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Den Teufel einfach weglachen

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Kirche und Karneval – passt das? Gehören bunte Kostüme und gereimte Predigten in ein Gotteshaus? Für Gerhard Baller ist das kein Widerspruch. Denn auch närrisches Treiben hat christliche Wurzeln.

Diese Prognose kann guten Gewissens abgegeben werden: In den katholischen Kindertagesstätten im Bistum Hildesheim wird es in diesen Tagen zu einer erhöhten Anzahl von Prinzessinnen kommen. Und Polizisten. Oder Fußballspielern. Die Närrinnen und Narrhalesen sind los. Die tollen Tage erreichen ihren Höhepunkt. 

Eine karnevalistisches Meinung zum Reformationsgedenken – geschaffen von Künstler Mathias Rosenbusch für den Schoduvel 2017. | Foto: epd-Bild

Auch der Sonntag vor dem Rosenmontag bleibt mancherorten nicht karnevalsfrei: Im Gottesdienst wird der Ambo zur Bütt, manche Predigt wird launig gereimt. Und auch in den Bänken zeigen sich jene Prinzessinnen, Polizisten und bunte Kappen. Zur Freude der einen und wohl auch zum Missfallen von anderen.

Gut, die Reimquote im Gottesdienst dürfte wie die Zahl der Verkleidungen geringer sein als in den Erzbistümern Köln und Mainz. Immer wieder steht laut oder unausgesprochen die Frage im Raum: Haben Religion und Glauben überhaupt was mit Karneval zu tun?

Es passt: Katholik und Karnevalist

„Ja, sie haben“, meint Gerhard Baller, bekennender Katholik, Karnevalist und Zugmarschall des Schoduvels, des Braunschweiger Straßenkarnevals. Immerhin der größte Umzug in Norddeutschland – und viertgrößter nach Köln, Düsseldorf und Mainz. Sechs Kilometer lang ist der Schoduvel, an die 100 Motivwagen, eine Viertelmillion Besucher und Tonnen von Bonschen, Waffeln, Schokoriegeln und Plüschtieren.

Wie schnell sich Karneval und Religion vermischen, weiß Baller nur zu gut: 2015 musste der Umzug eine Stunde vor Beginn wegen einer mutmaßlich islamistischen Terrorwarnung abgesagt werden: „Dabei ist der Karneval ein Ausdruck von Fröhlichkeit und Toleranz, der die Religionen und Kulturen verbinden kann.“
Die Absage und der ein Jahr später gezeigte Trotz der Karnevalisten hat für Baller den Blick auf die Wurzeln geschärft: „Karneval ist das älteste Brauchtum der Welt, das ist schon vor Tausenden von Jahren im alten Babylonien nachweisbar.“

Zahlreiche Elemente prägen den Karneval seit Urzeiten: der Schabernack, das Schlüpfen in andere Rollen, das Umkehren der Rollen von Herr und Knecht, die Freiheit, Mächtige zu kritisieren.  Gerade in Europa kommt noch die Tradition des  Austreibens der bösen Geister des Dunkels, der Kälte und des Todes, kurz des Teufels, hinzu. Davon leitet sich auch der Braunschweiger Karneval ab: scho (scheuchen) und duvel (Teufel).

Der Karneval und das Kirchenjahr

Diese volkstümlichen Traditionen trafen dann auf das christliche Kirchenjahr. Und damit auch auf den Wechsel von Zeiten der Freude und Lebenslust mit Zeiten der Ruhe und Besinnung: „Erst werden der Teufel vertrieben und die Lebensmittel aufgebraucht, dann kommt die Fastenzeit mit Verzicht und Vorbereitung auf das nächste große freudige Fest.“ Da schließt sich dann zudem der Bogen zwischen Karneval und Osterlachen – jenem Brauch, der Besucher des Gottesdienstes durch die Predigt zum Lachen bringen soll. Über 500 Jahre, bis ins 19. Jahrhundert hinein, ein fester Bestandteil der Liturgie. „Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit“ heißt es in der Bibel, im Buch Kohelet (3,1).

Und jetzt nehmen die Braunschweiger Karnevalisten die Reformation aufs Korn – mit einem großen Motivwagen. Dabei schneidet ein überlebensgroßer Martin Luther aus Styropor mit einer riesigen Schere die Fäden einer Marionette durch. „Wir haben lange Zeit mit Vertretern der evangelischen Kirche darüber nachgedacht, was Reformation damals und heute ausmacht.“ Die Klammer: die Befreiung von Zwängen.
„Damals war es die Angst vor Tod und Gängelung“, sagt Baller. Heute fügen die Karnevalisten den 95 Thesen gegen den Ablass fünf Thesen für mehr Mitmenschlichkeit hinzu. Freiheit für Nächstenliebe, Toleranz, Gastfreundschaft, Weltoffenheit. „Und natürlich für Narretei“, unterstreicht der Zugmarschall. Insofern: „Brunswiek Helau“

Rüdiger Wala


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