpoint hatte die Polizei seine Kamera entdeckt. Sie schlugen ihn. Sie kannten viele Wege, Menschen zum Sprechen zu bringen.
Am fünften Tag brach Ismail. Er sagte ihnen alles, was sie wissen wollten. Einen Monat lang saß er in seiner ein Meter mal zwei Meter Einzelzelle und wartete. Aber er hatte lange genug durchgehalten.
Immer wieder wurde er geschlagen. Bis aufs Blut
Also kam er in ein anderes Gefängnis, vier Meter mal fünf Meter breit. Ein Raum für fünfzehn Gefangene. Viele wussten nicht, warum sie hier einsaßen. Sie bekamen Wasser und Brot. Sie konnten kaum schlafen, weil der Platz zum Hinlegen nicht für alle reichte. Wieder wurden sie geschlagen. Bis aufs Blut.
Eines Tages nahmen sie ihn und drei andere Gefangene mit. Sie sollten jetzt freigelassen werden. Vorher mussten sie noch zum Bürgermeister seiner Geburtsstadt Lattakia. Zu einem Medientermin, um vor der Kamera dem Präsidenten von Syrien, Baschar al-Assad, für ihre Freilassung zu danken. Und zu versichern, dass sie sich jetzt in Zukunft viel besser verhalten würden. Er setzte sich in ein Taxi und fuhr nach Hause zu seinen Eltern und dem jüngeren Bruder. Monatelang hatte er davon geträumt, was er in Freiheit alles tun würde.
Eigentlich hatte Ismail Informatik studiert. Aber schon seit dem Jahr 2010 war er als Fotograf aktiv. Er wollte in Syrien nicht nur überleben. Er wollte etwas verändern. Darum schloss er sich 2012 der Revolution an.
Nach seinem Gefängnisaufenthalt ging er zu Freunden in die Türkei und fand dort einen Job für eine Organisation, die Fotos und Videos von der Revolution in Syrien verbreitete. Eines Tages fand Ismail heraus, dass hinter der Organisation ein reicher, zwielichtiger Syrer steckte, der sowohl mit dem IS als auch mit Assad Geschäft machte. Ismail ist nicht religiös erzogen worden. Aber er glaubt daran, sich ethisch korrekt zu verhalten.
Job gekündigt, dann auf das Boot nach Italien
Er kündigte den Job und beschloss nach Deutschland zu gehen: Zum Lernen – und um die Welt doch noch zum Guten verändern zu können. Er packte seine Ausrüstung und schloss sich einer Gruppe anderer Syrer aus seiner Heimatstadt an der Küste an. Eine digitale Spiegelreflexkamera blieb ihm, als er auf offener See nachts von einem kleinen Zubringerboot auf ein Schiff nach Italien umstieg.
Er sah noch, wie sein Rucksack mit der Videoausrüstung, den Kameraobjektiven und seinem Pass ins Mittelmeer fiel. Ismail hatte eine Video- und Fotoreportage geplant. Über Menschen, die auf einem schmalen Grad zwischen Tod und Leben nach dem Ende ihres Leides suchen. Wie ihre Flucht wirklich aussah.
Am letzten Tag gab es kein Essen mehr
Immer wieder drückte er den Auslöser seiner Kamera. Am letzten Tag ihrer Reise ging das Essen aus. Aber es gelingt, über Italien nach Deutschland zu kommen. Mehrere Stationen in Deutschland und einen anerkannten Asylantrag später lernt er heute Deutsch. Er will hier bleiben, erst mal. Manchmal ist es für ihn schwer mit den Deutschen: verschlossen, unnahbar seien sie. Freundschaften wachsen nur schwer. Doch sind sie erst geknüpft, sind sie ehrlich. Sie lassen in ihm verloren gegangenes Vertrauen wieder wachsen.
Ismail kann sich nicht mehr daran erinnern, was für eine Art Mensch er vor dem Jahr 2012 war. Normal sei er wohl gewesen, etwas stiller als heute. Mit nicht so vielen Träumen. Die Liebe zur Fotografie ist ihm geblieben. Auf ihr wird er sein neues Leben in Deutschland aufbauen.
Marie Kleine