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Irgendwas fehlt

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Exerzitien

Die Israeliten verlangen etwas zu essen. Sie haben schlicht Hunger und Durst auf der Wüstenwanderung. Jesus verheißt Brot, das für immer sättigt. Aber was macht satt und wonach dürsten Menschen? Etwa, wenn sie zu Exerzitien ins Kloster gehen?

Damit die Seele aufblüht: Meditationen und Gespräche gehören bei Exerzitien dazu. Foto: kna-bild

Wer Exerzitien macht, zieht sich aus dem Alltag zurück. In der Stille, im Gottesdienst und Gebet, beim Lesen in der Bibel und im Gespräch mit einem geistlichen Begleiter ist Raum, Fragen nachzugehen, ohne direkt Antworten zu haben. So versteht auch Pfarrer Winfried Hommel seine Arbeit als Exerzitienbegleiter im Bistum Mainz. Er will kein „Meister“ sein, der Antworten liefert und vieles „besser weiß“. Nein, sagt er: „Wir begleiten einen Weg, auf dem vier Augen vielleicht mehr sehen als zwei.“ 

In Exerzitien suchen viele Menschen Antworten auf große Fragen des Lebens: Wie geht es beruflich weiter? Will ich eine neue Beziehung eingehen? Umziehen an einen anderen Ort? Sie haben oft Sehnsucht nach einem nicht greifbaren „Mehr“ und hungern und dürsten nach etwas, das sie auf Anhieb gar nicht in Worten beschreiben können. Berufliches, Partnerschaftliches: Das ist oft nur der Aufhänger für eine tiefer liegende Sehnsucht: nach Angenommensein, nach Lebenssinn. Sehnsucht und Suche, das gehört zusammen.

Am Anfang von Exerzitien steht daher oft ein Sehnsuchtsbrief und ein Gespräch, berichtet Elisabeth Langner. Sie ist Gemeindereferentin im hessischen Mühltal und seit über zehn Jahren Exerzitienbegleiterin der „Gemeinschaft Christlichen Lebens“ (GCL). Wer zu ihr kommt, den bittet sie, Themen aufzuschreiben, über die beide dann sprechen werden: Was suche ich? Was gibt meinem Leben Sinn? Wo suche und finde ich Halt? Wer hat mein Leben bisher geprägt? Oft lese sie dann, „dass jemand ‚raus aus dem Alltag‘ will, ‚Ruhe‘ sucht, sein ‚Leben ordnen‘ will“, sagt Langner. Das ist ein Hunger, eine Sehnsucht, die nach „Nahrung“ sucht. 

Aber wer Exerzitien macht, der will mehr als Ruhe und Erholung. Dass etwa während der „Schweigeexerzitien“ außer in den Gottesdiensten und den Einzelgesprächen nichts gesprochen wird, fällt manchen nicht leicht. „Es ist ungewohnt, ganz mit sich beschäftigt zu sein“, berichtet Pfarrer Hommel. Schon die Israeliten fragten: „Was ist das? Da sagte Mose zu ihnen: Das ist das Brot, das der Herr euch zu essen gibt.“ Auch das ist „Nahrung“: wenn in Exerzitien Zeit und Raum ist, um zu hören, was im Alltag leicht überhört wird. 

 

„Ich muss nichts machen, einfach nur da sein“

„Ich erinnere mich, dass ich auf einer Wiese lag, die Sonne genoss und mich so frei fühlte, weil ich zu nichts verpflichtet war. Ich musste nichts im Haushalt regeln, mich nicht um das Essen kümmern, nichts organisieren. Einfach nur da sein“, berichtet Doris Daub aus Fulda. Das war für sie eine Glückserfahrung während ihrer Exerzitien – und auch ein Ort der Gottesbegegnung. 

Dabei geht es bei Exerzitien nicht um Flucht aus dem bösen Alltag. Aber sie können den Alltag erleichtern, weil man danach genauer weiß, wonach man sucht, wonach man hungert. „Das ist noch keine Antwort, aber ein Weg, der sich öffnet“, sagt Pfarrer Hommel. Viele kehren danach mit neuen Perspektiven zurück. Oder, wie es im Epheserbrief heißt: „Legt den alten Menschen ab, … ändert euer früheres Leben, und erneuert euren Geist und Sinn!“

Doris Daub kennt die Sehnsucht nach Angenommensein aus eigener Erfahrung. Heute  engagiert sie sich selbst in der Exerzitienbegleitung. Dabei hört sie Fragen wie: „Was ist, wenn ich aus dem Berufsleben ausscheide? Wie schafft mein Sohn die Ausbildung? Warum meidet meine Nachbarin mich?“ Und es geht um die Beziehung zu Gott: Welche Rolle spielt er in meinem Leben? Wo habe ich Sehnsucht nach seiner Nähe? Wie kann ich mich selbst annehmen? Wie spüre ich, dass Gott mich annimmt, wie ich bin? Hier können Exerzitien ein Mehr bieten. 

 

Eher kleine Schritte als großer Blitzschlag

„Wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben“, sagt Jesus. Klingt so einfach. Und doch: „Niemand darf erwarten, ein Ergebnis wie einen Pokal mit nach Hause zu nehmen“, sagt Doris Daub. 

Wer auf große Zeichen wartet, auf den Blitzschlag, das Donnergrollen oder den Regenbogen, der sich am Himmel zeigt, der wird wahrscheinlich enttäuscht. Oft sind es die unscheinbaren Dinge, die erst später bewusst werden: ein Sonnenstrahl, eine Begegnung, ein Wegkreuz. „Wir müssen den Blick ändern von einer erledigenden Aufmerksamkeit hin zu einer erwartenden Aufmerksamkeit“, sagt sie. Das bedeutet: nicht eine Checkliste abhaken, die zu einem Ergebnis führt, sondern offen sein für das, was man sich vorher nicht ausmalen kann, für das Unerwartete. So bleibt Raum für eine Überraschung, die Gott bereiten will, und die dann diesen besonderen Hunger stillen und Durst löschen kann.

Von Michael Kinnen

 

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