Einen Kitaplatz zu finden, ist mancherorts schwierig genug. Richtig kompliziert wird es für Eltern und besonders für Alleinerziehende, die im Schichtdienst arbeiten. Wohin mit den Kindern morgens um fünf oder abends um zehn? In die 24-Stunden-Kita. Allerdings sind solche Einrichtungen umstritten.
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Noch bis 18 Uhr im Garten der Kita spielen? - Kein Problem für die 24-Stunden-Kita "Krümelkiste" in Hamburg-Wilhelmsburg. Für Eltern, die nachts oder im Schichtbetrieb arbeiten, ist das eine unverzichtbare Lösung. Foto: Anna Eckart |
Santian hat seinen kleinen Rucksack neben seinem Bett abgestellt. Sein eigenes Kopfkissen hat er auch mitgebracht, weil „das nach zu Hause riecht“. Der Fünfjährige ist heute das erste Kind in der Kita. Santian kennt das schon. Mehrmals in der Woche wird er von seiner Mama um fünf Uhr hierhergebracht, denn die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern ist in einem Altenheim im Schichtdienst tätig. „Mir macht das nichts aus. Ich kann ja jetzt noch weiterschlafen“, meint Santian und kuschelt sich auf sein Kissen.
Santian geht in die Kindertagesstätte „Krümelkiste“ in Hamburg-Wilhelmsburg. Ob Tag, Nacht oder Wochenende: Wenn seine Mama arbeitet, kommt er hierher – zur Not ginge das selbst an Weihnachten. Die Kita wurde vor dreieinhalb Jahren mit einem 24-Stunden-Konzept eröffnet. Rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr stehen elf Erzieherinnen bereit, sich um 48 Kinder im Alter von drei Monaten bis zur Einschulung zu kümmern. „Viele unserer Eltern arbeiten im Schichtdienst“, erklärt Silvia Cihak, die Leiterin der Kita. „Ärzte, Feuerwehrleute, Polizisten oder Krankenschwestern – für viele passen Arbeit und die gewöhnlichen Kita-Zeiten nicht zusammen. Dann sind wir da.“
Die Eltern schätzen es sehr, dass sie ihre Kinder bei Bedarf früh in die Kita bringen können – und dass sie beim Abholen nicht hetzen müssen. „Es gibt 1000 Gründe, wieso man einfach nicht pünktlich sein kann“, weiß Silvia Cihak. „Wenn der Chef sagt: ,Es wird länger gemacht!‘, dann hat man länger zu bleiben.“ Viele Kitas machten aber starre Vorgaben, wann das Kind abgeholt werden müsse. In der „Krümelkiste“ wird dieser Stress vermieden: „Die Eltern sollen ihre Kinder lieber entspannt und gutgelaunt abholen, bevor sie wegen einer Verspätung genervt hier ankommen.“ Das sei weder für die Kinder noch für die Eltern schön.
Übernachtet wird in der Kita selten
Rund um die Uhr werde die Kita derzeit nicht genutzt, obwohl die Möglichkeit dazu bestehe, erläutert Silvia Cihak. Meist würden die Kinder spätestens gegen 21 Uhr abgeholt: „Viele Eltern haben da noch eine Hemmschwelle, ihre Kinder bei uns schlafen zu lassen. Sie wollen ihre Kleinen bei sich haben.“ Deshalb wurde im gesamten vergangenen Jahr nur etwa 50-mal das Angebot einer Übernachtung genutzt. Überhaupt gibt es nur vereinzelt Kitas in Deutschland, die tatsächlich 24 Stunden am Stück geöffnet sind. Die meisten Eltern sind lediglich auf längere Öffnungszeiten angewiesen.
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Und die sollen mehr Kitas künftig anbieten, wenn es nach Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) geht. Im Juli sprach sie sich dafür aus, in den Kitas die Abend- und Nachtbetreuung zu fördern. Dazu sollen bis zu 100 Millionen Euro für 2016 bis 2018 bereitgestellt werden. Schwesig fordert, dass es auch in sogenannten Randzeiten eine Möglichkeit gibt, die Kinder gut betreut zu wissen.
Der geplante Ausbau der Rund-um-die-Uhr-Betreuung findet freilich nicht ungeteilten Beifall. 24-Stunden-Kitas sollte man kritisch sehen, findet Stefan Becker, Präsident des Familienbundes der Katholiken: „Besonders abends und in der Nacht müssen die Kinder besonders betreut werden. Feste und liebevolle Bezugspersonen gehören unbedingt dazu.“ Auf keinen Fall dürfe das 24-Stunden-Angebot ein Freibrief für Arbeitgeber sein, keine Rücksicht nehmen zu müssen: „Das Kindeswohl muss im Mittelpunkt stehen.“ Becker ist völlig klar, dass viele Familien auf das perfekte Funktionieren von Job und Familie angewiesen sind. „Wir vom Familienbund sehen eindeutig die Arbeitgeber in der Pflicht, dass Eltern mit kleinern Kindern eben nicht nachts arbeiten müssen.“ Beckers Credo lautet daher: „Die Wirtschaft muss sich nach der Familie richten – nicht andersrum.“ Aber was, wenn sie es nicht tut?
Das Problem sind die Arbeitsbedingungen
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Der fünfjährige Santian spielt gern mit seinen Freunden in der 24-Stunden-Kita "Krümelkiste". Foto: Anna Eckart |
Zumal sich die Familienstrukturen gewandelt haben. „Das klassische Familienmodell wie vor 30 Jahren existiert nicht mehr. Während früher die Oma auf die Kleinen im Haus aufgepasst hat, wohnt diese heute vielleicht 500 Kilometer entfernt.“ Bei Alleinerziehenden verschärfe sich das Problem noch, weil dann nur ein Einkommen zur Verfügung stehe. Den Müttern und Vätern, die gezwungen sind, ihre Kinder in die Kita zu geben, könne man keinen Vorwurf machen; ihnen bleibe nichts anderes übrig. „Das Problem liegt tiefer. Die Rahmenbedingungen für Arbeitnehmer müssten neu verhandelt werden.“ Im Einzelhandel etwa könnten sich Alleinerziehende die Schichten vielfach aussuchen; auch gebe es bei vielen Berufen die Möglichkeit, von zu Hause zu arbeiten oder Gleitzeit zu machen.
„Gleitzeiten“ gibt es gewissermaßen auch in der Kita „Krümelkiste“ zu beobachten. Manche Kinder bleiben drei Stunden, andere acht. Jeden Tag anders. Eltern kommen und gehen, um ihre Kleinen zu bringen oder abzuholen. Eben so, wie es die Arbeit ermöglicht.
Die Kinder haben sich offenbar daran gewöhnt. An diesem Nachmittag genießen sie das schöne Wetter und toben im großen Garten der Kita umher. Platz zum Spielen ist genug da. In einem Holzverschlag wuselt ein wuscheliges Meerschweinchen umher. Die Freudinnen Soraja (4) und Valentina (5) dürfen das Tier heute füttern. Für Großstadtkinder eine kleine Idylle.
Elf Stunden, nachdem der kleine Santian die Kita betreten hat, kommt ihn seine Mutter wieder abholen. Er läuft in ihre Arme und erzählt ganz stolz, dass er am allerhöchsten auf dem Trampolin im Garten gehüpft ist. Jetzt geht es nach Hause. Die junge Mutter freut sich auf die Zeit mit ihrem Sohn. Sie genießt die gemeinsamen Stunden, bevor sie den Fünfjährigen wieder in die Obhut der Erzieherinnen geben muss.
Eine „Rabenmutter“ zu sein – diesen Vorwurf durfte sich auch Santians Mutter schon anhören. Sie versucht, es an sich abprallen zu lassen. „Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen. Aber ich weiß, dass es Santian in der Kita gut geht“, sagt die junge Mutter. Und ihn alleine zu Hause lassen – das ist für sie keine Alternative.
Von Anna Eckart